Howard Jacobson – Shylock
Im Rahmen des Hogarth Shakespeare Projects, im Herbst 2015 anlässlich des 400. Todestages des großen Dramatikers 2016 gestartet, erschien im April 2016 Howard Jacobsons Adaption von „Der Kaufmann von Venedig“ („The merchant of Venice“) unter dem Titel „Shylock“ auf Deutsch (Originaltitel: „Shylock is my name“).
„Der Kaufmann von Venedig“ ist sicher das problematischste, oder besser gesagt, das am meisten umstrittene Drama William Shakespeares. Ist es nun ein antisemitisches Stück oder will es nur den herrschenden Antisemitismus zeigen? Seit Jahrhunderten streiten sich darum die Gelehrten, die Leser, die Theatergänger. Einige finden das Stück mittlerweile als unaufführbar. Dass das ganz und gar nicht der Fall ist, davon konnte ich mich letztes Jahr in einer wunderbaren Aufführung im Globe Theatre überzeugen.
Die Geschichte ist bekannt: Um seinem Freund Bassanio, der um die reiche Portia freien möchte, finanziell unter die Arme zu greifen, obwohl er selbst gerade in der Klemme steckt (Handelsschiffe von ihm sind mit wertvoller Fracht unterwegs, doch ihr Ankommen ist ungewiss), geht der Kaufmann Antonio mit dem jüdischen Geldverleiher Shylock einen Handel ein: sollte Antonio das Geld nicht rechtzeitig zurückzahlen können, darf der Jude ihm ein Pfund Fleisch aus der Brust schneiden. Allerlei Liebesverwicklungen ranken sich darum herum, aber auch das persönliche Leid Shylocks, dessen geliebte Frau Leah tot und die einzige Tochter Jessica mit einem Christen durchgebrannt ist – für Shylock ein unverzeihlicher Verrat.
Nun, wie es zu befürchten stand, die Schiffe gelten als verloren, Shylock fordert seine Schuld, kann aber letztendlich durch eine kluge List der in Männerkleidern auftretenden Portia von seinem grausamen Vorhaben abgebracht werden. Schlussauftritt – wir befinden uns in einer Shakespeare Komödie – alle Paare glücklich, alle Differenzen gelöst, nur Shylock steht allein, nicht nur seiner Tochter, sondern auch eines Großteils seines Vermögens und seines Glaubens beraubt.
Die Art und Weise, wie sich Howard Jacobson dieses Stückes annimmt, unterscheidet sich in seiner Ernsthaftigkeit, in seinem fast philosophischen Ansatz sehr von den eher leicht-beschwingten Adaptionen von Ann Tyler und Jeanette Winterson. Auch er verlegt die Geschichte stark modernisiert in die Gegenwart und versucht doch, in möglichst vielen Personen und Details nah am Original zu bleiben.
Da ist der reiche jüdische, gänzlich unreligiöse Kunsthändler Strulovitch, dessen 16 jährige Tochter mit einem leicht unterbemittelten Fußballstar durchbrennt. Da bemüht sich sein Gegenspieler D´Anton um eine wertvolle Zeichnung, die sich im Besitz seines Kontrahenten befindet. Sein Freund Barnaby möchte damit das berühmte Fernsehmoderatorin und begeisterte Paulo Coelho Leserin Anna Livia Plurabelle Cleopatra Eine-Schönheit-ist eine-ewige-Freude-weiser-als-Salomon Christine beeindrucken. An diesem reichlich abgedrehten Namen erkennt man bereits, dass Jacobson in der Umsetzung der Handlung so manches Mal die satirischen Pferde durchgehen. Insgesamt gleicht sie oft einer burlesken Posse, nicht ganz unpassend bei Shakespeare, aber in der Zeichnung der meisten Nebenfiguren dadurch viel zu überzeichnet und eindimensional. Da möchte Jacobson gerne mal so den einen oder anderen Seitenhieb, z.B. gegen den (nicht nur) britischen Geld- und Promiadel, loswerden. Das wird dann boshaft und ziemlich krachledern.
