Er ist der Meister der geplatzten Träume: Richard Yates, der zwischen 1961 und 1986 acht Romane (und davor noch Kurzgeschichten) schrieb, gleich mit seinem ersten „Revolutionary Road“ (dt.“Zeiten des Aufruhrs) einen großen Erfolg erzielte und 1992, 66 jährig, fast vergessen starb. Es dauerte bis um die Jahrtausendwende, um ihn wiederzuentdecken. Hierzulande macht sich seitdem die Deutsche Verlagsanstalt um die Veröffentlichung verdient. Nun erschien das letzte Buch auf deutsch:“Cold Spring Harbour“.
Auch hier sind es wieder Menschen der amerikanischen Mittelschicht, die im Alltag (meist vergeblich, aber umso verbissener) um ihr Glück kämpfen. Sie scheitern nicht grandios, es sind nicht die dramatischen Abstürze, die unteren Ränder der Gesellschaft, die Yates interessieren. Die Figuren in seinen Romanen starten meist hoffnungsvoll, mit Träumen, wie wir sie alle kennen, nicht hochtrabend, aber doch meist rosarot. Potential und guter Wille steckt in fast allen, Liebe spielt dabei eine Rolle, Familie, Wohlstand, beruflicher Erfolg bei den Männern, ein gewisser Status bei den Frauen. Und damit ist auch der gesellschaftliche Rahmen, in denen sie sich bewegen, fest umrissen. Es sind meist die 50er und 60er Jahre, hier in seinem jüngsten buch geht Yates sogar zurück in die 40er, die Nachkriegsjahre. Vielleicht weil sie so besonders hoffnungsvoll, so voller Aufbruch waren. Auf jeden Fall sind es die Jahre vor den gesellschaftlichen Umbrüchen der 1968er, vor der Emanzipation, vor der sexuellen und bürgerlichen Freiheiten. Es waren, auch in den USA, enge Jahre, voll des gesellschaftlichen Drucks, der besonders auch auf den jungen Menschen lag, bestimmt vom Aufstiegswillen, beherrscht von Statusdenken und Wohlstandsstreben. Ehen wurden früh, nicht zuletzt um endlich auch Sex haben zu dürfen, geschlossen, scheiterten oft kläglich, wurden oft aber dennoch aufrecht erhalten.
So geht es auch den Protagonisten in Cold Spring Harbour, benannt nach dem kleinen Ort in New Jersey, der steht für das „alte Geld“, das dort zuhauf vertreten ist, aber auch für die, die nach „oben“ streben.
Gloria Drake ist eine solche Frau, typisch für Yates Personal. Ihre Lebensträume sind längst geplatzt, der vermögende Ehemann über alle Berge, liegen nun ihre Hoffnungen auf ihren beiden fast erwachsenen Kindern, wird die Fassade eines glücklichen Wohlstandslebens, wenn auch auf kleinstem Raum, aufrecht erhalten. Auch wenn dies nur noch mit zunehmendem Alkoholkonsum gelingt. Ein weiteres stets wiederkehrendes Motiv bei Yates, der doch außer einem (zumindest in seinem Empfinden und damals) Scheiternden auch ein massiver Alkoholiker war.
Ein massives Alkoholproblem, das natürlich genauso geflissentlch unter den Teppich gekehrt wird, hat auch Grace, die Ehefrau von Charles Shepard, ehemals bei der Army und massiv darunter leidend, dass seine Karriereträume durch das „zu frühe Enden“ des Krieges und eine Sehbehinderung scheitern ließ. Nun im Ruhestand kümmerst er sich aufopferungsvoll, aber zutiefst enttäuscht um seine kränkelnde Frau. Auch hier ist die große Hoffnung der blendend aussehende, aufstrebende Sohn Evan. Dieser hat aber auch bereits die ersten Enttäuschungen hinter sich. Seine übereilt geschlossene Liebesheirat mit Mary führt zwar zu einer Tochter, aber auch sehr bald zu einer Scheidung, da ist er kaum 20. durch Zufall treffen nun diese beiden strauchelnden Familien aufeinander, Evan wird Glorias Tochter Rachel heiraten. Wie diese zum Teil hoffnungsvollen, teils schon hoffnungslos gescheiterten, aber immer noch sehnsuchtsvollen Menschen aneinander abarbeiten, sich aneinander klammern, ist so psychologisch meisterhaft, so klar und nüchtern in der Sprache, in seiner Komplexität so eindrucksvoll wie in den besten Romanen von Richard Yates. So gnadenlos der Autor seine Figuren beobachtet und seziert, so viel Mitgefühl und Empathie hat er doch für sie alle. Es sind keine schlechten Menschen, keine Losertypen. Sie starten alle voller Hoffnungen und mit gutem Willen, und bleiben doch irgendwo auf der Strecke. Gescheitert am Alltag, an den gesellschaftlichen Normen, an den eigenen zu hohen Erwartungen. Und halten dem Leser, auch wenn er in ganz anderen Zeiten lebt, immer wieder den Spiegel vor. Wunderbar, dass wir nun alle Bücher von Richard Yates auf Deutsch vorliegen haben.
Richard Yates – Cold Spring Harbor
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Deutsche Verlagsanstalt November 2015,Gebunden, 240 Seiten, € 19,99