Die Finalisten für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 stehen seit gestern fest: In den Kategorien Belletristik, Übersetzung und Sachbuch/Essayistik gehen jeweils 5 Titel in das Rennen um den renommierten Literaturpreis, der am 23.3.2017 zum nun 13. Mal vergeben wird und mit 60.000 Euro dotiert ist.
Aus insgesamt 365 eingereichten Werken aus 106 Verlagen hat die Jury, bestehend aus den Kritikern Maike Albath, Alexander Cammann, Gregor Dotzauer, Meike Feßmann, Kristina Maidt-Zinke, Burkhard Müller und Jutta Person, die 15 Finalisten ausgewählt.
Obwohl ich tradionsgemäß eher an Frankfurt und dem dort im Oktober jeden Jahres verliehenen Deutschen Buchpreis orientiert bin (bin quasi ein Frankfurter Kind), besuche ich seit drei Jahren auch die Leipziger Buchmesse und verfolge das dortige Geschehen, das sich von dem in Frankfurt doch überraschend unterscheidet, und damit auch den Preis der Leipziger Buchmesse mit großem Interesse.
Ja, ein solcher Preis sagt nur bedingt etwas über die literarische Güte und noch weniger darüber aus, ob der Titel mir persönlich etwas gibt oder mir gefallen wird.
Ja, das Medien-Tam-Tam, das bisweilen darum gemacht wird, und dem ich mit diesem Artikel in aller Bescheidenheit etwas hinzufüge, ist sicher verkaufsfördernd, ansonsten aber entbehrlich.
Dennoch habe ich auf solche Preisverleihungen immer ein Auge. Zeigen die entsprechenden Listen doch nicht nur eine (subjektive) Auswahl zumindest potentiell lesenswerter Titel, sondern spiegeln auch immer wieder Trends im Geschmack und Interesse der literarischen Welt des Feuilletons. Man muss dem nicht immer zustimmen, noch weniger folgen, aber einen interessierten Blick ist das allemal wer.
Ich muss sagen, dass ich (vielleicht auch traditionsgemäß) zu den Büchern des Oktober-Preises über die Jahre eine deutlich größere Affinität spüre als zu denen der Frühjahrsmesse. An der Güte der Veröffentlichungen kann es nicht liegen, die ist in der Regel auch Anfang des Jahres vielleicht zahlen-, aber nicht qualitätsmäßig geringer.
Während der Deutsche Buchpreis oft geschmäht wird als reiner Marketingpreis, die Liste selbst als „Eine Liste, die es allen recht macht“, ist die Auswahl für Leipzig meist etwas mehr abseits des Mainstreams und auch breiter aufgestellt. Nicht nur, dass es eine zusätzliche Kategorie für Sachbuch und Übersetzung gibt, sondern die Nominierungen im belletristischen Bereich umfassen auch Lyrik und andere Prosa. Der Deutsche Buchpreis zielt auf „den besten Roman des Jahres“ ab (wobei letztes Jahr mit Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ eine Novelle dazu gekürt wurde).
Dennoch gehört mein Herz (wenn überhaupt) eher dem Deutschen Buchpreis, was schon viel über meinen eher traditionellen (oder gar konservativen – Schreck!) Literaturgeschmack aussagt. Bezeichnenderweise habe ich vor dem Gewinner 2015 Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969″ die Waffen gestreckt, wenn auch erst nach ca. 600 Seiten (für mich vertane Zeit).
Doch nun ein Blick auf die diesjährigen Nominierten in der Kategorie Belletristik. Da ich selten Sachbücher lese und auch Übersetzungen nicht wirklich beurteilen kann, seien die Nominierten dieser Kategorien nur erwähnt. Wobei ich mich auf „Kompass“ von Mathias Énard (Hanser Berlin) sehr freue. Das liegt bereits seit der FBM (signiert vom sehr sympathischen Autor) bereit, schreckt mich aber in seiner Komplexität noch ein wenig ab. Da brauch ich mal Zeit für. Über die anderen Übersetzungen habe ich bisher viel Lobendes gehört.
Nominierte in der Kategorie Belletristik
•Lukas Bärfuss: „Hagard“ (Wallstein Verlag)
Ein Mann folgt scheinbar spontan einer ihm Unbekannten durch die Stadt. Der Leser folgt ihm auf dichteste Weise, ganz nah an seinem Kopf.
„Etwas Bedrohliches liegt in der Luft, etwas Getriebenes. Ein atemloser Sog entsteht, in den auch der Leser gerät, je länger die Verfolgung anhält. Allen Sinneswahrnehmungen haftet etwas beunruhigend Surreales an.“(Verlagswerbung)
»Auf den Spuren eines Verfolgers, der einer rätselhaften Obsession gehorcht, zieht uns Lukas Bärfuss in den atemlosen, seltsam unheimlichen Sog einer Stadt-Odyssee. Ein szenisch kunstvoll konstruierter Psycho-Noir, der heutige Lebenswelten schräg bis surreal beleuchtet.«
(Jurybegründung für die Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse 2017)
http://www.wallstein-verlag.de/9783835318403-lukas-baerfuss-hagard.html
•Brigitte Kronauer: „Der Scheik von Aachen“ (Klett-Cotta)
Das einzige Buch, das ich bereits gelesen habe und das mich nicht angesprochen hat. Bei aller Kunstfertigkeit und etlichen Lobeshymnen im Feuilleton blieb es für mich aber bei literarischen Purzelbäumen, die mir trotz ihrer Artistik wenig zu sagen hatten. Weder der kühl-spöttisch bis boshafte Ton noch die um eine verlorene Liebe und eine damit zusammenhängende Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit kreisende Geschichte einer älteren Dame konnten mein Interesse wecken.
