Schon sehr früh fühlt sich die kleine Käthe Löwenthal (der Geburtsname von Karen Gershon) als das Unterkind der wohlhabenden jüdischen Familie aus Bielefeld. Die beiden Schwestern, die sehr bewunderte Anne und die vielgeliebte Lise sind… Mehr
Bastian Kresser – Als mir die Welt gehörte
Das Erstaunliche ist, dass es diesen Victor Lustig wirklich gab. Der 1890 geborene Lustig war österreich-ungarischer Herkunft, von großer Intelligenz und umfassender Ausbildung. Er sprach fünf Sprachen. Dass er mit 22 Jahren bereits 5x im Gefängnis sitzen, sich etliche fiktive Identitäten zulegen und auf Überseedampfern Geld mit Betrügereien bei Glücksspielen machen sollte, war in keiner Weise vorgezeichnet oder vorhersehbar. In die Geschichte ging er schließlich ein als „der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“. Und das gleich zwei Mal. Seine überraschende Geschichte erzählt der österreichische Autor Bastian Kresser auf so unterhaltsame wie spannende Weise in seinem Roman Als mir die Welt gehörte. Weiterlesen „Bastian Kresser – Als mir die Welt gehörte“
Jan Costin Wagner – Einer von den Guten
„Ben Neven und seine Kolleg:innen sind an einem Punkt angelangt, an dem der Autor sie (und die Leser:innen) nicht einfach allein lassen kann. Ihre Geschichte ist noch nicht auserzählt.“ So habe ich meine Rezension zum Vorgängerroman Am roten Strand beendet. Nun hat Jan Costin Wagner mit Einer von den Guten einen dritten Roman über den Ermittler Ben Neven geschrieben, der am Ende zwar auch fast alles in der Schwebe lässt, aber dennoch einen zufriedenstellenden Abschluss der Reihe bildet. Weiterlesen „Jan Costin Wagner – Einer von den Guten“
Susan Choi – Vertrauensübung
Selten hat mich ein Buch so zwiegespalten zurückgelassen wie der mit dem National Book Award ausgezeichnete und nun in der Übersetzung von Tanja Handels und Katharina Martl bei Kjona erschienene Roman von Susan Choi, Vertrauensübung. Einhellige Begeisterung herrscht bei mir allerdings über die Gestaltung des Buchs. Der sich vor allem für Nachhaltigkeit in der Buchproduktion engagierende Kjona Verlag macht einige der schönsten Bücher, die derzeit im Handel sind. Trendige Veredelungen wie Lacke oder Farbschnitte werden aus Umweltschutzgründen nicht verwendet, dafür jubelt mein Bücherherz angesichts des klaren Designs, des hochwertigen, alterungsbeständigen Papiers und vor allem der Fadenheftung. Ganz große Begeisterung! Weiterlesen „Susan Choi – Vertrauensübung“
Eva Reisinger – Männer töten
Unter dem herrlich zweideutigen Titel Männer töten veröffentlicht die österreichische Journalistin und Sachbuchautorin Eva Reisinger ihren ersten Roman und wurde dafür gerade für den Österreichischen Debütpreis 2023 nominiert. Interessant ist, welche Bedeutung des Titels sich beim ersten Augenschein bei der Leserin oder dem Leser nach vorne drängt. Tatsache ist, das macht die „Triggerwarnung“ gleich zu Beginn deutlich: Hier werden Männer getötet. Dabei geht es aber eigentlich um die unerträgliche Tatsache, dass Männer Frauen töten. Immer noch, immer wieder. Und immer noch schaut die Gesellschaft viel zu oft weg, bagatellisiert und ist auch die Rechtsprechung noch nicht so sensibilisiert, diese Femizide als solche gesondert zu behandeln. Bislang haben nur zwei Länder in Europa, nämlich Zypern und Malta, beschlossen, diese Femizide als eigenständige Verbrechen anzuerkennen. Weiterlesen „Eva Reisinger – Männer töten“
Lektüre Juli 2023
Spät, sehr spät kommt er, der Überblick über meine im Juli 2023 gelesene Lektüre. Vielleicht interessiert es ja noch den einen oder die andere. Der Vollständigkeit halber (und weil mein innerer Blog-Monk das sowiso fordert) ist er hiermit nachgereicht. Weiterlesen „Lektüre Juli 2023“
Johanna Sebauer – Nincshof
