Lauren Groff – Licht und Zorn
„Zorn ist mein Nachtmahl: so mich selbst verzehrend,
verschmacht ich an der Nahrung.“
Ein Zitat aus Shakespeares „Coriolanus“, das im hintersten Viertel von Lauren Groffs Roman „Licht und Zorn“ auftaucht und für mich genauso für den gesamten Text steht wie der Titel.
Es ist ein unbändiger Zorn, der am Anfang mehr erahnt werden muss, kurz aufblitzt, aber spätestens in der zweiten Hälfte immer mehr Herrschaft gewinnt, über die Seiten, die Personen, das Geschehen. Woher dieser Zorn stammt, sei hier nicht näher verraten, er ist Teil der überraschenden Wende, die die Geschichte im Verlauf nimmt.
Der Zorn ist vom Ausmaß einer antiken Tragödie, auf die im Text auch immer wieder einmal angespielt wird und die im amerikanischen Originaltitel ihren Niederschlag findet. „Fates and furies“ heißt es da, man könnte es übersetzen mit „Schicksale und Zorn“ und wäre damit näher beim deutschen Titel. Gemeint sind aber wohl eher die Parzen (Fates) und die Furien, römische Schicksals- und Rachegöttinnen. Trotzdem ist der deutsche Titel gut gewählt, denn neben dem Zorn ist das Licht, das Strahlende, ja auch das Unbekümmerte Teil dieses komplexen Romans.
Doch von was wird eigentlich erzählt?
„“Welch Dunkel hier!“ singt Florestan in Beethovens Fidelio, einer Oper über eine Ehe.“
Es ist eine Ehegeschichte, die hier vor uns ausgebreitet wird. Lancelot Satterwhite, selbstbewusster, gut aussehender Spross einer äußerst wohlhabenden Familie aus Florida, dem Zeit seines Lebens nicht nur alle Steine aus den Weg geräumt, sondern auch eine glänzende Zukunft vorausgesagt wurde, steht für das Licht. Das Licht, das er in jeder Gesellschaft, in jeder Situation um sich herum zu verbreiten scheint. Kein Kind von Traurigkeit, ein wahrer „Womanizer“, schnappt sich jede Frau, die er kriegen kann, und derer sind es wahrhaftig nicht wenige. Dabei strahlt er aber eine kindliche Naivität aus, ein Grundvertrauen in eine Welt, die sich ausschließlich um ihn zu drehen scheint.
„Jeder verhielt sich freundlich und gefällig, und in Ermangelung anderer Vorbilder bemühte sich Lotto ebenfalls um Freundlichkeit.“
Dabei hat auch er dunkle Zeiten erlebt, als sein Vater viel zu früh und überraschend verstarb. Die Beziehung zu seiner Mutter wurde dadurch enger, aber auch deutlich komplizierter, spätestens als Lotto sich mit „falschen Freunden“ abgab, mit Mädchen, mit Drogen experimentierte. Die Verbannung auf ein weit entferntes College war die Folge.
Auf einer Uni-Fete trifft Lancelot, Lotto genannt, Ende der Achtziger Jahre auf Mathilde, eine zurückgezogene, leicht rätselhafte Schönheit, anscheinend ohne jegliche Familie. Ein „Coup de foudre“, zwei Wochen später wird geheiratet. Die gekränkte Mutter lehnt die Verbindung ab, entzieht Lotto jegliche Unterstützung, enterbt ihn quasi. Nach Jahren der Erfolglosigkeit als Schauspieler wird Lotto als Drehbuchschreiber reüssieren. Die Ehe zu Mathilde, die er als Inbegriff der Güte und Reinheit regelrecht verehrt, ist gleichwohl sehr stark auf körperlicher Anziehung basierend, Sex spielt darin die Hauptrolle (viel Sex!), besonders vom Ende her gesehen sind es zwei Egoismen, die hier aufeinander treffen, trotzdem wird sie sich als erstaunlich beständig, belastbar und glücklich erweisen.
Soweit, so gut. Der weitere Verlauf der Handlung soll nicht vorweggenommen werden, erfährt er doch manche überraschende Wendung (vielleicht sogar die ein oder andere unglaubliche Wendung und leicht schräge Metapher zu viel) und entwickelt gegen Ende sogar so etwas wie kriminalistische Spannung.
