Juli Zeh – Unterleuten
Unterleuten heißt der kleine Ort, der zum Schauplatz von Juli Zehs neuem Roman, ehrgeizig als „Gesellschaftsroman“ betitelt, wird. Unterleuten bedeutet natürlich auch „Unter Leuten“, denn kaum wo kann man so schlecht untertauchen, in der Anonymität versinken, sich der Gemeinschaft entziehen wie in einem kleinen Dorf. Hier klappt die Überwachung bestens und lässt jegliche NSA-Attacken alt aussehen.
Aber taugt so ein kleines Kaff irgendwo in Brandenburg wirklich auch als Hintergrund für ein Gesellschaftspanorama der heutigen Zeit?
Ein klares Ja, nachdem man den nicht nur äußerst unterhaltsamen und spannenden, sondern auch sehr klugen Roman gelesen hat.
Sicher sieht hier das Leben ganz anders aus als in den Großstädten, natürlich schwebt hier am Horizont immer auch eine ostdeutsche, sprich DDR-Vergangenheit mit. Aber unsere Gegenwart ist sowieso zu vielschichtig, zu komplex und undurchschaubar, um sie in allen ihren Facetten zu erfassen. Der universale Gesellschaftsroman à la Balzac oder Fontane lässt sich heute vielleicht nicht mehr schreiben.
Da dient das Dorf als Mikrokosmos. Mit überschaubarem Personal und überschaubaren Beziehungen. Und Juli Zeh lässt allerhand „Auswärtige“ in die Dorfgemeinschaft einziehen, so wie es tatsächlich heute in vielen Gemeinden rund um Berlin geschieht.
Einige fliehen vor den Zumutungen der Großstadt, wie z.B. der ehemalige Professor Fließ, der mit seiner deutlich jüngeren Frau Jule, ehemalige Studentin, und Säugling auf dem Land noch einmal neu beginnen will, mit schönem Heim und als Naturschutzbeauftragter, zuständig für den Vogelschutz, namentlich den Schutz der wenigen verbliebenen Kampfläufer, während seine eigentlich emanzipierte, moderne Frau seit der Geburt fast ausschließlich um Wohl und Wehe der kleinen Tochter kreist.
Oder wie die taffe Pferdeflüsterin Linda Franzen, die, ständig um Selbstoptimierung bemüht, das ehrgeizige Projekt einer Pferdefarm zu verwirklichen sucht. Noch fehlen die finanziellen Mittel, aber Linda ist überzeugt, durch entsprechendes Auftreten und entsprechende Ellenbogen eigentlich alles erreichen zu können. Ihr Freund Frederick ist ihr da keine große Hilfe. Mit einem Bein steht er noch in Berlin, wo er in der IT-Firma seines Bruders einen nicht besonders lukrativen Job hat.
Diesen Zugezogenen stehen die „Einheimischen“ gegenüber. Deren Verflechtungen und Verstrickungen reichen weit zurück, tief in die DDR-Vergangenheit und sind für die Uneingeweihten oft nicht zu durchschauen. Sie kreisen immer wieder um die alte Feindschaft des Großbauern Gombrowski und des alten, verbitterten Kommunisten Kron. Deren gemeinsame Geschichte reicht bis in die Kindheit zurück und trägt als einen verschütteten, wunden Kern den zwanzig Jahre zurückliegenden Tod eines anderen Bewohner Unterleutens.
Die Spannungen in der Gemeinde sind greifbar, die Bewohner spalten sich in zwei Lager, der gutmütige Bürgermeister Arne Seidel tut was er kann, hat das Amt aber auch mehr von Gombrowskis Gnaden und leidet unter dem Tod seiner Frau Barbara.
Durch die Neubürger, die alle von eigenen, selbstsüchtigen Interessen getrieben werden, gerät das fragile Dorfleichgewicht in Schieflage. Vollends eskaliert die Situation, als eine Windkraftanlage auf dem Gebiet der Gemeinde gebaut werden soll. Wie man das so kennt, will selbst der vehementeste Naturschützer keine erneuerbaren Energien, wenn sie vor seiner Haustüre stehen, und immer bleibt da auch die Frage: Wer verdient letzten Endes daran?
Eine sehr problematische Dynamik wird da in Gang gesetzt, ein Kind verschwindet, Verdächtigungen, Verleumdungen, Intrigen kursieren und auch vor offener Gewalt wird nicht zurückgeschreckt. Am Ende ist nichts mehr so wie zuvor.