„Sie ist die Löwenbändigerin der deutschen Syntax, ihr Stil gleichermaßen mündlich wie brillant. Szenenstark erzählt Kronauer von Technik und Verwilderung, Trümmerlandschaften und Fluchtbewegungen und von den tollkühnen Sprachexzessen, die Liebende und Trauernde teilen.“ (Jurybegründung für die Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse 2017)
https://www.klett-cotta.de/buch/Gegenwartsliteratur/Der_Scheik_von_Aachen/74715
•Steffen Popp: „118“ (Kookbooks)
Der Lyrikband in der Auswahl versucht anhand der strengen Ordnung des Periodensystems eine Inventarisierung von Gegenständen und Lebewesen, Phänomenen und Prozessen in poetischer Form.
„Die Welt in ihrer Komplexität und Fülle ist aus nur 118 chemischen Elementen aufgebaut. Steffen Popp hat seinem Erstaunen über diesen Kontrast, über das Viele, das aus so wenigem entsteht, in 118 Gedichten leichten und schwungvollen Ausdruck verliehen.“ (Jurybegründung für die Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse 2017)
http://www.kookbooks.de/buecher.php#a-9783937445847
•Anne Weber: „Kirio“ (S. Fischer)
Ein kurzer, verspielter Roman über den Flöte spielenden, auf Händen gehenden und mit Steinen und Fledemäusen redenden Kirio.
„Wer also ist dieser Kirio? Und wem gehört die Stimme, die von ihm erzählt? Sie weiß es selber nicht! Und so ist das Rätsel auch dem Leser aufgegeben. Ist es die des Autors? Die des Schöpfers? Eines Engels? Der Phantasie? Anne Webers neuer Roman liest sich wie eine moderne Heiligenlegende und zugleich als poetischer Grenzgang zwischen Himmel und Erde.“ (Verlagswerbung)
Wer ist Kirio – und wer spricht? Nichts ist sicher in diesem funkensprühenden Roman, der von einem Wunderwesen und dessen Wanderungen quer durch Frankreich bis nach Deutschland erzählt. Ein moderner Schelmenroman voller Sprachphantasie und Komik.(Jurybegründung für die Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse 2017)
http://www.fischerverlage.de/buch/kirio/9783103972696
•Natascha Wodin: „Sie kam aus Mariupol“ (Rowohlt)
Ein biografischer Roman über Wodins Mutter, die als junge Adelige den stalinistischen Terror und später als Zwangsarbeiterin in Deutschland die Nazidiktatur überlebte, aber daran zerbrach.
Mein persönlicher Favorit aus dieser Liste!
http://www.rowohlt.de/hardcover/natascha-wodin-sie-kam-aus-mariupol.html
Nominierte in der Kategorie Sachbuch/Essayistik
•Leonhard Horowski: „Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts“ (Rowohlt)
•Klaus Reichert: „Wolkendienst. Figuren des Flüchtigen“ (S. Fischer)
•Jörg Später: „Siegfried Kracauer. Eine Biographie“ (Suhrkamp)
•Barbara Stollberg-Rilinger: „Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit” (C.H.Beck)
•Volker Weiß: „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“ (Klett-Cotta)
Nominierte in der Kategorie Übersetzung
•Holger Fock, Sabine Müller: übersetzten aus dem Französischen „Kompass“ von Mathias Énard (Hanser Berlin)
•Gregor Hens: übersetzte aus dem Englischen „Shark“ von Will Self (Hoffmann und Campe)
•Gabriele Leupold: übersetzte aus dem Russischen „Die Baugrube“ von Andrej Platonow (Suhrkamp)
•Eva Lüdi Kong: übersetzte aus dem Chinesischen „Die Reise in den Westen“ (Reclam)
•Petra Strien: übersetzte aus dem Spanischen „Die Irrfahrten von Persiles und Sigismunda“ von Miguel de Cervantes (Die Andere Bibliothek)
Kennt ihr eines der nominierten Bücher? Könnt ihr eines empfehlen? Welches ist euer Favorit? In fünf Wochen wissen wir mehr.
Auf Kompass freue ich mich auch sehr! Ich war auf einer Lesung und fand den Autor auch sehr sympathisch und auch das Buch wurde mir wirklich schmackhaft gemacht, interessiert mich aber auch thematisch sehr.
Ich glaube nur, dass man für das Buch viel Zeit benötigt, besonders wenn das Thema Orientalistik noch weitgehend Neuland ist.
Habe gerade vorhin die 40-seitige Leseprobe von Natascha Wodin gelesen. Ich glaube, sie wird auch meine Favoritin.
Platonow habe ich gelesen und fand den Roman generell und sprachlich sehr fein.
Danke für den Hinweis! Ich mag Leseproben eigentlich nicht so gerne. Aber bei 40 Seiten hat man doch schon einen guten Einblick!