Jonathan Safran Foer – Hier bin ich

Jonathan Safran Foer – Hier bin ich

Jonathan Safran Foer - Hier bin ich„Hier bin ich“ heißt der neue Roman, den Jonathan Safran Foer nach langer Pause veröffentlicht hat. Sein bisher dritter.

„Hier bin ich“. So antworten die Stammväter in der Bibel, nachdem Gott sie gerufen hat. Sie sind ganz für ihn da. Ohne Vorbehalte, ohne Bedingungen. Sei es Abraham, der seinen Sohn Issak als Brandopfer darbringen soll, sei es Moses vor dem brennenden Dornbusch.

„Hier bin ich“ – diese Zusage zu bedingungsloser Solidarität seiner Eltern wünscht sich der 13 jährige Sam, als ihm wegen rassistischer und unflätiger Schmierereien droht, von der bevorstehenden Bar Mizwa, jener großen jüdischen Tradition an der Schwelle zum Erwachsensein, ausgeschlossen zu werden. Für seine Eltern eine mittlere Katastrophe, nicht nur weil schon alle Vorbereitungen inklusive der Anreise der israelischen Verwandtschaft abgeschlossen sind. Nein, obwohl nicht sonderlich religiös, hängt ihr jüdisches Selbstverständnis doch sehr an solchen Traditionen.

 

Womit eines der zentralen Themen des Romans angesprochen ist: das jüdische Selbstverständnis, zumal in der säkularen Umgebung Washington DCs. Es ist ein immer wiederkehrendes Thema jüdischer, zumal US amerikanisch-jüdischer Autoren. Wie umgehen mit dem oft schweren Erbe, den unzähligen Opfern, der Sprachlosigkeit der Überlebenden, den Anfeindungen in der Gegenwart. Woran diese spezielle jüdische Identität festmachen, wen der Glaube bröckelt: an der Kultur, einer speziellen Erziehung, an der Positionierung gegenüber dem Staat Israel oder so etwas lapidarem wie dem jüdischen Humor? Ein Thema, das auch in diesem Text immer wieder durchdringt, besonders als im weiteren Verlauf ein schweres Erdbeben die Nahost-Region heimsucht, viele Todesopfer fordert, aber vor allem auch sämtliche Infrastruktur zerstört. Israel, Palästina, Syrien, Jordanien sind betroffen, bald brechen Seuchen aus und die feindlichen arabischen Staaten nutzen die „Gunst der Stunde“ um Israel den Krieg zu erklären. Eine wahrhaft gigantische Katastrophe, die die der bedrohten Bar Mizwa natürlich komplett in den Schatten stellt. Werden doch alle wehrfähigen Männer der Diaspora aufgerufen, zur Verteidigung der Heimat anzutreten. Ein Aufruf, dem auch Jakob, Sams Vater zusammen mit dem israelischen Cousin, der gerade auf Besuch ist, beinahe gefolgt wäre. Beinahe! Denn diese ferne Katastrophe bleibt irgendwie in weiter Ferne im Text. Ihr weiterer Verlauf wird eher lapidar und wie nebenher berichtet. Dient vielleicht nur der Kontrastierung zu den eigentlich kleinen, für ihn aber doch so existentiellen Sorgen des Jakob Bloch.

„Alle glücklichen Morgen gleichen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen., und dass sie so furchtbar unglücklich sind, hat folgende Ursache: Das Gefühl, dass man ein solches Unglück schon einmal erlebt hat, dass alle Bemühungen, ihm vorzubeugen, das Gegenteil bewirken oder die Sache sogar noch verschlimmern, dass sich das Universum aus irgendeinem rätselhaften, überflüssigen, unfairen Grund gegen die harmlose Abfolge von Kleidern, Frühstück, Zähnen und nervigen Haarwirbeln, Rucksäcken, Schuhen, Jacken und Abschieden verschworen hat.“

