Jane Gardam – Ein untadeliger Mann /Eine treue Frau

Jane Gardam - Ein untadeliger MannJane Gardam - Eine treue FrauFast schon eine Sensation und ganz gewiss ein enormer Glücksfall für den Verlag ist die Entdeckung der fast neunzigjährigen Jane Gardam, die bereits eine Fülle von Romanen, Erzählungen und Kinderbüchern verfasst, in England mit Erfolg und Preisen versehen, aber in Deutschland nahezu unbekannt und unübersetzt ist.

Das mag daran liegen, dass ihre Romane so dezidiert britisch sind, sowohl von der Thematik als auch vom Stil her. Dass sie darüber hinaus auch welthaltig und allgemeingültig sind, über alle „Britishness“ hinaus, kann der deutsche Leser zum Glück nun erfahren. Und das in gleich dreifacher Ausführung, denn nach dem großen Erfolg des ersten Bandes der „Old Filth“-Trilogie „Ein untadeliger Mann“ ist unlängst der zweite Band „Eine treue Frau“ erschienen und wird im Herbst der Abschlussband folgen.

Old Filth, der Spitzname von Edward Feathers, steht in so offensichtlichem Gegensatz zu der nicht nur äußerlich immer perfekten Erscheinung des erfolgreichen, hochrangigen Kronanwalts, die mit „filth“, Schmutz, Unrat nun gar nicht zu tun hat. In Wahrheit bezieht er sich auch auf den alten Scherz Edwards „Failed In London, Try Hongkong“. Denn Edward ist durch Anwaltstätigkeit im Baurecht in der Kronkolonie Hongkong zu hohem Ansehen und immensem Reichtum gelangt. Er war, wie seine Frau Elizabeth, Betty, eine sogenannte Raj-Waise, was jene Kinder umfasst, die als Kinder von Kolonialbeamten in der Ferne geboren, im frühen Schulalter nach England geschickt wurden, um dort „ordentlich“ aufzuwachsen und ausgebildet zu werden. Das wurde für viele von ihnen zu einem traumatischen, zumindest aber den Eltern entfremdenden Lebensabschnitt.

Edward erwischte es besonders schlimm, er wurde von dem nach dem Tod der Mutter zu keiner väterlichen Empfindung mehr fähigen Vater zu äußerst lieblosen, brutalen Pflegeeltern nach Wales gegeben. Einziger Lichtblick war, dass zwei entfernte Cousinen, Claire und Babs, dieses Schicksal mit ihm teilten. Eine Verbundenheit, die die Jahre überdauerte.

Betty, die Vollwaise war, litt nicht ganz so unter ihrer Kindheit, aber beide zog es immer wieder in den Fernen Osten, wo sie sich auch schließlich begegneten.

Die Trilogie folgt nun ihren Lebenswegen, und zwar aus jeweils anderer Perspektive.

Im ersten Band steht Edward ganz im Zentrum. Bereits seit zwanzig Jahren leben er und Betty nun in Dorset, die Perspektiven in Hongkong waren ihm mit Näherrücken des Anschlusses an China zu ungewiss. Seine Frau ist gerade überraschend verstorben und hinterlässt ihn nun, laut eigener Aussage, „jeglichen Lebenssinns beraubt“. In starken Bildern kommen nun Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre, aber auch weiter zurückreichend bis in seine früheste Kindheit in Malaysia, den traumatischen Kinderjahren in Wales, die in ein völlig verdrängtes, entsetzliches Erlebnis mündeten, die glücklicheren Jahre im Internat, wo ihm die Familie eines Freundes liebevollen, wenn auch nur vorübergehenden Familienersatz bot. Erinnerungen, die nicht alle erwünscht sind. Vermögen sie doch

„die Deckel von vergangenen Ereignissen zu heben, die er als vernünftiger Mann bislang geschlossen gehalten hatte“, ist er doch der Meinung, „Fakten, Erinnerungen, der Schmerz des Lebens – oder chaotischer Lebensumstände – müssen vergessen werden“.

Nun allein und mit der Situation völlig überfordert, versucht er, wie in seinem ganzen Leben, Haltung zu bewahren.
Dennoch kommt es zu einer Art Übersprungshandlung.
Er, der weltferne Snob, mottet das alte, ewig nicht genutzte Auto aus und macht sich auf die Fahrt nach Norden, zu seine beiden Cousinen. Was er dort zu finden hofft, bleibt ungewiss.

Es ist meisterhaft, wie Jane Gardam die verschiedenen Zeitebenen auf völlig organische Weise durcheinander mischt, die weite Vergangenheit der Kindheit, die nahe des ehelichen Zusammenlebens, die Jetztzeit der Witwerschaft und auch Ausblicke bis zu Edwards Tod.
Es entsteht so ein psychologisch genaues Lebensporträt, das ohne auch die Schattenseiten zu verschweigen, doch zutiefst mitfühlend ist. Das trotz seiner beißenden Ironie und des manchmal bitteren Humors doch nie zu nahe an seine Personen tritt oder sie gar vorführt.
So behält auch „Old Filth“ bis zum Schluss die ihm so wichtige Würde.

Im zweiten Band „Eine treue Frau“ wechselt der Fokus auf Betty.
Die Dritte Person wird wie im ersten Buch weiterhin gewahrt, aber es ist eine weibliche Perspektive, die wir hier kennenlernen.
Dass zu Beginn sehr viel 1:1 aus dem ersten Teil übernommen wird, hat mich zunächst ziemlich gestört und das Hineinschlüpfen in Bettys Welt etwas verzögert, erleichtert aber natürlich Neueinsteigern oder wenn „Ein untadeliger Mann“ etwas weiter zurückliegt, die Lektüre.

Zum Glück schwenkt die Geschichte bald um, die Ehe von Edward und Elizabeth, die weniger auf leidenschaftlicher Liebe basiert als auf dem Halt, den sich die beiden geben, ihre Kinderlosigkeit, die Beziehung zu Edwards Rivalen Terry Veneering, das Leben in Dorset mit seinem Understatement und das Einrichten in einem leidenschaftslosen, aber gesicherten Leben bekommen einen größeren Stellenwert und all die wunderbaren Stärken des ersten Bandes sind auch hier zu finden: Humor und zurückhaltende Psychologie, der Blick für das Private wie für die britische Gesellschaft allgemein, gerade auch was ihre koloniale Vergangenheit betrifft.

Nun kann man gespannt sein auf den dritten Teil, „Letzte Freunde“, der aus der Sicht von Terry Veneering geschrieben ist.

Jane Gardam – Ein untadeliger Mann

Hanser Berlin August 2015, gebunden, 352 Seiten, €22,90

Jane Gardam – Eine treue Frau

Hanser Berlin März 2016, gebunden, 272 Seiten, €21,90

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert