Hisham Matar ist ein aus Libyen stammender, in London lebender Autor. Sein 2006 erschienener Roman „Im Land der Männer“ wurde für die Shortlist des Man Booker Preises nominiert. Nun liegt von Hisham Matar sein Roman Die Rückkehr auf Deutsch vor.
Sein Vater Jaballa Matar stammte aus einer einflussreichen Familie. Zunächst Gaddafis Putsch und der damit verbundenen Hoffnung auf einen modernen freiheitlich-sozialistischen Staat durchaus positiv gegenüber stehend, arbeitete dieser für die libysche Delegation bei den Vereinten Nationen in New York, wo Hisham 1970 zur Welt kam. 1973 zurückkehrend, entwickelte sich der Vater zunehmend zu einem der erbittertsten Oppositionellen. Zeitweise unterhielt er im benachbarten Tschad eine bewaffnete „Rebelleneinheit“. 1979 musste die Familie daraufhin zunächst nach Kenia und dann ins ägyptische Exil fliehen. Durch seine weitreichenden Beziehungen und das Vermögen, das er sich mit Importgeschäften verdient hatte, war er nicht nur einflussreich, sondern konnte seiner Familie auch ein finanziell recht sorgloses Leben bieten. Bereits 1975 ging Hisham wie sein Bruder Zaid zur Ausbildung nach London. 1990 wurde der Vater Jaballa vom libyschen Geheimdienst aus Ägypten entführt, wobei der ägyptische Staat unrühmlich Beihilfe leistete.
Jaballa Matar verschwand wie einige seiner Familienangehörigen im berüchtigten Gefängnis Abu Salim in Tripolis. Kamen bis 1995 noch gelegentlich geschmuggelte Briefe oder Nachrichten bei der Familie an, brach danach jeglicher Kontakt ab. Jaballa Matar verschwand einfach. Jegliche Versuche der Kontaktaufnahme, der Anfragen, diplomatischer Interventionen scheiterten. Besonders tragisch, da 1996 nach einer Gefängnisrevolte ein Massaker stattfand, dem 1200 Gefangene zum Opfer fielen. Das Schicksal Jaballas blieb weiter im Dunkeln.
Ein Trauma, dass Hisham Matar und seine ganze Familie bis in die Gegenwart verfolgt.
2011 wurde die Verhaftung des Anwalts Fathi Tabil, der Angehörige der bei dem Massaker erschossenen Gefangenen vertrat, und den darauf folgenden Kundgebungen Tausender zu einem der Auslöser für den Bürgerkrieg. Verwandte Hisham Matars kamen frei, aber der Vater blieb verschollen.
Wie quälend diese Ungewissheit für die Familie bis heute ist, wie anstrengend und manchmal absurd die jahrelangen Bemühungen um Aufklärung, zunächst im Umkreis Gaddafis und dessen in London lebenden Sohn Saif waren, wie nah Hisham selbst eines Abends in Paris der Selbsttötung aus Verzweiflung war, wie die Suche nach dem Vater mehr und mehr zur Obsession wurde, sein Privatleben bedrängte und ihm wichtige Ressourcen nahm, beschreibt der Autor auf sehr eindringliche Art und Weise. Leise Bitterkeit schwebt mit, wenn er schildert, wie sich auch westliche Länder aus wirtschaftlichen Interessen mit den Diktatoren gemein machen.
Aufhänger für das Buch ist die Reise nach Libyen, mit Mutter und amerikanischer Ehefrau 2012, nach Gaddafis Sturz. Das Zusammentreffen mit Familienmitgliedern, Weggefährten und alten Freunden des Vaters, das Wiedersehen mit den Orten der Kindheit, all das schildert Matar auf sehr berührende Weise. Dabei blickt er immer wieder zurück, rekonstruiert mit Hilfe von Aussagen die vermeintlich letzten Jahre, Tage und Stunden des Vaters. Lässt nur zögernd die Gewissheit über seinen Tod zu. Ein Rest Hoffnung bleibt.
Hier schreibt ein Autor von einer tiefen, lebenslangen Erschütterung. Auch der Leser bleibt erschüttert zurück.
Eindringliche Besprechungen findet ihr auch bei Buchpost, aus.gelesen und letteratura.
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Hisham Matar – Die Rückkehr. Auf der Suche nach meinem verlorenen Vater
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Luchterhand Literaturverlag Februar 2017, Gebunden, 288 Seiten, € 20,00
Libyan Petrol Station 2011 by Sludge G on Flickr (CC BY-SA 2.0)
Das Buch wartet auch schon einige Zeit auf mich – ich greife stattdessen immer erstmal zu anderen, weil ich grade das Gefühl habe, es könnte zu erschütternd sein… Ich werde es aber bald in Angriff nehmen. Viele Grüße!
Viele Grüße zurück! Das Buch hat eine relativ nüchterne Art. Deshalb lässt es sich trotz des erschütternden Inhalts gut lesen. Bin gespannt, wie du es findest.
Salut! Das Buch liegt noch ungelesen auf meinem Stapel. Nach dem Lesen deiner Rezension bin ich noch mehr gespannt darauf, zumal mir „Im Land der Männer“ extrem gut gefallen hat… Liebe Grüße!
Bin gespannt auf deine Besprechung! Grüße zurück!
Im Land der Männer kenne ich noch gar nicht. Aber ich bin auf jeden Fall neugierig geworden. Viele Grüße!