Catalin Dorian Florescu – Der Mann, der das Glück bringt

Catalin Dorian Florescu - Der Mann, der das Glück bringtDie Erzählsituation ist eine altbewährte: Zwei Menschen treffen in einer besonderen, vorzugsweise dramatischen Situation aufeinander und sind mehr oder minder gezwungen, Zeit miteinander zu verbringen. Also erzählen sie sich aus und von ihrem Leben.
Hier sind es der New Yorker Künstler Ray, der sich im nostalgischen Metier des Vaudeville, einer Art Nummernrevue, eher mäßig erfolgreich durchschlägt, und Elena, eine Rumänin aus dem Donaudelta, die in die große Stadt am Hudson River gekommen ist, um einem letzten Willen ihrer Mutter entsprechend deren Asche dort zu verstreuen.
Es ist der 11. September 2001 als die beiden in einem kleinen Theater aufeinandertreffen und beim Erzählen tief in die Vergangenheit ihrer Familien eintauchen.
Bei allen extremen Gegensätzen – hier die raue, quirlige, überschäumende, erbarmungslose Welt des New Yorks der Jahrhundertwende, Elend und Hoffnung auf ein besseres Leben ganz nah beieinander, in der sich Rays Großvater, ein Einwandererkind, durchschlagen muss – dort die abgeschiedene, noch stark dem Aberglauben anhängende, aber nicht minder erbarmungslose Welt der armen rumänischen Landbevölkerung, in der Elenas Mutter ihr schweres Schicksal bewältigen muss – trotz all dieser starken Gegensätze, gibt es doch auch Gemeinsamkeiten, die sich durch die Familiengeschichten der beiden ziehen. So ist das Leben sowohl in Großvaters als auch in Elenas Geschichte von Elternlosigkeit geprägt, von der Notwendigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen, aber auch von der Sehnsucht nach Glück, nach dem besseren Leben.
Träumten Großvater und nun auch Ray selbst von einer Karriere als Sänger, so war der Sehnsuchtsort von Elenas Mutter immer Amerika.
Dass das Leben meist anders ist als erträumt, müssen sie alle erfahren.
Catalin Dorian Florescu erzählt im großen Bogen, episodenreich, detailversessen, bildhaft und sehr atmosphärisch von Menschen auf der Suche nach dem Glück, dem besseren Leben, den eigenen Träumen, entgegen allen Widrigkeiten. Dabei weiß er immer wieder zu überraschen mit unvorhergesehenen Wendungen, kleinen, bisher so nicht gekannten Details. Man merkt dem Text an, wie gut der Autor recherchiert hat.
Zugleich zeigt er deutlich, wie allgemein und gerade heute wieder gültig manche Situationen sind, dass sich schon immer Menschen aufgemacht haben, dass es immer Flüchtlinge und Migranten gab, Glückssucher, die dem alten Elend entfliehen wollten, oft genug nur um in ein neues zu geraten. Manchmal verschieben sich nur die Kontinente, wie man auch bei der Erzählung über die in Mietskasernen zusammengepferchten Textilarbeiterinnen New Yorks Anfang letzten Jahrhunderts sieht.
Rays Geschichte beginnt 1899, Elenas 1910 und beide bewegen sich aufeinander zu, verschränken sich, treffen sich in eben jenem Theater 2001 und werden zu einer Geschichte, die nach Rumänien führt, vereinigt. Eine große, poetische und beeindruckende Rolle spielen immer wieder die Flüsse, der Hudson River, East River und die Donau.
Florescu bringt seinen Protagonisten viel Sympathie entgegen, obwohl er auch ihren dunkleren Seiten Raum lässt. Mit Wärme lässt er seiner Fabulierkunst freien Lauf und schafft doch ein ein eher kompaktes Werk.
Es berührt, klärt auf, verzaubert durch seine Sprache und schafft, obwohl die großen Ereignisse des 20.Jahrhunderts nur am Rande, sozusagen en passant vorkommen, ein großartiges Panorama. Ein Roman, der das Glück, zumindest das Leseglück, bringt.

 

Catalin Dorian Florescu – Der Mann, der das Glück bringt

C.H.Beck Verlag Februar 2016, gebunden, 324 Seiten, 19,95 €

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert