Wer Yasmina Rezas Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“, unlängst sehr erfolgreich von Roman Polanski verfilmt, kennt, dem sind die Protagonisten ihres schmalen Romans „Glücklich die Glücklichen“ vertraut.
Sie stammen alle aus dem gehobenen Bürgertum, sie sind Rechtsanwälte, Ärzte, Geschäftsleute oder Schriftsteller. Sie sind wohlsituiert, gesellschaftlich etabliert, erfolgreich und vordergründig glücklich. Vordergründig, den in fast allen gärt es, stauen sich enttäuschte Hoffnungen und überzogenen Glückserwartungen, Überdruss und Genervtheit. Kleine, völlig unbedeutende Begebenheiten führen dann oft zu unkontrollierten, pathetischen Ausbrüchen. Die sorgsam gehütete Fassade, die mühsam aufgebauten Lügengebäuden stürzen in sich zusammen und verdeckte Wahrheiten und verborgene Animositäten kommen zutage. Das überrascht dann meist nicht nur die Umwelt, sondern auch die Person selbst. Ist doch Selbstbetrug nicht selten der Grund auf dem so manches „Glück“ gebaut ist.
In „Glücklich die Glücklichen“ begegnen wir in 21 kurzen Episoden, die zugleich die Kapitel des Buches bilden, insgesamt 18 Menschen, die alle zumindest über verschiedene Ecken miteinander verwandt oder bekannt sind. Einen Reiz des Textes macht es aus, diese Verbindungen aufzuspüren und die unterschiedlichen Charaktere aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
So treffen wir im ersten Kapitel Odile, die mit ihrem Mann Robert im Supermarkt einen erbitterten Streit über den Einkauf vor allem der richtigen Käsesorte führt, der schließlich sogar in Handgreiflichkeiten ausartet. Ein Meisterstück der szenischen Inszenierung, so wie man dem gesamten Buch die Theaterkarriere der Verfasserin anmerkt. Das Kapitel ist aus der Sicht Roberts geschrieben, Odile ist die überspannte Hausfrau und Mutter, Robert zunehmend genervt davon. In den weiteren Kapiteln, die jeweils aus einer anderen Perspektive verfasst sind, begegnen wir Odile als langjährige Freundin, als erfolgreiche Rechtsanwältin, als Geliebte ihres Chefs und als Tochter zunehmend seniler Eltern. Wie in einem Reigen wechseln sich die Figuren ab, beleuchten sich selbst und die anderen. Durch den Kontrast der Selbst- und Fremdwahrnehmung entstehen interessante Blicke auf Menschen, die, aufgerieben zwischen Beruf, Ehe, Kindern, oft auch – typisch französisch – Liebhabern und den eigenen Glücksansprüchen, an diesen eher scheitern. Zugleich erlaubt der Text aber auch einen Blick auf diese spezifische gesellschaftliche Schicht. Und zeigt, dass das Glück oft dort liegt, wo man es gar nicht erwartet, oder auch gar nicht akzeptiert.
So ist die glücklichste Figur vielleicht der 19jährige Jacob, dessen Verehrung für die Sängerin Celine Dion soweit führte, dass er glaubt, Celine Dion zu sein. Auch in der psychiatrischen Klinik, in die die peinlich berührten Eltern ihn gebracht haben, gibt er freudestrahlend Autogramme und schützt seine empfindlichen Stimmbänder mit bunten Schals.
Er ist eine der Figuren, die auch nach dem Lesen der kleinen Episoden noch lange im Gedächtnis bleiben. Ähnlich wie das von der Autorin durch Kindermund mitgelieferte, mögliche Rezept zum Glücklichsein, das eben darin bestünde, „den Anspruch auf Glück auf das Minimum zu reduzieren.“
Am Ende sind die Protagonisten auf der Beerdigung eines von ihnen vereint. Trotzdem bleibt am Ende ein wenig das Gefühl des Unfertigen, der Beliebigkeit des Erzählten. Yasmina Reza verweilt zu oft nur an der Oberfläche, bemüht auch zu viele Beziehungs- und Geschlechterklischees. Vielleicht ist es das vielgerühmte „Leichte“ des Französischen, das hier trotz allem, auch beißenden Witz wenig Nachhaltiges zu bieten hat.
Yasmina Reza – Glücklich die Glücklichen