Daria Bignardi – So glücklich wir waren

Daria Bignardi – So glücklich wir waren

Daris Bignardi - So glücklich wir waren

„Almamaio, das ist der Klang meines früheren Lebens, jenes glücklichen.“

„Aal-maa-maa-ioo“ so erschallte es, wenn die Mutter nach ihren beiden Kindern rief. Alma und Maio, nur ein Lebensjahr auseinander, hatten von Beginn an eine symbiotische Beziehung. Keiner konnte ohne den anderen, mit Maios späterer Freundin Michela bildeten sie eine Dreierbande.

Eine Freundschaft die bis zu jenem Abend unzerstörbar schien, an dem Alma die Idee hatte, einmal Heroin auszuprobieren. Eine Provokation, eine Eskapade, eine verrückte Idee für sie, der Beginn einer zerstörenden Drogensucht für Maio und am Ende der Bruch zwischen Geschwistern und Freunden.
Denn eines Abends verschwindet Maio spurlos. Alma hatte sich bereits von ihm abgewandt, fast erbost über „seinen Weg.“ Die Mutter, eine Apothekerin, versuchte vergeblich, ihrem Sohn mit Ersatzdrogen selbst zu helfen, sei es weil sie wusste, dass er an einer Entziehungskur zerbrechen würde, sei es, um die Angelegenheit zu vertuschen. Der Vater, selbst ein schwacher, zu Depressionen neigender Charakter, hat einfach nur weggesehen.
Und nun, wie so oft, zerbricht die Familie. Alma gibt sich die Schuld an der Drogensucht ihres Bruders, die Mutter zieht sich in sich selbst zurück, der Vater fällt in einen untypischen Aktionismus, versucht verzweifelt, Maio zu finden. Schließlich siegen Verzweiflung und Depressionen, er erschießt sich.

Diese furchtbaren Fakten erfahren wir relativ früh. Alma hat sich entschlossen, nach jahrzehntelangem Schweigen endlich mit ihrer Tochter Antonia über dieses Familienschicksal zu sprechen. Diese ist schwanger, Kriminalschriftstellerin und ihr Spürsinn  herausgefordert.
Was steckt hinter Maios Verschwinden? Ist er tatsächlich tot? Sie entschließt sich, aus ihrer Heimatstadt Bologna nach Ferrara zu reisen, dem Kindheitsort der Mutter.
Der Leser erfährt fortan peu à peu die näheren Umstände, und zwar abwechselnd aus der Sicht Almas, die mehr in der Vergangenheit weilt, und Antonias, die ihrer Mutter helfen will, ihre quälenden Selbstvorwürfe zu bekämpfen. Das Schweigen der Mutter, Schutz Almas oder Selbstschutz, können die beiden dabei aber nicht überwinden. Es dauert schon zu lange an.
In Ferrara erfährt Antonia einige neue Tatsachen, nimmt Kontakt zu damaligen Bekannten auf, durchstreift die Stadt. Sie erfährt dabei einige Neuigkeiten, die die alte Geschichte in ein ganz neues Licht tauchen. Aber soll sie diese ihrer Mutter mitteilen oder ist Schweigen doch manchmal die bessere Alternative, zumal die Mutter endlich ihren Frieden gemacht zu haben scheint?
Es ist Frühling in Ferrara. Noch hat die Sonne nicht diese südländische Kraft, noch hängen Nebel über der Stadt, wehen Stürme an der ausgestorbenen Küste. Ein perfektes Setting für die geheimnisvolle, melancholische Stimmung, die überwiegend auf dem Buch liegt.

Daria Bignardi ist in So glücklich wir waren eine Meisterin der atmosphärischen Schilderung. In einer schnörkellosen, aber äußerst fesselnden Sprache erzählt sie ihre Geschichte um Schuld und Schuldgefühle, die Schatten der Vergangenheit, Geborgenheit der Familie und Einsamkeit des Einzelnen, Wahrheit und Verschweigen. Dabei zeichnet sie psychologisch eindrucksvolle Porträts und entwickelt nicht zuletzt durch die kriminalistischen Elemente eine ungeheure Sogkraft.

Am Ende steht die Hoffnung, dass mit Antonias Kind eine neue Generation ganz frei von den verschwiegenen Familiengeheimnissen aufwachsen kann.

Daria Bignardi – So glücklich wir waren

Insel Verlag September 2016, gebunden, 317 Seiten, € 22,-

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