John Williams – Augustus
Ein historischer Roman, der bereits 1971 erschienen ist, dessen Autor seit mehr als 20 Jahren tot ist und der nichts von dem enthält was (meist nicht die besten) Bücher dieses Genres sonst bei ihren LeserInnen so beliebt macht, nämlich das sinnenfrohe Eintauchen in das Leben vergangener Epochen, das Identifizieren mit den historischen Personen, gerne durch eine Entwicklungs- oder Liebesgeschichte, das opulente, breite Fabulieren. Dazu noch eine historische Epoche, die über 2000 Jahre zurück liegt – keines der bestsellerverdächtigen Zeitalter wie Mittelalter oder Tudorzeit.
Auch wenn der Autor damit 1973 den renommierten National Book Award gewann, wäre der bisher noch nicht ins Deutsche übersetzte und wohl auch im Original nicht besonders erfolgreiche Roman „Augustus“ sicher niemals bei uns erschienen, wenn das Vorgängerbuch „Stoner“ des Autors John Williams nicht ein so überraschender wie fulminanter Erfolg gewesen wäre. Welch Glück, dass es anders gekommen ist!
Denn obwohl oder eher gerade weil Williams all die oben genannten „Kniffe“ erfolgreicher Historischer Romane meidet, schafft er ein so spannend wie informatives, ein so gut lesbares wie literarisch äußerst geglücktes Werk.
Es ist nicht der große epische Atem, der den Autor reizt, nicht einmal die faktentreue Darstellung einer fernen Epoche, obwohl alles bestens recherchiert ist. John Williams will den Menschen hinter der historischen Figur sichtbar machen. Nicht zufällig wählt er dafür einen der berühmtesten Staatsmänner, dem nicht nur ein ganzer Monat im Kalender gewidmet ist, sondern der mit der „Pax Augusta“ eine eigene Friedensepoche schuf. Ihn interessiert der Mensch hinter diesem übermenschlichen Bild, die Reibungsflächen zwischen privat und öffentlich, dem Mann und dem Kaiser.
John Williams wählt dafür eine beeindruckende Methode.
Aus meist fiktiven, aber sehr authentisch klingenden Briefen, Tagebuchauszügen, Protokollen und Konsulatsbefehlen schafft er ein vielstimmiges Bild des ersten römischen Kaisers. Dabei schreiten die Berichte zwar chronologisch voran, entstammen aber ganz unterschiedlichen Zeiten. So folgt ein Tagebucheintrag aus dem Jahr 14 n. Chr. einem Brief des Jahres 44 v.Chr., um wieder eine Verordnung aus dem Jahr 39 v.Chr. anschließen zu lassen. Unterschiedlichste Facetten entstehen, Mosaiksteinchen werden zusammengesetzt. Dabei kommen viele historische Personen wie Augustus Tochter Julia, seine Frau Livia, sowohl Marcus Antonius wie Kaiserin Kleopatra, Freunde, Gegner, Weggefährten, aber auch Philosophen, Geschichtsschreiber wie Titus Livius und Dichter wie Vergil, Horaz und Ovid zu Wort. Besonders beeindruckend ist dabei, in wie vielen unterschiedlichen Tonlagen Williams schreibt, wie sich Historisches mit Klatsch und Tratsch aus Roms Haushalten mischt. Augustus selbst kommt dabei erst am Ende in einem längeren Brief zu Wort.
So sehen wir verschiedene Perspektiven, Einschätzungen, negative wie positive, wahre wie falsche, zu dieser schillernden Gestalt des Gaius Octavius, der seinem ermordeten Onkel Julius Caesar in der Regentschaft über das Römische Reich folgte, die herrschenden Bürgerkriege beendete und dem Reich nach innen eine lange Phase des Friedens, des Wohlstandes, der kulturellen Blüte und nach außen der territorialen Erweiterung brachte. Aber der auch die Republik faktisch beendete, sich als Alleinherrscher etablierte und sowohl mit politischen Gegnern als auch mit Familie und Freunden nicht zimperlich umging.
So ist sein Verhältnis zur geliebten Tochter Julia, die er aus Machtkalkül dreimal verheiratete und schließlich wegen ehelicher Untreue auf die verlassenen Insel Pandateria verbannte, ein zentrales Thema des Buches.
Und hier erinnert „Augustus“ trotz des so gänzlich anderen Themas und der unterschiedlichen Erzählweise an den Campusroman „Stoner“. Auch dort litt ein Vater an der zerstörten Beziehung zu seiner geliebten Tochter und ihrer Zurückweisung.
Auch ähneln sich da plötzlich ein wenig die Protagonisten, ordnen sie doch beide ihrer Pflichterfüllung jedes persönliche und familiäre Glück unter. So verschieden auch die äußeren Umstände sind.
Und am Ende stehen zwei Männer im Angesicht des nahen Todes und stellen sich, über die Jahrtausende hinweg, die gleichen Fragen: Was macht ein Leben aus? Was lässt es gelingen und es als ein solches gelungenes Leben auch erkennen? Und wieviel davon ist Leistung, was Schicksal oder auch nur Zufall?
Der Schluss, die Lebensbilanz Augustus, ist durchaus modern. In allen anderen Teilen vermeidet Williams gerade die Modernisierung seiner Figuren. Er zoomt nur ganz nahe heran und lässt uns erkennen, dass viele Fragen zeitlos sind. Immer wieder gelingen ihm dabei beeindruckende und unvergessliche Szenen.
Ein wirklich herausragender historischer Roman, dem eine Zeittafel, ein Who is Who und ein sehr informatives Vor- und Nachwort beigefügt sind. Eine absolute Empfehlung auch für Leser ohne spezielles Interesse an römischer Geschichte.
Erwähnen möchte ich noch die wie immer wunderschön und sorgsam gestaltete Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, mit der ich „Augustus“ gelesen habe und die grandiose Lesung mit über 30 bekannten Sprechern, die mich begleitet hat.
Weitere Stimmen zum Buch findet ihr bei Leseschatz , letusreadsomebooks und Peter liest
AUGUSTUS war einfach ein hervorragendes Buch. Fiktiv und doch real.
https://litterae-artesque.blogspot.com/search?q=Augustus
Moin und vielen Dank für den netten Link zum Leseschatz!
Mit herzlichen Grüßen, Hauke