Odafe Atogun – Tadunos Lied
Taduno – kein Nachname, keine Adresse, nur Taduno, so ist der braune Umschlag adressiert, der den Protagonisten von Odafe Atoguns Debütroman eines Tages in seinem Exil erreicht. Dorthin ist der einst sehr berühmte und erfolgreiche Sänger vor der Verfolgung durch die Regierung seines Heimatlandes Nigeria geflohen, nachdem er diese wiederholt scharf kritisiert hatte.
Bereits hier zu Beginn wird der trotz aller aktueller Bezüge und formulierter Kritik herrschende leicht märchenhafte Ton des Textes angeschlagen.
Durch die wunderschönen, verlassenen Straßen der nicht näher bezeichneten Exilstadt streifend, wählt sich Taduno eines der offen und leer stehenden herrschaftlichen Häuser als Zufluchtsort aus.
Dort erreicht ihn der Brief seiner großen zurückgelassenen Liebe Lela. Wie ihn der Brief erreichen konnte wird, wie so vieles, nicht entschlüsselt. Wir befinden uns in einer Art Fabel, das wird recht schnell deutlich, auch die sehr einfache, überdeutliche Sprache weist in diese Richtung. Zugleich kommt etwas Kafkaeskes in den Text. Denn hier ist ein Mensch, der gegen eine übermächtige, irrationale Macht, die Regierung seines Heimatlandes, kämpft.
Zunächst handelt aber Taduno selbst irrational. Obwohl Lela ihn im Brief ausdrücklich vor einer Rückkehr warnt –
„Seit du fortgegangen bist, geschieht Seltsames in Nigeria, und vor allem Lagos hat sich auf eine Weise verändert, die sich kaum in Worte fassen lässt. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht recht, was hier vorgeht – keiner weiß es; ich kann nur sagen, dass sich ein dramatischer Wandel vollzieht und dass Lagos kaum wiederzuerkennen ist.“
macht Taduno genau das – er kehrt zurück.
Doch sein Erstaunen ist groß, als ihn niemand, auch seine nächsten Nachbarn nicht, erkennt. Dunkel erinnern sich die Menschen nur an jenen Sänger, der durch seine Kritik der Regierung gefährlich wurde, der mit seiner Stimme alle betörte.
Doch diese Stimme ist durch das Exil verloren gegangen. Das ist umso tragischer, weil seine politischen Gegner Lela entführt haben und mit ihrer Ermordung drohen, sollte Taduno nicht ein Lied des Lobpreises für die Regierung veröffentlichen.
Der Leser begleitet nun Taduno auf seiner Suche nach Lela und bei seinen Bemühungen, von den Menschen wiedererkannt und bei seinen Bemühungen zur Rettung seiner Liebe unterstützt zu werden.
Auch wenn die Fakten des Erzählten, z.B. die Wahlen 1993, die Repressionen der Militärdiktatur, stimmen, ist der Text in einem schwebenden, märchenhaften und dabei leicht surrealen Ton geschrieben.
Das ist zunächst interessant, fügt sich für mich aber leider nicht zu einer runden Geschichte.
Zu wenig nah an seinen Figuren, um wirkliche Empathie auszulösen; zu flach und banal, um Erschütterung angesichts der geschilderten Verhältnisse auszulösen; sprachlich zu schlicht, um dadurch zu punkten. Ein bisschen Fabel, ein wenig Kafka, eine Spur Kritik machen leider noch keinen gelungenen Roman aus. Eine interessante afrikanische Stimme ist Odafe Atogun, der in Nigeria geboren wurde, in Lagos studierte und heute in Abuja lebt, sicher. Unterscheidet ihn doch von den populären „nigerianischen“ Autoren wie Teju Cole oder Chimamanda Ngozi Adichie die Verwurzelung in seiner nigerianischen Heimat. Vielleicht lässt sich als Vergleich eher Chinua Achebe heranziehen.
Man liest, dass Atogun den nigerianischen Sänger Fela Kuti als Vorbild für Taduno herangezogen hat. Auch dieser war regierungskritisch und wurde staatlich verfolgt. Er war Anhänger eines sozialistischen Panafrikanismus und erbitterter Antikolonialist. Mit dem von ihm ins Leben gerufenen Afrobeat begeisterte er die Massen nicht nur in seinem Heimatland. Als er 1997 an AIDS (einer Krankheit, die er als „Erfindung des weißen Mannes“ abgetan hatte) starb, erwiesen ihm in Lagos über eine Million Menschen. Angesichts einiger doch recht fragwürdigen Aussagen Kutis nicht nur zur Krankheit AIDS(„Frauen sind Matratzen“, Kondome seiner Meinung nach Mittel einer weißen Verschwörung, deren Ziel die Reduzierung der schwarzen Geburtenrate sei, moderne Medikamente dagegen „Gift“ und Homosexualität eine göttliche Strafe), hinterlässt dieses Vorbild des durch und durch integer dargestellten Taduno einen mehr als unangenehmen Beigeschmack.
Eine originelle Stimme, ein dringlicher Appell gegen Verfolgung, Unterdrückung, Diktatur, eine Feier von Kunst und Musik als Formen des Widerstandes, aber leider kein ganz gelungener Roman.
Hauke von Leseschatz gefiel das Buch deutlich besser.