Auf schmalen Pfaden bewegen sich die feindlichen Soldaten der USA und Japans durch den dichten Dschungel der Salomonen Inseln. Auf sehr schmalen Pfaden nur gelangt auch Jim Kennoway zurück in seinen Erinnerungen, nicht nur zu den Kriegserlebnissen der 1940er Jahre im Pazifik, sondern auch in seine Kindheit und Jugend, seine Ehe mit Helen und deren tragischen Tod während seines Einsatzes, schließlich sein problematisches Verhältnis zu seinem Sohn Fergus.
Jim will sich nicht erinnern. Er verdrängt, so gut es geht und recht erfolgreich; reichlich Hochprozentiges hilft nach. Sein ungesundes, nahezu selbstzerstörerisches Leben mit Alkohol und Nikotin führte wahrscheinlich auch zur Amputation eines Beines. Lieber wäre er allerdings einfach gestorben, der Sohn drängte ihn zur Operation. Noch etwas, dass er ihm nicht verzeiht und das ihre Beziehung belastet. In erster Linie ist es aber wohl, dass Fergus ihn an die geliebte, an die verlorene Frau erinnert. Und Jim will sich nicht erinnern.
Er hat sich zurückgezogen ins Sommerhaus an der Küste von Maine. Wie ein krankes Tier kapselt er sich von Allem und Allen ab, versorgt von seinem alten Freund Stellman und dessen Tochter. In der Einsamkeit, seiner Arbeit an der realen geografischen Verortung von Robert Stevensons „Schatzinsel“ und gelegentlichen Vogelbeobachtungen findet der ehemals renommierte Ornithologe so etwas wie einen labilen inneren Frieden.
Dies endet, als eine außergewöhnliche junge Frau vor seiner Tür steht: Cadillac Baketi, die Tochter seines einstigen Inselscouts Tosca von den Salomonen, mit dem ihn neben schrecklichen Erlebnissen auch eine tiefe Freundschaft und die Liebe zur Vogelwelt verbindet. Mit ihm hat er einst während des Krieges nicht nur die Inseln und Schiffsbewegungen der Japaner ausgekundschaftet, sondern auch seltene Vögel beobachtet. Ihm hat er auch seine Kunstfertigkeit und Leidenschaft für die Klassifizierung und Herstellung von Vogelpräparaten für die Wissenschaft beigebracht.
Cadillac möchte in Yale Medizin studieren und Jim soll sie ein wenig unter seine Fittiche nehmen, ihr ein wenig den erwarteten Kulturschock Salomonen-USA erleichtern.
Keine willkommene Aufgabe für den ewig grantelnden Eigenbrötler, der sich ganz in seinen Selbsthass zurückgezogen hat. Bringt das Mädchen doch nicht nur Leben, sondern auch Erinnerungen in sein Haus. Dies löst einen Prozess aus, verstärkt durch den Besuch seines Sohnes Fergus, der zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und auch ein Stück weit zum Frieden mit ihr führen könnte. Doch so einfach ist es für Jim nicht.
Alice Greenway erzählt diese Geschichte sehr präzise, behutsam und sensibel. Sie schlüpft in die unterschiedlichen Perspektiven, bleibt aber immer auch distanziert, kommt ihren Personen sehr nah, verleibt sie sich aber nie ein. Dabei verflicht sie die unterschiedlichen Sichtweisen sehr kunstvoll und wechselt völlig organisch zwischen den Zeitebenen der Erzählzeit 1973, den Kriegserlebnissen 1942,1943 und den Kinder- und Jugendjahren Jims hin und her. Genauso assoziativ wie das Erinnern entwickelt sich die Erzählung. Und Alice Greenway lässt uns an diesem schmerzhaften Prozess teilhaben. So entsteht das Portät eines Lebens, das in vielen Punkten als tragisch, unglücklich, ja verfehlt erscheinen könnte und an dem gerade auch der es zu Lebende verzweifelt. Es entstehen aber auch unzählige Momente der Schönheit und auch des Glücks, gerade auch in den wunderbaren Vogel- und Naturbeschreibungen. Ein schönes, leises, melancholisches und Am Ende doch tröstliches Buch.
Alice Greenway – Schmale Pfade
Aus dem Amerikanischen von Klaus Modick
Mare Verlag 2016, 368 Seiten, gebunden, € 22,00