„Nincs“ – ungar.: „Es gibt kein“. Nincshof – es gibt keinen Hof, kein Dorf, kein gar nichts. Zumindest nach der Legende gab es hier im äußersten östlichen Zipfel Österreichs, in der entlegensten Ecke des Burgenlandes, ganz nahe am Einser-Kanal, der an der Grenze von Österreich und Ungarn verläuft, offiziell jahrhundertelang nichts. Offiziell. Denn bevor der Einser-Kanal seit der Wende zum 20. Jahrhundert den ansonsten abflusslosen Neusiedlersee entwässerte und danach die südöstlich davon gelegenen Hanságsümpfe mehr und mehr trockengelegt wurden, lag dort der Legende nach (zumindest im vorliegenden Roman) eine von der Außenwelt unentdeckte Gemeinde, völlig autark, mit matriarchal verlaufenden Familienlinien, mit durch Holzstege über dem Moor verbundenen Pfahlbauten, versteckt im hohen Schilf. Augenzwinkernd, märchenhaft, verspielt erzählt Johanna Sebauer in ihrem Debütroman, wie einige Bewohner des (fiktiven) burgenländischen Dörfchens Nincshof diesen vermeintlich glücklichen, vergessenen Zustand wiederherstellen möchten. Weiterlesen „Johanna Sebauer – Nincshof“
Julie Otsuka – Solange wir schwimmen
Als Julie Otsuka 2011 ihren zweiten Roman „Buddha in the attic“ (dt. Wovon wir träumten) veröffentlichte, war die Literaturwelt einhellig begeistert. Diese kollektive Wir-Perspektive, die das Schicksal sogenannter „Picture brides“ in den USA so zart, deutlich und ungeschönt schilderte, war etwas ganz Ungewohntes. Das Buch war für den National Book Award nominiert und erhielt den PEN/Faulkner-Award. Und war auch in Deutschland in der Übersetzung von Katja Scholtz ein großer Erfolg. Auch ich war hingerissen von diesem mir bisher nicht gekannten Erzählton. Über zehn Jahre musste das Lesepublikum warten, nun hat Julie Otsuka mit Solange wir schwimmen einen neuen, ihren dritten Roman vorgelegt. Und auch dieser startet wieder mit einer kollektiven „Wir“-Perspektive. Weiterlesen „Julie Otsuka – Solange wir schwimmen“
Tess Gunty – Der Kaninchenstall
Der Kaninchenstall heißt in der Umgangssprache ein etwas heruntergekommener Wohnblock in Vacca Vale, Indiana, einer ihrerseits auch recht heruntergekommenen (fiktiven) Stadt mitten im US-amerikanischen Rustbelt. Dort wo schon lange die Lichter ausgegangen sind. Seit der Deindustrialisierungswelle der 1980er und 90er Jahren, als die einstigen Industriehochburgen mit ihrer Stahlproduktion sowie der Automobil- und Waffenindustrie begannen, ihre Bedeutung für die amerikanische Wirtschaft zu verlieren, steht dieser Teil der USA für Niedergang und Hoffnungslosigkeit. „Lapinière Affordable Housing Complex“ ist der hochtrabende offizielle Name des Gebäudes, benannt nach den vielen Kaninchen, die die Gegend bevölkern. Aber die Protagonisten von Tess Gunty wissen sehr wohl, dass es eigentlich nur Der Kaninchenstall ist. Weiterlesen „Tess Gunty – Der Kaninchenstall“
Penelope Mortimer – Bevor der letzte Zug fährt
In der Literaturgeschichte lohnt das Graben nach Vergessenem und Übersehenem. Gerade im letzten Jahr habe ich viele großartige deutsche Erst- und Neuübersetzungen von Autor:innen (tatsächlich überwiegend weibliche) gelesen. Sehr verdient macht sich dabei u.a. der Schweizer Dörlemann Verlag, der seine Ausgaben zudem noch besonders schön gestaltet. Meine neueste Entdeckung ist Bevor der letzte Zug fährt von Penelope Mortimer, übersetzt von Kristine Kress. (Auch großes Lob an den Verlag dafür, dass die Übersetzerin prominent auf dem Titel erwähnt wird).
Dieser 1958 erschienene Roman liegt zum ersten Mal auf Deutsch vor. Und das erstaunt angesichts der literarischen Qualität sehr. Andererseits berührt der Text Themen, von denen man zur damaligen Zeit sicher nicht unbedingt lesen wollte. Die 1918 geborene Journalistin, zeitweise Kummerkastentante für die Daily Mail und sechsfache Mutter von Kindern unterschiedlicher Väter Penelope Mortimer spricht in Bevor der letzte Zug fährt ein in der damaligen Zeit stark mit Tabus behaftetes Thema an: die ungewollte Schwangerschaft und deren Beendigung. Erst 1967 wurden Abtreibungen in England legal. Weiterlesen „Penelope Mortimer – Bevor der letzte Zug fährt“
Ayòbámi Adébáyò – Das Glück hat seine Zeit
Die 1988 in Lagos geborene Ayòbámi Adébáyò zählt zu den wichtigsten jungen Stimmen aus Afrika. Ihr Debütroman „Bleib bei mir“ war für den Women’s Prize for Fiction 2017 nominiert und wurde in zwanzig Sprachen übersetzt. Ich war von diesem Buch auch nachhaltig beeindruckt. Dennoch ist die nigerianische Autorin bei uns noch relativ unbekannt. Jetzt erscheint der zweite Roman von Ayòbámi Adébáyò in einer Übersetzung von Simone Jakob unter dem etwas unnötig kitschigen Titel Das Glück hat seine Zeit bei Piper. Weiterlesen „Ayòbámi Adébáyò – Das Glück hat seine Zeit“