Margriet de Moor – Schlaflose Nacht
Die erzählte Zeit in der bereits 1989 im Original und 1994 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Auf den ersten Blick“ und nun in neuer Übersetzung als „Schlaflose Nacht“ erscheinender Novelle von Margriet de Moor umfasst, ganz wie der Titel verrät, nur eine Nacht. Es sind sogar nur einige wenige dieser Nachtstunden, genau so lange, wie die Zubereitung von Herrnhuter Sandküchlein, Apfelkuchen, Bretonischer Schinkenquiche und Russischem Napfkuchen dauert.
Denn die bis zum Ende der Novelle unbenannte Ich-Erzählerin leidet in dieser Nacht unter einer ganz besonders hartnäckigen Schlaflosigkeit.
Durchwachte Nächte sind für sie seit „damals“ eigentlich die Regel. Manchmal versucht sie ihnen in den Armen von durchs Internet gemachten Männerbekanntschaften zumindest für ein paar Stunden zu entfliehen. Und tatsächlich liegt auch in diesem Moment ein Mann in wohlig sattem Schlaf in ihrem Bett.
Allein in dieser Nacht gelingt diese Art der Betäubung nicht, kommen ihr, vielleicht gerade weil sie mit dem Unbekannten eine ungewohnte Nähe verspürte, sie ihm über die sonst üblichen Maße zugetan war, kommen ihr massiv Gedanken an „damals“, die sie doch gerade durch das Befriedigen ihrer sexuellen Bedürfnisse zu betäuben versucht.
„Damals“, das war die kurze, selige Zeit ihrer Liebe zu und Ehe mit Ton, die fürs Leben gedacht war und doch nur 14 Monate dauerte, ihr „Lebensmensch“, den sie doch so wenig kannte, dass sie völlig überrumpelt wurde von seinem Selbstmord. Kein Abschiedsbrief, kein noch so gründliches Wühlen haben ihr seitdem erklären können Warum, was da geschah.
Auch zwanzig Jahre später raubt ihr das im wahrsten Sinne des Wortes den Schlaf.
„Ein ganz normaler Mann, der keine eineinhalb Jahre meines Lebens mit mir geteilt hat, hatte sich nach einem Schuss in einem Treibhaus in ein wahnsinnmachendes Geheimnis verwandelt.“
Nun in ihrer Küche schweifen ihre Gedanken zu der kurzen glücklichen Zeit mit Ehemann Ton, der Zeit nach seinem Selbstmord, ihren späten Bemühungen, ihn gewissermaßen nachträglich kennenzulernen.
Margrit de Moor erzählt von dieser „unerhörten Begebenheit“ in ihrer bekannt virtuos nüchtern-klaren Sprache. Psychologisch genau und behutsam, wie auf leisen Sohlen. Wenn der Kurzzeitwecker klingelt, schließlich auch der Napfkuchen gar ist, weiß die Ich-Erzählerin auch nicht mehr als zuvor. Aber eine weitere schlaflose Nacht ist überstanden.
Margriet de Moor – Schlaflose Nacht
Hanser Juli 2016, gebunden, 128 Seiten, € 16,-