Françoise Frenkel – Nichts, um sein Haupt zu betten
„Aber, Madame, Sie scheinen mir das politische Klima im gegenwärtigen Deutschland nicht zu kennen!“
rief der französische Generalkonsul, die Arme zum Himmel erhoben aus, als ihm Françoise Frenkel ihren Plan, im Jahr 1921 in Berlin eine französische Buchhandlung zu eröffnen unterbreitete. Der Erste Weltkrieg war noch nicht lange beendet, es war die Rede von der „Schmach von Versailles“, die Dolchstoßlegende kursierte und rechte Kräfte rotteten sich bereits zusammen. Die Stimmung in der Stadt und ganz Deutschland war alles andere als frankophil.
„Man wird Ihnen den Laden zertrümmern!“
prophezeite der obige Herr.
Dass es erst viele Jahre später tatsächlich so kommen würde, konnte die geborene Polin und Jüdin Frymeta Idesa Frenkel, die in Paris studierte und Frankreich und seine Literatur über alles lieben lernte, nicht wissen. Und so machte sie sich mit viel Herzblut und Sachverstand an die Gründung der „Maison du livre“, die einst dort stand, wo sich heute das KaDeWe breitmacht. Zunächst von der großen russischen, dem Französischen traditionell zugeneigten Gemeinde frequentiert, wuchs die Kundenzahl der Buchhandlung beständig an und entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte. Schöne Passagen des Buches widmen sich der Beschreibung dieses Ortes der Literatur und der Bücherliebe seiner Inhaberin.
Schwierig wurde es spätestens 1935, als immer neue schikanöse Bestimmungen den Geschäftsalltag behinderten. Doch Françoise Frenkel harrte, nicht zuletzt durch die Unterstützung des französischen Staats ermutigt, aus. Erst wenige Tage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs floh sie zurück nach Paris. Laden und Bücher wurden beschlagnahmt.
Nur 9 Monate später musste Frenkel erneut vor den anrückenden deutschen Truppen fliehen. Über Avignon ging es nach Nizza.
Südfrankreich war damals der Fluchtpunkt unzähliger Juden aus ganz Europa. Auch viele Schriftsteller waren darunter und warteten auf die endgültige Rettung. Deshalb sind Zeugnisse, wie z.B. Lion Feuchtwangers „Der Teufel in Frankreich“ oder Anna Seghers Roman „Transit“, nicht rar. Manch Leser wird deshalb vielleicht mit einem „Nicht schon wieder“ über dieses schmale Buch hinwegsehen. Aber abgesehen davon, dass es solche Zeugnisse dieser ungeheuerlichen Zeit gar nicht genug geben kann, ist Frenkels Erinnerungsbuch eben auch etwas ganz Besonderes.
Die Autorin war tief durchdrungen von ihrer Liebe zu Frankreich, seiner Kultur und seinen Menschen. Sie sah dennoch genau hin. So wie sie die allmähliche Verfinsterung in Berlin verzeichnete und doch ihrem Laden, ihren Kunden, den Berlinern bis es gar nicht mehr ging treu blieb, so sah sie trotz all ihrer Sympathie doch auch die Kollaborateure unter den Franzosen, diejenigen die sich aus niedriger Gesinnung, zum persönlichen Vorteil oder oft auch einfach nur aus Gedankenlosigkeit gemein machten mit den deutschen Besatzern. Aber eben auch die vielen uneigennützigen Helfer, die wie das Friseur-Ehepaar Marius unter Gefährdung des eigenen Lebens halfen und Frenkel nach einer Razzia in ihrem Hotel, der sie nur durch Zufall entging, Zuflucht anboten, Unterschlüpfe organisierten. Deshalb war die Intention der Autorin auch klar:
„Es ist die Pflicht der Überlebenden, Zeugnis abzulegen, damit die Toten nicht vergessen, noch Hilfsbereitschaft und Aufopferung Unbekannter missachtet werden“.
Mit Hilfe dieser Menschen ist Françoise Frenkel nach zwei missglückten Versuchen, Verhaftung und Internierung in Annecy, schließlich doch die Flucht in die Schweiz gelungen. Ein Schweizer Visum hatten ihr Freunde mehrmals besorgt. Dort am Vierwaldstädter See schrieb sie 1943-44 diese Erinnerungen nieder.
