NoViolet Bulawayo – Wir brauchen neue Namen
NoViolet Bulawayo ist eine jener in jüngster Zeit häufiger zu hörenden Stimmen junger, zumeist weiblicher aus Afrika stammender Autoren, die meist nach einer Ausbildung im Westen dort geblieben sind, in den USA oder Großbritannien und nun mit einer Mischung aus Sehnsucht, Nostalgie und Heimweh, aber auch kritschem Abstand und gnadenloser analytischer Schärfe auf ihr Heimatland zurück blicken.
Simbawe ist das Land, in dem die zu Beginn 10jährige Darling aufwächst. Es wird erst ziemlich spät im Roman auch benannt, das „geliebte Zim“. Sein Schicksal gleicht auf fatale Weise dem unzähliger anderer afrikanischer Nationen: Ausbeutung und Unterdrückung durch die Kolonialmächte, nach der Unabhängigkeit die Hoffnung auf Freiheit und Aufschwung, eine kurze Phase der Hoffnung, dann der Aufstieg von unterschiedlichen Despoten, die, machtlüstern und meist unfähig, ein System der Korruption und Vetternwirtschaft aufbauten, das selbst die rohstoffreichsten und hoffnungsvollsten Staaten in meist noch größeres Elend, in Hunger und Armut großer Teile der Bevölkerung führten – vergessen und missachtet von den eigenen Eliten.
Auch Simbawes Schicksal sieht nicht anders aus.
Nach einem aussichtsreichen Start in die Unabhängigkeit 1980 verkam es unter dem diktatorischen Präsident Robert Mugabe immer mehr und belegt seit Jahren die untersten Ränge der Entwicklungsberichte. Für oppositionelle Bestrebungen ist schon lange kein Platz. Ab 2005 wurden unter dem Vorwand der Beseitigung von illegalen Bauten und der Hygiene in der Operation „Müllentsorgung“ unzählige Häuser von staatlicher Seite dem Boden gleichgemacht, bevorzugt in Gebieten mit traditionell hoher oppositioneller Aktivität.
Auch das Haus von Darlings Familie fällt dieser Säuberung zum Opfer. Der Vater sucht darauf sein Glück in Südafrika, lässt dann aber nie wieder von sich hören. Die Mutter zieht mit Darling in den Slum „Paradies“. Das die Verhältnisse dort alles andere als paradiesisch sind, versteht sich von selbst.
Trotzdem erlebt Darling mit ihrer Clique auch glückliche Momente, zum Beispiel wenn sie in den besseren Stadtvierteln Guaven stehlen oder wenn sie „Jagt Bin Laden“ spielen. Die Autorin erzählt aus der Perspektive ihrer kleinen Heldin und so wird der Leser mit vielen Grausamkeiten auf besondere Weise konfrontiert. Beispielsweise wenn die elfjährige Chipo, die vom eigenen Großvater vergewaltigt und danach schwanger, von ihren Kameraden mit einem rostigen Kleiderbügel „operiert“ werden soll. Dazu brauchen die Kinder „Neue Namen“, sie werden zu Dr. Ross und Jeanie Boulet, frei nach Emercency Room. Der Eingriff wird zum Glück verhindert, zeigt aber, wie allein gelassen, voller falscher Träume von Amerika, aber auch voll des Tatendrangs, der Hoffnung und der Sehnsüchte die Kinder leben.
Bulawayo schafft dafür eine kraftvolle, überzeugende Sprache, reich auch an eigenwilligen, treffenden Sprachneuschöpfungen, die uns die kleinen Protagonisten sehr nah bringen.
In der Mitte des Buches erfolgt ein vielleicht etwas zu harter Bruch.
Darling reist zu ihrer Tante nach Detroit.
Dort leidet sie zwar an Heimweh, kämpft mit der Sprache, empfindet
„Englisch ist wie eine riesige Eisentür, zu der man dauernd den Schlüssel verliert“, erfährt, dass das Leben in Amerika auch nicht das Paradies ist. Zugleich entfernt sie sich aber auch immer weiter von ihrem „geliebten Zim.“
„Dein Land, Darling? Im Ernst, dein Land, bist du dir sicher?(…)Wieso bist du denn gerade nicht in deinem Land? Warum bist du nach Amerika abgehauen(…) du hast es im Stich gelassen, Darling, meine Liebe, du hast das Haus brennen lassen, und du wagst es, mir mit diesem blöden Akzent, mit dem du nicht mal geboren wurdest, der nicht mal zu dir passt, zu sagen, dass das hier dein Land ist?“
wird ihr etwa von ihrer alten Kinderfreundin einmal um die Ohren gehauen. Ein Vorwurf, der Darling, genauso wie wahrscheinlich auch die Autorin und unzählige andere Emigranten wütend macht, und der doch nur ein oft selbst empfundenes schlechtes Gewissen,ein Gefühl des Verrats ausdrückt.
Auch wenn dieser zweite Teil nicht ganz so intensiv wie der erste ist, kommen darin doch die typischen Probleme von Emigranten überall auf der Welt zum Ausdruck: Die Fremdheit im neuen wie im alten Heimatland, die Balance zwischen Integration und Heimattreue.
Und nicht zuletzt deshalb ist es ein hochaktuelles Buch, das ganz zurecht auf der Nominierungsliste zum ManBooker-Preis 2013 stand.
In der Mitte des Textes, ihn in die zwei Hälften Afrika/USA teilend, steht ein kurzes Kapitel, in dem diesen Scharen an Flüchtlingen ein poetisches Denkmal gesetzt wird.
„Seht nur, sie gehen in Scharen, die Kinder des Landes, seht nur, sie gehen in Scharen. Die nichts haben, überqueren Grenzen. Die Kraft haben, überqueren Grenzen. Die ehrgeizig sind, überqueren Grenzen. Die Verluste beklagen, überqueren Grenzen. Die Schmerzen haben, überqueren Grenzen. Fahren, laufen, ziehen, gehen, wandern, verschwinden, fliegen, fliehen – überall hin, in nahe und ferne Länder, deren Namen sie nicht aussprechen können. Sie gehen in Scharen. (…)Ihre Mütter und Väter und kinder zurücklassen, ihre Nabelschnüre im Boden, die Knochen ihrer Vorfahren in der erde, alles, was sie ausmacht, sie zu dem macht, wer und was sie sind, weil sie unmöglich bleiben können. Nie wieder werden sie sein wie jetzt, denn an bleibt nicht derselbe, wenn man zurücklässt, wer und was man ist, man bleibt nicht derselbe.“
NoViolet Bulawayo – Wir brauchen neue Namen
Suhrkamp Verlag August 2014, Gebunden, 264 Seiten, 21,95 €