Dorit Rabinyan – Wir sehen uns am Meer

Dorit Rabinyan – Wir sehen uns am Meer

Dorit Rabinyan - Wir sehen uns am MeerNew York, Tel Aviv und Ramallah sind die Orte des Romans „Wir sehen uns am Meer“, der im Original mal wieder viel zutreffender „Borderlife“ betitelt ist. Denn es sind natürlich die Grenzen, die zwischen diesen Orten bestehen, die das Erzählte prägen.
Die junge Israelin Liat lebt vorübergehend in New York, hütet bei Freunden die Wohnung, übersetzt Fachliteratur und wird gleich in der Anfangsszene der amerikanischen Panik nach den Anschlägen auf das World Trade Center ausgesetzt. Es ist das Jahr 2002 und ein „aufmerksamer“ Bürger hat Liat den Behörden gemeldet, da sie in einem Café „merkwürdige Schriftzeichen“ in ihren Laptop eingegeben hätte. Das FBI steht vor der Tür und auch wenn sich der Vorfall schnell klärt, macht er doch bewusst, welche neuen Grenzen nun bestehen zwischen uns/den Amerikanern/den Westeuropäern und den Menschen, die irgendwie arabisch aussehen/so sprechen/so schreiben.
Liat, die Jüdin mit persischen Wurzeln trifft kurz darauf auf Chilmi, den palästinensischen Maler. Eine Liebe oder doch zumindest große gegenseitige Anziehung auf den ersten Blick. Und auch hier wieder unsichtbare Grenzen, die kaum überwunden werden können.
Während Chilmi sehr aufgeschlossen und liberal denkt, ist diese Beziehung für Liat kaum denkbar. Nicht nur wurde sie von klein auf vor „den Arabern“, besonders den arabischen Männern gewarnt und muss gegen eigene Vorbehalte kämpfen. Auch für ihre konservativen, traditionalistischen Eltern wäre eine solche Verbindung inakzeptabel. Liat versucht deshalb nicht einmal, zu ihrer Liebe zu stehen, verheimlicht Chilmi ihrem Zuhause und lebt von Anfang an eine “Liebe mit Verfallsdatum“.
Chilmi leidet darunter, dennoch gelingt es den beiden, in New York ein relativ unbeschwertes und glückliches Leben miteinander zu führen. Man arbeitet, liest, besucht Freunde, geht spazieren, hört Musik. Wären da nur nicht die sehr unterschiedlichen politischen Standpunkte. Besonders Liats, von den konservativen Eltern geprägten Standpunkte stoßen den palästinensischen Freund immer wieder vor den Kopf, auch wenn sie zeitweise erschüttert ist von dem Unrecht, das die Israelis im eigenen Land verüben.
Sehr eindringlich schildert Dorit Rabinyan in ihrem Roman den Israelisch-palästinensischen Konflikt und bricht ihn hinunter auf das Miteinander zweier Menschen.
Eines Tages läuft Liats Visum ab, ihre Heimreise und damit der endgültige Abschied von Chilmi steht bevor. Dieser beschließt zwar auch, in die Heimat zurückzukehren, aber wie schwer ein Wiedersehen sich dort trotz räumlicher Nähe gestalten würde, wird sehr deutlich. Trotzdem hofft man bis zum Ende auf eine Versöhnung der Welten, eine Überwindung der schier unüberwindlich scheinenden Grenzen in der israelischen Gesellschaft, aber mindestens ebenso in den Köpfen der Menschen. Das Schicksal will es anders.
Dorit Rabinyan hat ein eindrückliches, berührendes und erhellendes Stück Literatur geschaffen, das nicht nur den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Thema hat, sondern auch eine tragische Liebesgeschichte ganz ohne Pathos erzählt.
Schade, dass das Buch vom israelischen Erziehungsministerium von der Liste der Lektüren für Abiturienten gestrichen wurde, weil es „die Assimilation fördere“. In heutiger Zeit, da gerade das Gegeneinander der Kulturen und Völker so viel Ungutes auf die Welt bringt, ist ein Stück Assimilation, das Aufeinanderzugehen und das Miteinander doch nur zu begrüßen, lesens- und lehrenswert.

Dorit Rabinyan – Wir sehen uns am Meer

Kiepenheuer&Witsch August 2016, gebunden, 384 Seiten, 19,99 €

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