Zunächst plagt dieser sich aber weniger um den Skandal in der Synagoge – er glaubt seinem Sohn, dass er unschuldig ist, leistet Schadensbegrenzung -, sondern mehr um seine Ehe mit Julia. Diese ist in die Jahre gekommen, drei Kinder wurden großgezogen, nicht nur die Leidenschaft, sondern auch Nähe, Gemeinsamkeiten und Gesprächsstoff abhandengekommen. Es ist dieser nicht zwangsläufige, aber doch so häufig eintretende Fall, unzureichend als Midlife Crisis beschrieben. Dass Foers Protagonisten noch nie davon gehört haben, darf ausgeschlossen werden. Und doch ist es für sie die große Katastrophe, verschärft dadurch, dass Ehefrau Julia ein Handy ihres Mannes mit einem heftigen Sex-SMS-Verkehr mit einer Kollegin findet. Julia will die Trennung, Jakob hofft auf Aufschub.

„Der Anschein von Glück. Könnten sie diesen Anschein aufrecht erhalten – nicht gegenüber Außenstehenden, sondern gegenüber sich selbst – dann käme er echtem Glück vielleicht so nahe, dass alles funktionierte.“

Aber auch Jakobs Großvater Isaac sieht einer persönlichen Tragödie entgegen.

„Zu Beginn der Zerstörung Israels überlegte Isaac Bloch, ob er sich umbringen oder ins jüdische Seniorenheim gehen sollte.“

So genial und kraftvoll lauter der erste Satz des fast 700 Seiten starken Romans.

Auch hier vermisst zumindest Sam das „Hier bin ich“ seiner Familie, das Einstehen auch für familiäre Verantwortung gegenüber dem – quasi – Stammvater der Familie, der nur knapp den deutschen Vernichtungslagern entronnen, versteckt im Wald, in einem Erdloch die Befreiung erlebte und in Amerika ein neues Leben begann. Nun soll er, zu „seinem eigenen Besten“ natürlich, sein Leben im Altersheim beenden. Jakob plagen zwar Gewissensbisse, aber er ist zu sehr mit der eigenen Identitätsfindung beschäftigt, als für seinen Großvater einzustehen. „Hier bin ich“ kann nur jemand sagen, der weiß, wer dieses „Ich“ überhaupt ist.

„Er war ein Vater für seine Söhne, ein Sohn für seinen Vater, ein Ehemann für seine Frau, ein Freund für seine Freunde, aber wer war er für sich selbst?“

So elaborieren alle Mitglieder dieser Familie Bloch an ihren eigenen großen und kleinen Katastrophen. Erwähnt sei noch Jakobs Vater Irving, Zionist und scharfzüngiger Betreiben eines vielgeschmähten politischen Blogs. Sie alle reden, quasseln, diskutieren, streiten miteinander, durcheinander, aneinander vorbei – der Roman ist sehr dialoglastig. Das ist überwiegend sehr geistreich und witzig, gelegentlich auch anstrengend und ein wenig unglaubwürdig. Besonders die drei Söhne erscheinen wenig altersgemäß zu denken und zu sprechen. Entweder man nimmt das so hin, oder man schlägt auf alle Alter ca. fünf Jahre drauf – dann stimmt es wieder.

Gelegentliche Längen sind bei derart umfangreichen Werken selten zu vermeiden. Insgesamt gelingt es Jonathan Safran Foer aber ausgesprochen gut, diese (nicht nur jüdische) Identitätssuche in unserem Zeitalter der ständigen Überforderung, dieses fast biblische Ringen um den Platz im Leben und in der Gesellschaft und nicht zuletzt in der Familie und einer Partnerschaft genauso authentisch darzustellen wie das Leben in der Familie und den Zerfall einer Ehe. Wie die einst Jakob vom Krankenhaus mitgegebenen „Zehn Gebote zur Fürsorge für ein Neugeborenes“.

