Olli Jalonen – Von Männern und Menschen

Olli Jalonen – Von Männern und Menschen

Olli Jalonen - Von Männern und MenschenEs ist der Sommer 1972. Doch weder Hippies, sexuelle Revolution, Frauenbewegung noch Hausbesetzerszene, nicht die zaghafte Annäherung von Ost und West in der Ära Brandt und auch nicht der Terrorismus z.B. der RAF, noch nicht einmal die Geiselnahme der Olympischen Spiele in München, spielen eine Rolle in Olli Jalonens Roman „Von Männern und Menschen“, der vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes – sein Name wird nicht genannt, lediglich seine Initiale „O“ – erzählt.
Das Fehlen all dessen, was einem vielleicht spontan zum Sommer 1972 einfallen könnte, liegt vor allem am Handlungsort, der tief in der finnischen Provinz liegt. Weit ab vom Rest Europas, weit ab aber auch von Helsinki findet das Leben in der Kleinstadt statt, Schule, Freundschaft, erste Liebe und sexuelle Erfahrungen bestimmen Os Leben wie das der meisten Altersgenossen überall auf der Welt. Und doch ist dieses Jahr für ihn ein ganz besonderes.
Seine Familie hat finanzielle Probleme, besonders seitdem der Vater schwer erkrankt ist und dadurch seine Arbeit verloren hat. Die Mutter versucht durch etliche Putzstellen die Einbußen aufzufangen, ganz wird ihr das nicht gelingen. Besonders das neue Auto muss abbezahlt werden.
Überraschend ist dabei die geringe soziale Absicherung im Finnland dieser Zeit, wie auch viele andere Lebensbereiche stark rückständig erscheinen. So ist z.B. die Rolle der Frauen im Buch erschreckend, die sich vor ihren oft alkoholisierten und recht brutalen Männern ducken. Auch die Infrastruktur auf dem finnischen Land lässt sehr zu wünschen übrig. Ebenso scheint die Bedeutung von Bildung noch nicht ganz angekommen zu sein. Alles Dinge, die, kennt man das Finnland von heute, überraschen.

So ist für die Familie des Erzählers und auch für ihn selbst klar, dass O früh von der Schule abgeht und Geld verdient, auch wenn er zu den besten Schülern gehört und ihm ein Stipendium in den USA angeboten wird. Das ist natürlich einerseits kurzsichtig, andererseits zeigt es ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl und Familiensolidarität beim siebzehnjährigen O. Da ist kein Aufbegehren, kein Widerstand. Über das gesamte Buch erscheint er fast überirdisch reif, vernünftig, ja teilweise aber auch ein wenig zu stoisch für sein Alter. Selbst seine sexuellen Experimente wirken irgendwie wie ein gelassenes Hinnehmen dessen, was sich gerade so ergibt. Das wirkt manchmal sogar etwas dumpf, auch weil sein gesamtes Umfeld, besonders die neuen Kollegen beim Job im Installationsbetrieb „Volles Rohr“ so stumpfsinnig sind, oft frauenfeindlich, brutal und dem Alkohol sehr zugeneigt.
Einzig das Radiohören, das O mit seinem Freund Jukka mit Passion betreibt, bringt ein wenig Welt in die Provinz. Radio Madrid, BBC oder Peking werden auf ihrem alten Weltempfänger gehört und bald auch ein eigener Radiosender geplant. Die Siebziger Jahre gelten auch als eine Hochzeit der Piratensender.
Für ihr Programm schneiden sie nicht nur Musik, sondern auch Reden des langjährigen Präsidenten Kekkonen recht willkürlich zusammen. Das bringt etwas Politik, die wohl im Finnland des Jahres 1972 recht turbulent gewesen war, ins Buch, z.B. durch diese Redeausschnitte, aber auch in Diskussionen, die fast ausschließlich die Männer führen. Für den in der finnischen Politik völlig unwissenden Leser, sind diese Abschnitte, trotz des klärenden Nachworts des Übersetzers Stefan Moster, eher unergiebig. Deutlich wird aber zumindest die damalige Nähe Finnlands zum Nachbarn Sowjetunion, die Grabenkämpfe, die sich Kommunisten und Konservative im Land lieferten.

Leider zieht sich die Handlung zumindest im ersten Teil des Buches manchmal etwas zäh dahin. Im weiteren Verlauf bessert sich das, bekommt durch die Liebesgeschichte Os mit Jukkas Schwester Karina und das Drama um den geistig zurückgebliebenen Rekku, zu dem O während seiner Arbeit ein enges Verhältnis entwickelt, der aber von den Eltern in eine geschlossene „Anstalt“ verbracht wird, aus der er fortläuft, mehr Fahrt und auch Emotionen. Dieser Rekku gibt auch indirekt den Titel des Buches vor. Er will „Mann sein, nicht Maus“ und bezieht sich dabei auf sein Lieblingsbuch, John Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“, auf das sich Olli Jalonen in Von Männern und Menschen immer wieder bezieht. Die Sorge um Rekku, das große Geschick, das O im Umgang mit dem Jungen zeigt und die unverhältnismäßige Verantwortung, die ihm dadurch aufgebürdet wird, zählen zu den berührendsten Momenten des Buchs.
Insgesamt ist der Roman aber sehr ruhig und gelassen erzählt, spröde und fast ein wenig emotionslos. Vielleicht eine Mentalitätsfrage.
Es erzählt von der finnischen Provinz der siebziger Jahre Dinge, die zumindest mir bisher nicht bekannt waren und zeichnet das Coming-of-age des Erzählers mit zurückhaltenden Strichen, immer auch mit einer Portion trockenem Humor. Das Ende bleibt in Vielem angenehm offen.

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