Kim Thúy schreibt mit Die vielen Namen der Liebe erneut einen zarten autofiktionalen Roman.
Schon früh wurde der kleinen Vi beigebracht, unsichtbar zu sein. Nicht nur, weil es in den Siebziger Jahren in Vietnam gefährlich sein konnte, aufzufallen. Nach Beendigung des Vietnamkrieges und dem Sieg des kommunistischen Nordteils des Landes, wurden unzählige Menschen, vor allem Intellektuelle, aber auch solche, die mit der vorherigen Regierung oder Amerikanern zusammengearbeitet hatten, verhaftet, verschleppt, hingerichtet. Ganzen Familien drohten Gefängnis oder oder die Inhaftierung in Umerziehungslagern.
Vis Vater, ein aus guter Saigoner Familie stammender, verwöhnter Lebemann und Orchideenzüchter, duckt sich weg. Die Mutter ergreift mit den Kindern die Flucht. Sie haben Glück, überstehen die Überfahrt nach Malaysia ohne zu kentern oder von Piraten gekapert, ausgeraubt, vergewaltigt oder ermordet zu werden, ein Schicksal, das fast 250000 dieser Boat People in den späten Siebziger bis frühen Achtziger Jahren erlitten. In ruhigem Ton, aber vielleicht gerade dadurch besonders eindrucksvoll erzählt die Autorin von den furchtbaren Grausamkeiten und dem Elend der Flüchtlingslager.
Vi und ihre Familie erhalten sehr bald ein Visum für Kanada und finden dort eine neue Heimat. Wie schwer, aber auch wie hoffnungsvoll dieses Ankommen sein kann, hat Kim Thúy bereits in ihren zwei vorigen Romanen „Der Klang der Fremde“ und „Der Geschmack der Sehnsucht“ beschrieben. Hier ist es das Mädchen Vi, das seinen Weg, seinen Platz im Leben und seine Identität sucht.
„Winzige Kostbarkeit“ bedeutet ihr Name. Und sie wird gehütet wie diese Kostbarkeit, als Nesthäkchen und einzige Schwester unter drei Brüdern. Sie wird aber auch klein gehalten, als Mädchen in einer von Männern dominierten Welt. Sinn und Aufgabe einer Frau erschöpfen sich darin, hübsch auszusehen und den Männern zu dienen. Die Mutter vergöttert den Vater, hielt ihm stets alle Unannehmlichkeiten fern, duldet all seine zahlreichen amourösen Affären. Vi spürt schon sehr bald die Spannungen zwischen diesem traditionellen Rollenbild und den modernen Sitten in Québec. In Montréal beginnt sie ein Übersetzerstudium und wird als Mitarbeiterin eines Hilfsprojekts nach Vietnam zurückkehren, sich die Suche nach dem Vater aber zunächst nicht gestatten. Sie wird eine rätselhafte Liebesgeschichte zu einem französischen Mitarbeiter erleben. Ob sie am Ende zu sich selbst gefunden hat, bleibt seltsam ungewiss.
Wie überhaupt das Buch seltsam vage bleibt. Auch in ihren anderen Büchern arbeitete Kim Thúy impressionistisch, tupfte das Erzählte zart hin, ließ aus, bot dem Leser Raum. Sie schuf damit poetische Erzählperlen, die um Heimat, Flucht und Ankommen, Liebe und Leid kreisten. Im vorliegenden Roman geht das meiner Meinung nach nicht ganz auf. Es wirkt auf mich ein wenig unentschlossen, unklar in dem, was die Autorin eigentlich erzählen möchte. Auch die Figuren bleiben seltsam blass und damit leider ein wenig die ganze Geschichte.
Demjenigen, der Kim Thúy noch nicht kennt, empfehle ich ausdrücklich ihre ersten beiden Romane. Wem diese gefallen haben, erkennt ihren leisen, poetischen Tonfall auch hier wieder. Nur die erzählte Geschichte bleibt ein wenig fern.
Ich danke dem Verlag Antje Kunstmann für das Rezensionsexemplar!
Verlag Antje Kunstmann März 2017 , gebunden, 144 Seiten, € 18,00
… sehr gelungen, wie Du deine Rezis mit Fotos ergänzt. Freue mich immer auf Deine Beiträge und entdecke Autoren von denen ich bisher noch nie gehört habe!
Das freut mich!