John Fante – 1933 war ein schlimmes Jahr

John Fante - 1933 war ein schlimmes Jahr

John Fante – 1933 war ein schlimmes Jahr: Ein kleines Buch kommt groß heraus. Spätestens durch das 4:0 im Literarischen Quartett „geadelt“, bekommt dieses nur 144 Seiten starke Buch, eher eine Erzählung als ein Roman, endlich eine größere Aufmerksamkeit.

Erschienen ist es im Original 1985 posthum und bereits 1986 in deutscher Übersetzung, damals im Eichborn Verlag unter dem Titel „Es war ein merkwürdiges Jahr“. Vielleicht glaubte man, durch das Nennen der Jahreszahl 1933 im deutschsprachigen Raum falsche Assoziationen zu wecken. Auch Fantes andere Werke sind auf Deutsch veröffentlicht worden sind, vorwiegend im Goldmann Verlag. Diese nur noch antiquarisch zu bekommenden Exemplare erzielen mittlerweile hohe Preise, was das Interesse des Lesepublikums wiederspiegelt und hoffentlich zu weiteren Neuauflagen führen wird. Seit 2003 zeichnet der Schweizer Autor Alex Capus für die Übersetzung verantwortlich, so auch für „1933 war ein schlimmes Jahr“.

 

Darin erzählt uns Dom(inic) Molise aus seinem Leben. Und er startet gleich zu Beginn voll durch:

„Ich war hier in Roper, Colorado, und wurde von Minute zu Minute älter. In sechs Monaten würde ich achtzehn werden und die Highschool abschließen. Ich war vierundsechzig Inches groß und in den letzten drei Jahren kein Stück gewachsen. Ich hatte Säbelbeine und drehte die Füße beim Gehen nach innen. Meine Ohren standen ab wie die von Pinocchio, meine Zähne waren schief, und mein Gesicht war gesprenkelt wie ein Vogelei. Ich war der Sohn eines Maurers, der seit fünf Monaten keine Arbeit mehr hatte. Ich besaß keinen Mantel und trug stattdessen drei Pullover übereinander. Meine Mutter betete seit Wochen eine Serie von Novenen, damit Gott mir einen neuen Anzug für die Abschlussfeier im Juni spendierte.“

Dieser Auftakt erzählt bereits vieles. 1933 war in den USA tatsächlich ein schwieriges Jahr. Die Wirtschaftskrise war auf einem Höhepunkt angelangt, die Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Verarmung weiter Bevölkerungskreise enorm, im März ließ Präsident Roosevelt sogar kurzfristig sämtliche Banken schließen, um deren kompletten Zusammenbruch zu verhindern.

Diese harten Zeiten spürt auch die italienische Einwandererfamilie Molise. Der Vater kann sein Handwerk nur im Sommer ausüben, als das Buch beginnt, steckt Roper unter einer tiefen Schneedecke fest.

Der Vater verbringt seine nun üppige freie Zeit fast ausschließlich in der Kneipe beim Billardspiel, offiziell, um damit die Familienkasse aufzubessern, aber da sind offensichtlich auch Frauen mit im Spiel. Er missachtet und betrügt seine eigene Frau, die immer mehr in religiösen Fanatismus verfällt, und interessiert sich kaum für seine vier Kinder. Das (unter anderem) Wunderbare an Fantes Text ist aber, dass dieser Mann eben ein Mensch ist, und nicht nur ein Unsympath. Und so überrascht er den Sohn und den Leser gegen Ende auf das  Rührendste.

Auch der Ich-Erzähler Dom ist kein strahlender Held. Außer den bereits eingangs erwähnten körperlichen Unzulänglichkeiten sind ein völlig übersteigertes Selbstwertgefühl, eine völlige Fehleinschätzung seiner Möglichkeiten bei der von ihm angebeteten, sechs Jahre älteren und bildschönen Tochter des reichsten Mannes vor Ort und eine stets lauernde Aggressivität, die auch mal zu Handgreiflichkeiten führt, seine steten Begleiter. Die Aktion, die er zur Verwirklichung seiner Sehnsüchte und Träume durchführt, ist äußerst heikel. Und doch ist er dem Leser zutiefst sympathisch. Vielleicht liegt es daran, dass dieser Dom Molise, wie uns das amüsante und informative Nachwort von Alex Capus verrät, ganz deutliche Züge des Autors selbst aufweist.

Dieser war wohl auch alles andere als ein Kind von Traurigkeit, nutzte die ersten literarischen Erfolge in den 30er Jahren, um damit einen gut bezahlten Brotjob als Drehbuchschreiber in Hollywood zu ergattern, lebte auf großem Fuß. Aus den „Vierzig großen Büchern“, die er ähnlich großspurig wie Dom in sich spürte, wurden so nur acht schmale Werke, von denen nur vier zu seinen Lebzeiten erschienen. 1983 verstarb er, erblindet und seit Jahren an einem starken Diabetes leidend. Die Lebenslust hat ihn wohl bis zum Ende nicht verlassen. Verbittert über den ausbleibenden Ruhm war er wohl schon.

Ist es doch auch der große amerikanische Traum, vom kleinen Mann ganz nach oben, der auch seinen Helden Dominic Molise umtreibt. Denn trotz aller Widrigkeiten besitzt er einen großen Trumpf, „Den Arm“, wie er ihn nennt – er ist ein äußerst begabter Pitcher. Baseball, die wohl amerikanischste aller Sportarten soll ihm Ruhm und Reichtum einbringen. Wie viel dabei völlige Selbstüberschätzung des Ich-Erzählers, wie viel berechtige Hoffnung ist, lässt das Buch angenehm offen.

„(…)dann weinte ich um meinen Vater und um alle Väter, und um die Söhne auch, dass sie am Leben sein mussten in dieser Zeit. Und dann weinte ich um mich selbst, weil ich jetzt nach Kalifornien gehen musste. Ich hatte keine Wahl. Ich musste es schaffen.“

Es ist ein kleines, feines Buch, das hoffentlich endgültig wiederentdeckt wurde. Die Geschichte vom großen amerikanischen Traum und den großen Sehnsüchten ist nicht neu. Aber so leicht und tiefgründig, so heiter und ernsthaft wurde sie noch selten erzählt.

 

 

John Fante – 1933 war ein schlimmes Jahr

Übersetzt von Alex Capus

Blumenbar November 2016, gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 144 Seiten, € 16,00

2 Gedanken zu „John Fante – 1933 war ein schlimmes Jahr

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