Mit insgesamt 11 Hauptpersonen, um die sich noch eine ganze Anzahl Nebenfiguren scharen, schafft Juli Zeh ein komplexes, faszinierendes Dorf- und Gesellschaftspanorama. Mögen manche davon ein wenig nach fest zugewiesenen Rollen klingen – Naturschützer, Kapitalist, Kommunist…- so entwickeln sie sich doch zu ganz vielschichtigen, überzeugenden Charakteren. Ganz ohne Klischees geht das nicht ab, aber auch das reale Leben ist nie ganz klischeefrei. Besondere Tiefe erlangen die Charaktere vor allem durch die Erzählweise, die zwar durch eine auktoriale Erzählerin, am Ende entpuppt sie sich als Journalistin, aber immer abwechselnd aus streng subjektiver Perspektive jeweils einer der Personen berichtet. So lernen wir die Figuren aus ganz verschiedenen Blickwinkeln kennen und auch ein Stück weit verstehen. Denn wenn man auch keine davon als Nachbarn oder gar Freund wünschen würde, sie alle sind keine durchweg schlechten Menschen. Sie wollen alle irgendwie nur das Beste, vorzugsweise natürlich zuerst einmal für sich und die Seinen. Und die ganzen schlechten Dinge, die daraus entstehen, sind nicht einmal gewollt. Dazu wird einmal das Goethe-Wort falsch zitiert.
„ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.“
Viele aktuelle Themen greift Juli Zeh in Unterleuten auf: Naturschutz, Land- sowie Stadtflucht, Selbstoptimierungswahn, Erneuerbare Energien, Bodenspekulation, Generationskonflikte, DDR-Altlasten, Familienmodelle und auch solche klassischen wie Freundschaft, Verrat, Schuld. Und auch wenn die Auffassung der Autorin deutlich herauskommt, wenn sie z.B. ihre Protagonisten sinnieren lässt
„Das kapitalistische System pflanzte einen Angstkern in die Seelen seiner Kinder, die sich im Laufe ihres Lebens mit immer neuen Schichten aus Leistungsbereitschaft panzerten.“
Oder
„Der Kapitalismus hatte Gemeinsinn in Egoismus und Eigensinn in Anpassungsfähigkeit verwandelt.“
Oder die Orientierungslosigkeit der „Ewigpubertierenden“, die den „Ach-so-komm-vorbei-Planeten“ bewohnen und sich doch insgeheim nach dem „Das-ist-so-nicht-hinnehmbar-Planeten“ sehnen.
Juli Zeh zeigt uns mit ihren Protagonisten auch andere Sichtweisen auf unterschiedlichste Gesellschaftsvorgänge, so die der pragmatischen Jungunternehmerin Linda Franzen und ihres Motivations-Gurus Manfred Gortz.
„Dass sich der Starke vor den Schwachen rechtfertigen soll, ist der faule Kern der demokratischen Idee.“
ist eine seiner Maximen. Und so propagiert er eine strikte Vorherrschaft des Stärkeren. Nicht zuletzt hat Juli Zehaut mit „Unterleuten“ auch einen politischen Roman geschrieben. Eine Gattung, an die sich immer weniger Autoren herantrauen, gerade auch im Bereich der unterhaltenden Literatur. Juli Zeh kennt sich zudem auch in der Spannungsliteratur aus und weiß Cliffhanger geschickt einzusetzen. Insgesamt also ein gut lesbares, aber alles andere als belangloses Stück Literatur. Aber auch der Gesellschaftsroman ist ihr ausnehmend gut gelungen.
Juli Zeh – Unterleuten
Luchterhand Literaturverlag März 2016, gebunden, 640 Seiten, € 24,99
Ich fand, dass Unterleuthen eine einzige Klischeesammlung war, mit nicht einem einzigen wirklich ausgearbeitetem Charakter, nicht einmal aus dem eigenen Milieu der Autorin. Man vergleiche etwa mit der tragenden Person bei Erpenbecks meisterhaftem „Gehen-ging-gegangen“ !
Das alles erstickt bei Frau Zeh bei kunstloser Sprache in Klischees und verbreitet auf Dauer grosse Langeweile.
Das Ganze wirkt so, wie der Wessi, der mal ein paar Monate im Osten war, sich die blöden Ossis vorstellt.
Reine Zeitverschwendung und fernab von wirklicher Literatur.