„Ich widme dieses Buch den MENSCHEN GUTEN WILLENS, die hochherzig, mit unermüdlicher Tapferkeit, ihren Willen der Gewalt entgegengestellt und Widerstand geleistet haben bis ans Ende.“
Man merkt diesem Erlebnisbericht, denn das ist er in erster Linie, wenn auch manche Beschreibungen durchaus literarisch sind, an, dass er schnell, unter dem Eindruck der unmittelbaren Ereignisse niedergeschrieben wurde. Es fehlt manchmal der Gesamtblick, der uns als Nachgeborenen natürlich gegeben ist. Dafür schildert Françoise Frenkel sehr eindrücklich den Flüchtlingsalltag. Etwas, das, wenn auch unter anderen Kontexten, anderen Dimensionen, leider auch mehr als siebzig Jahre nach den geschilderten Ereignissen in so vielen Teilen der Welt aktuell ist. Sie malt auch ein authentisches, informatives Panorama des damaligen Vichy-Frankreichs. Und singt ein Loblied auf all die uneigennützigen Helfer, die es trotz allem gab.
Nichts, um sein Haupt zu betten von Françoise Frenkel erschien erstmals 1945 in einem Schweizer Verlag, blieb aber weitestgehend unbekannt. Die Geschichte seiner Wiederentdeckung ist für sich interessant. Durch Zufall auf einem Trödelmarkt in Nizza entdeckt und einem Verlag anempfohlen, war es ausdrücklich eine französische Bloggerin, die die Autorin über ihr blog im Netz bekannt machte. Nicht zuletzt war es auch das Interesse des Nobelpreisträgers Patrick Modiano, das dem Buch zu Gute kam. Er steuert ein Vorwort bei, und wer das Werk Modianos kennt, kann nicht verwundert sein, dass dieses Buch ihn ansprach. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre, dieses französische Grenzgebiet zur Schweiz, die immer wieder auch in seinen Büchern auftauchen, aber auch die leicht geheimnisumwitterte Figur der Autorin, von der es offenbar kein einziges Foto gibt und über deren weiteres Leben nur bekannt ist, dass sie 1958 in Berlin einen Wiedergutmachungsantrag stellte und 1975 in Nizza verstarb, passen zu Modiano. So stellt er auch zu Recht die Frage, warum Frenkel in ihren Aufzeichnungen mit keinem Wort ihren Ehemann Simon Raichenstein erwähnt, mit dem sie bis 1933 die Buchhandlung gemeinsam betrieb bevor dieser nach Paris zurückkehrte und 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Auch viele andere Details über ihr Leben, zum Beispiel ihre Familie, ihre Kindheit in Polen bleiben unerwähnt.
Aber Françoise Frenkel wollte vielleicht einfach nur, gemäß ihrer Widmung, ein Erinnerungsbuch an diese schreckliche Zeit schreiben. Und vielleicht waren die Wahrheiten, die nach 1945 immer deutlicher wurden in ihrer Ungeheuerlichkeit, so groß, dass auch diese Autorin davor verstummte.
Wir können es nicht wissen. Aber wir können dieses bewegende und fesselnde Zeitdokument lesen. Immer wieder und gerade heute, wo die Generation der Zeitzeugen so langsam verschwindet.
Schon witzig, dass wir das buch gerade gleichzeitig in Händen hatten …So bekommt es hoffentlich noch viele Leser …
Und davor die Schenk…
Du bringst gerade lauter Rezensionen zu Büchern, die ich selber auch im Auge habe 🙂 Ach, könnte man dazu gleichzeitig auch das Buch selbst einsaugen … weil man gar nicht die Zeit hat, alles zu lesen, was einen interessiert und von anderen so interessant vermittelt wird …
Darüber hinaus nennst du noch ein Feuchtwanger-Buch, das auch schon viel zu lange hier ungelesen im Regal steht. Ich beantrage ab sofort mehr Lesezeit!
Würde ich dir gerne bewilligen, die zusätzliche Lesezeit. Leider habe ich da auch noch keine geheime Quelle entdecken können. Ich hatte mal eine richtige Feuchtwangerphase in den 80ern und fast alles von ihm gelesen. Dieses Buch hat mich damals besonders beeindruckt. Als junger Mensch wusste ich gar nicht, wie schwierig das Entkommen aus Nazi-Deutschland doch war.