Aber eigentlich geht es dem Autor auch gar nicht darum. Howard Jacobson befasst sich in seinen Werken immer wieder und sehr intensiv mit dem Judentum, dem Jüdischsein, dem jüdischen Selbstverständnis, aber auch dem vermeintlichen Selbsthass. Und um genau diese Themen dreht sich auch „Shylock“, und zwar auf sehr ernsthafte und tiefgründige Art und Weise.
„Selbst der mal jüdische, dann wieder nicht-jüdische Strulovitch war niemals nicht-jüdisch genug, um die Sicherheit, in der er lebte, für selbstverständlich zu halten.“
Jacobson stellt dafür Strulovitch, quasi als eine Art Alter Ego, Shakespeares Shylock zur Seite. Sehr bald erkennt man, dass beide jeweils Versionen des anderen sind.
„Der einzelne Jude bringt die Juden mit, wohin er auch kommt.“
Dabei kippt die Geschichte ein klein wenig fort vom Realismus, um den sich die beiden anderen Shakespeare-Neuinterpretinnen Winterson und Tyler bemüht haben. Wie die Gespenster, die hin und wieder durch das Werk des großen englischen Dramatikers irren, tritt hier Shylock auf, als ewiger Jude sozusagen. Eine Figur, die gerne vom Antisemitismus missbraucht wurde.
„Der Talmud erlaubt es einem sturen Querdenker wie ihm, offen mit anderen, lange schon toten sturen Querdenkern zu debattieren.“
So begegnet Strulovitch, der vor kurzem seine Mutter beerdigt hat und dessen Frau nach einem Schlaganfall zum Pflegefall wurde, auf dem Friedhof Shylock, der sich in Zwiesprache mit seiner Leah befindet. Schon bald rücken er und seine (Streit)gespräche mit Strulovitch ins Zentrum des Romans. Diese Debatten sind scharfsinnig und erhellend. Manchmal verrennt sich Jacobson dabei aber ein wenig zu sehr in seine Thematik. Beispielsweise nimmt für meinen Geschmack die Frage der Beschneidung, die von D´Anton quasi als modernes Äquivalent zum Pfund Fleisch des Originals verlangt wird, zu viel Raum ein.
„Du bist beschnitten worden, um bereits in den ersten Tagen deines Lebens unser Dasein nicht mit einer Idylle zu verwechseln.“
Man merkt dort, dass hier jemand über sein Lebensthema schreibt, das Fremd-Sein, das Anders-Sein, das Jüdisch-Sein, wie ein Kritiker schrieb das „Leben in einer feindlichen Mehrheitsgesellschaft“. Das ist manchmal ein wenig anstrengend. Birgt aber auch interessante Einsichten und ist immer völlig tabulos.
„Ein guter Jude wird getreten, ein schlechter tritt zurück. Unsere berühmte Ethik hat uns in einen schönen Schlamassel gebracht.“
Immer ist es der geschundene Shylock, ausgestoßen, in seine Rolle gedrängt und verachtet, der seinen Platz verzweifelt zu behaupten versucht.
„Es ist moralisch und historisch falsch, nicht zu wissen, dass Jesus ein jüdischer Denker war und Sie bösartigen Unsinn reden, wenn Sie ihn gegen uns ins Feld führen. Nächstenliebe ist ein jüdisches Konzept. Erbarmen ebenfalls.“
Mehr als bei den beiden anderen bisher erschienenen Neuerzählungen ist bei „Shylock“ die Kenntnis des Originals, des Kaufmanns von Venedig, unbedingt zu empfehlen. Nur dann wird man die philosophischen Diskurse, aber auch die Referenzen an dieses Drama ganz erfassen können.
„Die Bosheit, die ihr mich lehrt, will ich ausüben.“
heißt es im Original. Bei Jacobson wird daraus
„Ich bin zu dem geworden, was ihr aus mir macht.“
Shylock, der Beitrag von Howard Jacobson zum Shakespeare Projekt ist sicher nicht der zugänglichste der Reihe, dafür aber der bisher ernsthafteste und philosophischste.
Howard Jacobson – Shylock
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Originaltitel: Shylock is my name
Originalverlag: Hogarth
Knaus Verlag April 2016, gebunden, 288 Seiten, € 19,99
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