Meg Wolitzer – Die Interessanten
amWer hat sie nicht erlebt und erinnert sich zuweilen sehnsuchtsvoll an sie, diese endlos erscheinenden Sommertage, wenn man sehr jung ist. Der Sommer, die Ferien, das ganze Leben liegt vor einem. Eine unbestimmte Sehnsucht und zugleich die mehr oder weniger bange Hoffnung, zu etwas Besonderem berufen zu sein, mit dem Erwachsenwerden auch ein neues, interessanteres Leben zu betreten.
So geht es zumindest den 15jährigen in Meg Wolitzers Roman „Die Interessanten“, die sich im Jahr 1974 im Sommercamp „Spirit-in-the-Woods“ kennenlernen. Es ist ein Camp für künstlerisch interessierte Jugendliche und so wird fleißig getöpfert, gemalt, Musik gemacht und Theater gespielt. Zugleich werden hochtrabende Träume geträumt von der eigenen Zukunft, der Entfaltung der eigenen Kreativität. Sie wollen Musiker werden, Schauspieler, Tänzer, Regisseure oder Architekten. Und auch wenn es ein wenig ironisch gemeint ist, nennen sie sich so, wie der Romantitel lautet.
Sie, das sind das reiche, aus New Yorker Bildungsbürgertum stammende Geschwisterpaar Ash und Goodman Wolf, sie zart, freundlich und hilfsbereit, er eher roh, rücksichtslos und selbstverliebt; Cathy, die begabte Tänzerin, deren Körperentwicklung aber nicht ihren Träumen folgt; Jonah, der musikalische Sohn einer berühmten Folksängerin, ein wenig wohlstandsverwahrlost und auf unschöne Art und Weise der Musik entfremdet, dabei aber mitfühlend und sensibel; Ethan, der hochbegabte, aber linkische und unattraktive Trickfilmzeichner; und schließlich Jules, eigentlich Julie, die aus minder privilegierter Familie mit einem Stipendium ins Camp gelangt, auch um über den frühen Krebstod ihres Vaters hinwegzukommen.
Die Gruppe kommt sich schnell nahe, man spricht über die Themen, die einen als Jugendlichen nun mal interessieren, stellen sich aber auch existenziellen Fragen, diskutieren über Bücher und Politik. Der Leser kommt ihnen unterschiedlich nahe. Der auktoriale Erzähler schaut zwar abwechselnd in alle Köpfe hinein, führt aber Cathy und Goodman eher nebenher, hat wiederum Jules als heimlichen Fixpunkt, auch vielleicht, weil sie so Vieles mit ihrer Autorin gemeinsam hat, nicht nur Alter, sondern auch die Herkunft und vielleicht so manche Äußerlichkeit.
Drei Jahre lang treffen sich die jungen Leute jedes Jahr im Camp, sie werden gemeinsam erwachsen, dann führt ein schlimmer Vorfall dazu, dass sich die Clique beinahe auflöst. Aber Jules, Jonah, Ethan und Ash werden sich nicht aus den Augen verlieren, die beiden letzteren heiraten sogar. Die Geschichte folgt ihren Protagonisten nun über 35 Jahre hinweg. Das sind nicht nur Jahre der persönlichen Reifung, sondern auch Jahre der Rückschläge und Enttäuschungen. Jahre, in denen die einstigen Verheißungen und Versprechungen in immer weitere Ferne rücken, Ideale zerplatzen, Lebensziele immer wieder umformuliert werden müssen.
Nur der hochbegabte Ethan Figman schafft es in der Kreativbranche. Mit der Trickfilmserie „Figland“, die an die Simpsons erinnert, gelangt er zu Ruhm und unglaublichem Reichtum. Sozusagen in seinem Fahrwasser schafft es seine Frau Ash auch zu einiger Anerkennung als Regisseurin. Aber auch das ist Thema des Buches: Wieviel Ruhm davon ist ihrem Status als Ethans Frau geschuldet? Wie schwer haben es Frauen in der Kulturbranche, besonders als Regisseurin? Und in welchem Verhältnis stehen Talent/Begabung zu Privilegien/Beziehungen/Geld? Denn motiviert und talentiert waren sie Alle, damals im Camp. Jules hingegen muss ihre Schauspielträume begraben, arbeitet als Therapeutin und heiratet den bodenständigen, aber an einer Depression erkrankten Dennis. Ihre prekären Finanzverhältnisse im immer teurer werdenden New York führen zu Frustration und Neid und Eifersucht auf die hoch privilegierten Freunde. Auch ein Thema des Romans ist der anschwellende Kapitalismus der 80er und 90er Jahre, die Bedrängnis, in die seitdem vor allem auch der Mittelstand gerät.
Überhaupt spricht Meg Wolitzer eine Fülle an Themen an, wie z.B. Vergewaltigung, Aids, Feminismus, Depression, Autismus, Tod, Verrat, Lüge, aber auch den unglaublichen Wandel, den die Stadt New York von den 70ern bis heute durchgemacht hat. Das aber ebenso unangestrengt, wie sie 35 Jahre amerikanische Geschichte einfließen lässt, und von Nixons Rücktritt bis in unsere Zeit gelangt.
Meg Wolitzer erzählt Die Interessanten sachlich und klar, sehr unterhaltsam und voller Wärme und leisem Humor. Dabei arbeitet sie mühelos mit Zeitsprüngen und schreckt auch vor Ankündigungen für Zukünftiges nicht zurück. Es entsteht ein berührendes Porträt einer Gruppe von Freunden, überhaupt eine Geschichte über Freundschaft, über das Leben, die Träume, die ein jeder träumt und die Enttäuschungen, die unweigerlich kommen.
Man mag den Personen vorwerfen, dass sie ihre Rollen vielleicht ein wenig zu gut ausfüllen, zu wenig an Entwicklung durchmachen. Aber bleiben sich nicht die meisten Menschen im Großen und Ganzen ein Leben lang treu? Für mich waren „Die Interessanten“ zumindest interessant genug, um ihren Leben über 600 Seiten bewegt und anteilnehmend zu folgen. Ein tolles Buch!
Meg Wolitzer – Die Interessanten
Dumont Verlag August 2014, gebunden, 608 Seiten,
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