Henning Mankell – Die schwedischen Gummistiefel
Ein letzter Roman von Henning Mankell – da ergreift die Leserin, die über 25 Jahre hinweg immer wieder Bücher des Autors gelesen und geliebt hat, eine gewisse Wehmut.
Wehmut, ja Schwermut sind auch die Grundstimmungen in „Die schwedischen Gummistiefel“, die Mankell bereits mit seiner Krebsdiagnose verfasst und kurz vor seinem Tod im Oktober 2015 veröffentlicht hat.
Die Geschichte knüpft nicht nur im Titel an den 2007 erschienen Roman „Die italienischen Schuhe“ an. Darin wurde von dem alternden Chirurg Fredrick Welin erzählt, der nach einem fatalen Kunstfehler den Beruf aufgibt und sich in die Einsamkeit einer Schäreninsel zurückzieht. Eines Tages steht seine ehemalige Lebensgefährtin Harriet vor der Tür (genauer gesagt mit dem Rollator auf dem Eis) und will ihn, sterbenskrank, nicht nur noch einmal sehen, sondern präsentiert ihm auch die gemeinsame Tochter Louise, von der er bislang nichts wusste.
War auch in dieser Geschichte die Grundstimmung eine melancholische, war Welin auch damals einsam, menschenscheu, wenn nicht gar menschenfeindlich, voll einer unbestimmten Wut, mit einem schwierigen Verhältnis zu seiner Umwelt belastet, so steht über den „Schwedischen Gummistiefeln“ von Beginn an die bereits im Motto, einem Zitat aus dem Rolandslied, erwähnte Trauer.
„Viel hat der gelernt, der die Trauer kennt.“
Gleich zu Anfang verliert Fredrick Welin sein Haus und seine ganze Habe bei einem fatalen Brand, dem auch er nur um ein Haar entkommt. Er steht nicht nur ohne alles Materielle da, sondern wird auch noch der Brandstiftung verdächtigt. Allerdings nur solange, bis das nächste Haus im Schärengarten in Flammen aufgeht. Da ist Welin allerdings bereits bis in seine Grundfeste erschüttert. Die Welt erscheint ihm schon lange zunehmend unbegreiflich, er ist fest verankert im alten Jahrhundert, Dinge wie Internet scheinen für ihn nicht zu existieren. So gestaltet sich auch die Beschaffung jenes Paars Gummistiefel als extrem schwierig, von denen den heutigen Menschen vermutlich nur ein Klick im World Wide Web trennt. In Schweden gefertigt müssen sie sein. Immer wiederkehrende Spitzen gegen in China gefertigte Massenware kann sich der Autor nicht verkneifen.
Henning Mankell greift mit Die schwedischen Gummistiefel das Motiv des Vorgängerromans auf, in dem am Ende ein Paar wunderschöner, traditionell handgefertigter „Italienischer Schuhe“ auf Welins Insel ankommen – auch damals schon ein Symbol für eine hoffnungsvollere Zukunft. Auch die Schwedischen Gummistiefel werden – so viel sei verraten – am Ende eintreffen.
Bis dahin wird sich Fredrick Welin der Vorwürfe, sein Haus selbst angezündet zu haben, erwehren müssen, wird sich in die 30 Jahre jüngere Journalistin Lisa Modin verlieben, von der Schwangerschaft seiner Tochter Louise erfahren, diese in Paris nicht nur aus dem Gefängnis holen, in das sie nach einem Taschendiebstahl gelangte, sondern auch ihren Mann und dessen Familie kennenlernen, zwei Todesfälle zu betrauern haben und viel mit dem Boot durch den Schärengarten gefahren sein.
Die Schärenlandschaft ist so etwas wie eine zusätzliche Hauptprotagonistin im Roman. Mankell beschreibt sie immer wieder äußerst eindrucksvoll und poetisch und sie passt in ihrer herbstlichen Stille perfekt zu der Ruhe, Melancholie und nachdenklichen Bedächtigkeit, mit der Mankell erzählt. Auch wenn von einem ganzen Jahr berichtet wird, befindet man sich als Leser gefühlsmäßig immer in dieser Herbststimmung.
Denn wenn auch ziemlich viel geschieht, sind die eigentlichen Themen, um die es geht, das Vergehen der Zeit, das Altern, der Tod und die Frage nach dem Neuanfang. Bis wann ist dieser möglich, ergibt er noch einen Sinn, hat man überhaupt noch die Kraft dafür? Fragen, die sich Welin nach dem Verlust von Hab und Gut ganz konkret stellen, die aber auch in existenzieller Form bestehen. Bisher war für ihn
„das Altern (…)ein Nebel, der still übers Meer herangezogen kam.“
Nun fühlt er
„Der Schritt über die unsichtbare Grenze zu tun, war das Äußerste, was mir noch im Leben blieb. Es war ein Schritt, den ich fürchtete, mehr als ich es geahnt hatte.“
Auch wenn das Buch sehr versöhnlich und sogar hoffnungsfroh mit der Geburt der kleinen Enkelin, dem Wiederaufbau des Hauses und sogar dem Eintreffen der ersehnten Gummistiefel endet, bleibt der berührten Leserin ein dicker Kloß im Halse stecken. Oder vielleicht gerade deshalb. Weiß sie doch, dass es für den wunderbaren Autoren Henning Mankell diesen Neuanfang nicht gab.
„Bald würde der Herbst kommen. Aber die Dunkelheit schreckte mich nicht mehr.“