Dass der gebürtige Neuseeländer Anthony McCarten auch ein sehr erfolgreicher, mehrfach oscarprämierter Drehbuchautor ist, merkt man seinem neuen, atemlosen Thriller Going Zero an. Intelligent, spannend und überraschend jagt der 61-Jährige seine Leser:innen durch die Seiten.… Mehr
Helga Schubert – Der heutige Tag
Derden – der, den ich liebe – nennt die Ich-Erzählerin, die unzweifelhaft Helga Schubert selbst ist, ihren pflegebedürftigen Mann. Mehr als 50 Jahre sind sie zusammen, der 96-jährige Psychologe und Maler Johannes Helm wird seit 15 Jahren von seiner nun 83-jährigen Frau zuhause auf dem Mecklenburger Land gepflegt. Der heutige Tag ist, so der Untertitel, „ein Stundenbuch der Liebe“, ein literarisches Tagebuch, in dem Helga Schubert im abendlichen Schreiben, wenn der Pflegealltag zu Ende ist, nach eigenem Bekunden ihre Rettung findet, ihre Zuflucht. Weiterlesen “Helga Schubert – Der heutige Tag”
Mathijs Deen – Der Taucher
Kommissar Liewe Cupido ist kein normaler Krimi-Ermittler, eben weil er so normal ist. Keine dunkle Vergangenheit, kein Alkohol, keine Drogen oder psychischen Probleme, wie sie so oft für Fahnder in diesem Genre bemüht werden. Ein einsamer Wolf zwar, verschlossen, wortkarg und irgendwie ziemlich melancholisch, aber auch bodenständig, pragmatisch und freundlich. Mathijs Deen lässt seinen Holländer (Cupido ist Beamter der Bundespolizei See in Cuxhaven, stammt aber ursprünglich von der Insel Texel) nun in Der Taucher ein zweites Mal einen ungewöhnlichen Mordfall untersuchen. Weiterlesen “Mathijs Deen – Der Taucher”
Lektüre April 2023
Der April war ein reicher Monat. Eine lang ersehnte Rom-Reise, die Fahr nach Leipzig und fünf Tage Buchmesse mit vielen schönen Begegnungen, Verlagsveranstaltungen, Lesungen. Dennoch wurde natürlich gelesen und zwar nicht zu knapp, auch Dank langer Zugfahrten. Neben dem kleinen, zauberhaften Essayband übers Schwimmen von Kristine Bilkau hat mir vor allem Helga Schubert mit ihrem Der heutige Tag Freude gemacht. Mit großartigste Entdeckung war aber Teresa Präauer mit ihrem so witzigen wie klugen Kochen im falschen Jahrhundert. Das ohne die Aktion von Carmen Böhm (@carmancia) mit dem Wallstein Verlag, bei der ich die Autorin treffen konnte, sicher an mir vorbeigegangen wäre. Hier kommt meine Lektüre im April 2023.
Leipziger Buchmesse 2023 – Mein Messebesuch
Vor einer guten Woche endete die Leipziger Buchmesse 2023 und ich möchte gern – wenn auch verspätet und vielleicht schon nicht mehr so ganz relevant – von meinem Messebesuch erzählen. Nach drei ausgefallenen Messen fieberte die Buchwelt auf Leipzig hin. 2020 wurde die Messe eiskalt erwischt, 2021 befanden wir uns mitten in einer Corona-Hochphase und 2022 wurde sie ohne große Not und unter dem Druck zahlreicher Absagen vorwiegend großer Konzernverlage abgesagt. Insgesamt zeigte die Leipziger Messe im Gegensatz zu ihrer Schwester in Frankfurt weniger Mut und Innovation, um den Herausforderungen der Pandemie zu begegnen. Zugegeben hatte letztere auch mehr Glück, den besseren Zeitpunkt im Jahr und mehr jeweiligen Vorlauf. Dennoch muss man feststellen, dass sie auch einfach mehr wagte, die Messe 2020 zumindest digital mit Presseanwesenheit vor Ort und dezentralen Veranstaltungen in der Stadt, 2021 mit Zugangsbeschränkungen auf dem Messegelände und 2022 bereits in alter Frische wie in Vor-Pandemie-Jahren durchführte. Weiterlesen “Leipziger Buchmesse 2023 – Mein Messebesuch”
Grit Krüger – Tunnel
Die junge alleinerziehende Mascha Heerdmann lebt mit ihrer Tochter Tinka von Hartz IV. Auch wenn es ihre Sachbearbeiterin im Jobcenter noch vergleichsweise gut mit ihr meint, sind die Gänge dorthin erniedrigend und lästig. Doch Kürzungen der Leistungen kann sich Mascha nicht erlauben, das Geld reicht auch so kaum fürs Essen (Nudeln mit Butter, ein bisschen Toast), für den Schulausflug, den Hort. Und jetzt ist die Heizung kaputt. Wie soll sie das bezahlen? Die Armut ist im Debütroman von Grit Krüger wie ein dunkler Tunnel, in den man hineingezogen wird und an dessen Ende man kein Licht sieht. Ja noch nicht einmal das Ende ist zu erkennen. Weiterlesen “Grit Krüger – Tunnel”
