Vincent, ein Mann in mittleren Jahren, erfolgreicher Geschäftsmann in London, Vater zweier kleiner Töchter, glücklich verheiratet, kehrt für eine Woche eher widerwillig in seine alte Heimat in der französichen Provinz zurück. Als junger Mann hatte er dort seine jetzige Frau, eine Britin kennengelernt. Es war fast eine Flucht damals – raus aus der Familie, die er als einengend, langweilig und bieder empfand. Raus aber auch aus seinem eigenen Leben, das bisher nicht so recht in die Gänge kam: Abbruch der Schule, Gelegenheitsjobs, Alkohol, Drogen, Wohngemeinschaft mit Etienne, der genauso wenig in der Lage war Fuß zu fassen.
In England begann tatsächlich ein neues Leben. Auch dank der vermögenden Schwiegereltern gelang Vincent zusammen mit einem britischen Partner die Verwirklichung seiner Geschäftsidee: Die „Cafés bleues“ laufen gut, ebenso die Ehe, einiges an Vermögen ist mittlerweile angeschafft.
In die alte Heimat zog es ihn bisher wenig, der Kontakt zu den Eltern, zum Bruder Jerome, zu alten Freunden ist maximal sporadisch.
Nun steht er vor seinem alten Leben, schläft in seinem alten Kinderzimmer. Und die alten Aversionen sind wieder da – die Eltern immer noch langweilig, immer noch bieder, ziehen immer noch (vermeintlich) den jüngeren Bruder vor; der Bruder immer noch angepasst und vorhersehbar; die Schwägerin Celine verbittert und unsympathisch; die alten Freunde gefangen in ihrem spießigen Leben und der alte Kumpel Etienne spurlos verschwunden.
Kein gutes Haar lässt Vincent an Familie, Heimatdorf, Frankreich. Im Vergleich zu seinem strahlenden Leben in London ist das alles für ihn ein einziges Jammertal.
Die strikten Urteile, die er fällt, machen ihn nicht unbedingt sympathisch, auch betont er das Glück seines neuen Lebens, seines Erfolgs ein wenig zu oft, als dass man ihm unbedingten Glauben schenken würde. Witzig und auf intelligente Art bissig ist sein Wüten aber allemal.
Jean-Philippe Blondel erzählt in gerader Sprache, teilt seine nach den Aufenthaltstagen gegliederten Kapitel in kurze und kürzeste Absätze.
Er transportiert dabei die Gefühle und Gedanken seines Protagonisten sehr anschaulich. Auch wenn er ihm die Ich-Perspektive verleiht, schaut der Leser doch zugleich immer kritisch und distanziert auf ihn. Ein Charakter, der Brüche hat, zum Widerspruch reizt. Einer mit „Ecken und Kanten“ wie so schön auf dem Buchrücken steht. Aber auch einer, „der extrem berührend ist.“ Denn etwa in der Mitte des schmalen Romans kippt die Geschichte. Unbequeme Wahrheiten kommen auf den Tisch, die herrschende Sprachlosigkeit innerhalb der Familie wird deutlich, bekommt auch der britische Mister Saubermann seine Risse und muss alte Gewissheiten überdenken. Dabei kommen Emotionen ins Spiel, die sehr widerstreitende Gefühle und auch Abwehr beim Leser hervorrufen. Auf jeden Fall kein Buch, das einen kalt lässt.
Jean-Philippe Blondel – This is not a love song
aus dem Französischen von Anne Braun
Deuticke Verlag Februar 2016, gebunden, 224 Seiten, 17,90 €