„Doch das zehnte Gebot erschütterte Jakob. Du sollst nicht vergessen: Es wird nicht von Dauer sein.“

Er erzählt dabei eher konventionell, mit gelegentlichen Vorgriffen, nur wenigen formalen Experimenten. Dabei besitzt der Roman, obwohl eigentlich recht wenig passiert in diesen wenigen geschilderten Wochen, doch viel Rasanz, was vor allem den Dialogen geschuldet ist, viel Witz und auch eine ganze Portion Weisheit. Foer schreckt dabei auch von dem einen oder anderen, fast wie Sinnsprüche anmutenden Satz nicht zurück. Mir hat das sehr gefallen. Ich war berührt von der tiefen Traurigkeit des Buches, aber auch von der Hoffnung, die in ihm steckt.

„Zwischen zwei Geschöpfen, egal welcher Art, liegt eine unüberbrückbare, jeweils einzigartige Kluft, eine Freistatt, die andere nicht betreten können. Sie kann die Gestalt des Alleinseins annehmen. Sie kann die Gestalt der Liebe annehmen.“

Es ist sicher kein perfektes Buch, vielleicht noch nicht einmal ein sehr gutes, vielleicht steckt ein wenig zu viel eigene Ehe- und Scheidungsgeschichte Foers mit drin, aber es ist trotzdem ein großartiges Buch. Denn es macht etwas mit dem Leser, der es sicher nicht unbeteiligt zu schlägt. Und wenn es auch nur ein klein wenig gerüttelt hat, an unserem eigenen Denken und Fühlen, uns die Welt wieder ein winzig kleines Stück anders sehen lässt, dann hat es das getan, was großartige Literatur tun soll, auch mit kleinen Schwächen.

 

Jonathan Safran Foer – Hier bin ich

Titel der Originalausgabe: Here I Am
Aus dem amerikanischen Englisch von Henning Ahrens

Kiepenheuer&Witsch November 2016, gebunden, 688 Seiten, 26,00 €

Weiter Stimmen zum Buch bei LeseschatzBooksterHRO, Buzzaldrins und Letteratura

 

 

 

7 Gedanken zu „Jonathan Safran Foer – Hier bin ich

  1. Hallo Petra,
    Das Buch kann mich einfach noch nicht richtig packen. Das ist mir bei den anderen Romanen des Autors nicht passiert. Auch ich war bei der alesung in Köln, interessanter, intelligenter Typ, aber warum ich das Bich lesen sollte, kam bei der Veranstaltung nicht rüber. Vielleicht sollt mir Robert Dölle das ganze Buch vorlesen…
    Grüße
    Silvia

    1. Liebe Silvia! Ja, die Lesung von Dölle war, wie ja auch Jonathan Safran Foer bemerkte, ganz großartig. Der Abend selbst war tatsächlich nicht so wirklich erhellend, ich war froh, das Buch bereits gelesen zu haben. Das lag meiner Meinung an den Fragen, die Scheck gestellt hat, dass man zu wenig sowohl über das Buch als auch über Foer selbst gehört hat. Ich war mit meinem Mann da, der weder das eine noch den anderen kannte, und er hat mich danach erst mal gefragt, um was da eigentlich geht (der Arme). Die erste Frage nach der Genesis hätte vielleicht zu so etwas wie einer Inhaltsabklärung führen können, außer der netten Anekdote mit dem Geophysiker kam da aber auch nicht viel rum. Oder wie empfandest du das? Ein bisschen schade. Aber ich fand Foer auch als sehr sympathisch, auch später bei der Signierung. Und mit dem Buch ist es wohl so, dass der Funke überspringen muss, sonst quält man sich bei der Länge. Mich hat diese Familie und ihre Suche doch sehr berührt. Kann aber auch verstehen, wenn man das anders sieht. Viele Grüße! Und dann aber hoffentlich beim nächsten Mal! 😉

      1. Ich hatte mich schon gefragt, ob Scheck es vielleicht auch nicht bis zum Ende gelesen hat.
        Ich werde auch weiterlesen, aber ab und zu ein anderes Buch einschieben.
        Bis Leipzig!

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