Was Lauren Groff in ihren psychologisch sehr komplexen Roman hinein packt ist Einiges. Es werden Fragen diskutiert wie die, wieviel wir eigentlich von einem anderen Menschen, und sei er uns auch der Nächste, tatsächlich wissen können. Es werden typische Geschlechterrollen inspiziert zwischen männlicher Egozentrik und weiblicher Selbstauflösung.
„Frauen in Geschichten wurden immer durch ihre Beziehungen definiert.“
Frühkindliche Verletzungen spielen eine Rolle und unterschiedliche Lebensmodelle, die Ehe natürlich, Familie, der Lauf der Zeit, Depression, Abhängigkeit und, wie gesagt, Zorn und Rache. Was bei einer so gesellschaftlich engagierten Autorin wie Lauren Groff verwundert, ist das weitgehende Fehlen jeder tagespolitischen oder überhaupt politischen Ebene.
Dabei ist Groffs Art, zu erzählen fast kühn zu nennen. Sie verzichtet auf jede Sympathieboni für ihre Figuren, sie springt munter in den Zeit- und Handlungsebenen hin und her, lässt eine kommentierende Stimme, gesetzt in Klammern (bei erzählenden Texten meist ein Tabu) ergänzen, korrigieren, vorgreifen und relativieren. Diese Stimme nimmt ein wenig die Rolle des griechischen Chors ein, wobei wir wieder bei der antiken Tragödie, den Parzen und den Furien wären. So heißt es zum Beispiel einmal über Mathilde und Lotto:
„Halten Sie sie vor Ihrem inneren Auge so fest: jung und schlank, wie sie im Dunkeln auf dem Weg ins Warme förmlich fliegen über den kalten Sand und die Steine. Wir werden bald zu ihnen zurückkehren.“
Dieser Kommentar schreckt auch nicht vor Blicke in die weite (auch des Lesers) Zukunft, wenn sie von den Protagonisten im hohen Alter spricht.
Erzählt ist der Text in zwei Teilen. Der erste ist Lotto gewidmet, seine Sicht auf die Welt und seine Ehe ist es, die ihn bestimmt. Ganze Abschnitte werden zeitlich an die Titel seiner jeweils zur Aufführung kommenden Theaterstücke angelehnt. Erfolg, Anerkennung, Bestätigung ist das, was zählt, gleichzeitig herrscht aber eine gewisse Selbstgewissheit, was im Text durch ein ruhigeres, breiteres Erzählen, auch längere Kapitel spürbar ist. Lotto fühlt sich wohl in seiner Welt(sicht), posaunt in einer öffentlichen Talkshow, wie gerne seine Frau ihm den Rücken freihält, kocht und putzt (und kommt erst auf Nachfrage darauf, dass es seine Frau war, die in Zeiten seiner schauspielerischen Erfolgslosigkeit das Geld herbeigeschafft hat. Kommt bekannt vor?
Der zweite Teil ist Mathilde gewidmet und führt hinter den Zorn, der in ihr tobt. Er ist gekennzeichnet durch mehr Rasanz, Spannung, sehr kurze Kapitel. Sie ist durchaus nicht das „Opfer“ in dieser Ehe, wie man vielleicht glauben könnte.
Dieser abgründige, einerseits schonungslos genaue Blick auf die Institution Ehe, der aber so gar nichts mit Romantik oder rosaroter Glückseligkeit zu tun hat, andererseits diese Ehe aber auch als sehr beständig und glücklich schildert, einmal als „Rettungsanker“ bezeichnet wird, mündet in der Erkenntnis:
„Diese leise Vertrautheit war es, die ihre Ehe ausgemacht hatte, nicht die Zeremonien, die Partys, die Premierenabende, Festtage oder spektakulärer Sex.“
Lauren Groff ist mit „Licht und Zorn“ ein außerordentlich gekonnt konstruierter und mit spannenden Themen handelnder Roman gelungen. Nicht nur die Tatsache, dass er zu Barak Obamas Lieblingsromanen zählen soll, macht ihn dadurch zu einer nachdrücklichen Leseempfehlung.
Lauren Groff – Licht und Zorn
Hanser Berlin August 2016, gebunden, 432 Seiten, € 24,-
Den hab ich auch noch auf der Liste. Nächstes Jahr dann…