Marlen Hobrack – Schrödingers Grrrl
Es liest sich wie ein modernes Märchen, das viral gehen könnte: Eine junge Frau Anfang Zwanzig aus Dresden, Schulabbrecherin mit 15, danach Hartz IV, bildungsfern mit Messie-Mutter und massiven Depressions-Problemen, schreibt einen autofiktionalen Roman, der nicht nur ein authentisches Bild einer Vertreterin der Generation Z mit ihrer Affinität zu Digitalem, Dating-Apps und Online-Shopping, ihrer Ziellosigkeit und den Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zeigt, sondern auch noch verblüffend gut geschrieben und aufgebaut ist. Ein Bestseller aus dem Nichts. Die Buchszene kocht vor Begeisterung. Den Leser:innen ist aber von Beginn an bewusst, das verrät der Klappentext des neuen Romans von Marlen Hobrack, dass Mara Wolf, die unter dem Instagram-Kanal „Schrödingers Grrrl“ versucht, sich eine Influencer-Karriere aufzubauen, nur eine Fake-Autorin ist. Weiterlesen “Marlen Hobrack – Schrödingers Grrrl”
Emilienne Malfatto – Möge der Tigris um dich weinen
Möge der Tigris um dich weinen nennt die Fotografin, Journalistin und Autorin Emilienne Malfatto ihren mit knapp 90 locker bedruckten Seiten sehr kurzen, aber ungemein intensiven Roman über einen Ehrenmord im Irak. Möge der vorderasiatische Fluss Tigris, der zusammen mit dem Euphrat das legendäre, einst hochentwickelte Zweistromland Mesopotamien bildete, um all die Frauen weinen, die auch heute noch oder mit Blick auf das benachbarte Afghanistan gerade heute wieder, im 21. Jahrhundert, mit aller Gewalt Opfer der überlebten und doch so machtvollen patriarchalen Systeme werden. Weiterlesen “Emilienne Malfatto – Möge der Tigris um dich weinen”
Kristine Bilkau – Wasserzeiten
„Wasser ist H2O, zwei Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. Aber da ist noch etwas Drittes, das erst macht es zu Wasser, und niemand weiß, was dieses Etwas ist.“ So der englische Schriftsteller D.H.Lawrence in seinem Gedicht „the third thing“. Und was dieses Dritte ausmacht, was die Faszination von Wasser und der Bewegung des Schwimmens in ihm sein könnte, darüber macht sich die Autorin und passionierte Schwimmerin Kristine Bilkau in ihrem zauberhaften Essay Wasserzeiten Gedanken. Weiterlesen “Kristine Bilkau – Wasserzeiten”
Sylvie Schenk – Maman
Bereits in Schnell, dein Leben und Eine gewöhnliche Familie hat uns Sylvie Schenk, 1944 in Chambéry, Frankreich, geboren, seit 1966 in Deutschland lebend und auf Deutsch schreibend, Einblicke in ihre Familie gegeben, jetzt hat sie sich mit Maman auf ihre Mutter konzentriert, mit der sie eine nicht leichte Beziehung verband.
„Unsere Mutter, die sprach nur mit der Wäsche und mit Babys.“
Unnahbar war diese Mutter, verschlossen und distanziert bis gleichgültig ihren Kindern gegenüber. Zärtlichkeiten und Vertrautheit gab es wenig und die Kinder, zumindest die kleine Sylvie, spürten schon bald, dass die Mutter nicht glücklich war, nicht in ihrer Ehe, nicht in ihrer Mutterrolle, nicht als doch recht gut situierte Zahnarztgattin in Lyon. Da gab es etwas, dass sie von ihrem Glück abhielt, über das sie aber beharrlich schwieg. Erst nach ihrem Tod erfahren Sylvie und ihre vier Geschwister, wer diese Frau eigentlich wirklich war, welche Gespenster aus der Vergangenheit ihr zeitlebens nachhingen. Weiterlesen “Sylvie Schenk – Maman”
Virginie Despentes – Liebes Arschloch
„Überraschend versöhnliche Töne“ vom weiblichen „Enfant terrible“ der französischen Buchszene hieß es verbreitet in der Literaturkritik zum neuen Roman von Virginie Despentes, Liebes Arschloch. Und tatsächlich verheißt der Titel und auch der unmittelbare Beginn des Romans eine der literarischen Provokationen, mit denen die Autorin ab 2002 viel Beachtung fand. Weiterlesen “Virginie Despentes – Liebes Arschloch”