Navid Kermani – Sozusagen Paris

Navid Kermani – Sozusagen Paris

Navid Kermani - Sozusagen Paris

 

So many years now together?
All those good times, ups and downs
So many joys raising up those kids
Well they’ve moved on now, out of town

Aus: „Ramada Inn“ – Neil Young and Crazy Horse

 

Navid Kermani hat nie einen Hehl aus seiner Neigung zur Musik des kanadischen Rockmusiker Neil Young gemacht. Mit dem „Buch der von Neil Young Getöteten“ betrat der Autor nach zwei Texten über den Koran und den Iran die erzählerische Bühne.

Und auch in seinem neuen Buch „Sozusagen Paris“ nimmt ein Song Neil Youngs einen zentralen Platz ein, und zwar „Ramada Inn“ aus der 2012 erschienenen CD Psychodelic Pill.

Es geht im Text um ein Ehepaar, das nach langen Jahren des Zusammenseins in eine Krise geraten ist.

Es ist das Thema des vorliegenden Romans. Es wäre aber nicht der geistreiche Intellektuelle Navid Kermani, wenn er diese Ehegeschichte in Sozusagen Paris nicht auf eine ganz besondere Art und Weise verpacken würde.

Diese „Verpackung“ ist ein großes Spiel mit dem Leser. Denn es ist der Erzähler und es ist ziemlich unverschleiert der Autor Navid Kermani, der hier nach einer Lesung in einer Kleinstadt der Provinz aus seinem vorherigen, sehr erfolgreichen Roman, auch recht unverschleiert der „Großen Liebe“, unverhofft genau der Frau gegenübersteht, die darin Hauptprotagonistin und Dreh- und Angelpunkt war. Jene „Jutta“, die „Schönste des Schulhofs“, die eben, wenn auch nur für sehr kurze Zeit, die große Liebe des Erzählers war, die er nie vergessen, die sein Leben geprägt und über die er dieses Buch geschrieben hat.

Man geht zusammen Essen und danach zu ihr nach Hause. Auch wenn der Erzähler vom Aufflackern der alten Leidenschaft fantasiert, gar eine Bettszene nicht ausschließt, wird es dazu nicht kommen. Der Leser erfährt es früh. Stattdessen wird aus dem Gespräch über „alte Zeiten“ und dem, was aus ihnen seitdem geworden ist, immer mehr eine Beichte Juttas. Darüber, was von ihrer Ehe nach über 20 Jahren geblieben ist, über Missverständnisse, sinnlose Streits über belanglose Dinge, fehlende Nähe, fehlenden Sex, das Aufreiben im Alltag mit fordernden Berufen (Arztehepaar, sie zudem noch Bürgermeisterin) und drei Kindern. Darüber, wie einstige Ideale verloren gegangen sind: das Eintreten für die Armen und Entrechteten einst im bolivianischen Urwald, für die Umwelt. Darüber, wie vergeblich versucht wird, die innere Leere zu vertreiben, zum Beispiel durch Tantra-Kurse.

Und jeden Morgen erscheint die Sonne
Und sie beide steigen ein in den Tag
Machen weiter, was sie immer taten

Der Erzähler wird eher widerwillig immer mehr zum Zuhörer eines Monologs, versucht zu trösten, wird aber immer mehr auch in seine eigene gescheiterte Ehe, seine Scheidung zurück gezogen. Seine Gedanken schweifen zudem wieder zur Literatur. Ein großes, gut gefülltes Bücherregal im Wohnzimmer der einstigen Liebe gibt dazu den Anlass. Vor allem die französischen Autoren des bürgerlichen 19. Jahrhunderts sind dort vertreten, ihrerseits Spezialisten in Sachen unglücklicher Ehen und deren Schilderung in Romanform: Flaubert, Stendhal, Balzac, Julien Green. Häufige und oft etwas zu lang geratene Zitate aus ihren Werken unterfüttern die, wenn man sie überhaupt so nennen darf, Handlung.

Denn unsere zwei Protagonisten werden, erst einmal im Wohnzimmer angelangt, dieses nur noch für gelegentliche Toilettengänge, das Bereiten von Tee oder das Öffnen von Weinflaschen verlassen. Ihr Gespräch zieht immer engere Kreise um das Thema langjährige Ehe, was bleibt von den einstigen Träumen, wann ist der Punkt, eine vermeintlich unglückliche Ehe zu beenden, was ist überhaupt eine „unglückliche“ Ehe, ist Trennung wirklich immer die beste Lösung.

Dieses Kammerspiel ist oft geistreich und berührend, manchmal zäh (zum Beispiel wenn der Erzähler bei einer tröstenden Umarmung seitenlang mögliche Bewegungen seiner Hand antizipiert), manchmal auch zu angefüllt mit gelehrten Zitaten und literaturhistorischen Bemerkungen. Gelegentlich ist es ein wenig geschwätzig und eitel. Hin und wieder richtig lustig. Der Autor kokettiert mit seinem Schreiben und dem Schreibprozess. Immer wieder bringt er seinen Lektor mit ins Spiel, unterbricht sich damit, dass dieser sicher wieder etwas am gerade Geschriebenen zu bemängeln hat, ergeht sich in Schimpftiraden über ihn. Das ist witzig, aber natürlich wenig glaubwürdig, genauso wenig, wie, dass der Ehemann Juttas im benachbarten Büro über seinen Abrechnungen sitzt und Jutta gleichzeitig völlig ungeniert und offen mit dem Ex über Intimes ihrer Ehe plaudert.

Sieht man darüber hinweg und erlaubt sich den einen oder anderen Sprung über manche allzu ausführliche „gelehrte“ Passage, dann vermag „Sozusagen Paris“ durchaus zu fesseln. Denn der Autor/Erzähler von sich als „Celebrity“ davon ausgehend für Jutta so etwas wie Abenteuer, große weite Welt, also „Sozusagen Paris“ zu sein, erkennt, dass ihr Festhalten an der Ehe, an der Familie vielleicht auch der Weg gewesen wäre, den er hätte gehen können.

„Nein antwortet Jutta, die Liebe besteht wahrscheinlich darin, dass der andere nach und nach das Bild ersetzt, in das man sich verliebt hat.“

So wird dieses Gespräch über eine vermeintlich gescheiterte Ehe zu einem Plädoyer für diesen Bund, für ein Festhalten an ihr. Die Ehe nach Theodor W. Adorno als „eine der letzten Möglichkeiten, humane Zellen im inhumanen Allgemeinen zu bilden.“ Das hat mich dann über alle Schwächen hinweg doch berührt.

 

Sie liebt ihn so
Sie tut, was sie zu tun hat

Sie liebt ihn so
Sie tut, was sie tun muss

Er liebt sie so
Er tut, was er zu tun hat

Er liebt sie so
Er tut, was er tun muss

 

Weitere Besprechungen findet ihr auf letteratura und dem Feinen reinen Buchstoff

Navid Kermani – Sozusagen Paris

Carl Hanser Verlag September 2016, gebunden, 288 Seiten, € 22,00

2 Gedanken zu „Navid Kermani – Sozusagen Paris

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