Seit Präsident Trumps Amtsantritt führen altbekannte Dystopien die Bestsellerlisten an: George Orwells „1984“, Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, Sinclair Lewis „Das ist bei uns nicht möglich“. Gerade auch die Themen Überwachung, Gedankenfreiheit, Wahrheit scheint die Menschen umzutreiben. Dabei waren wir gerade dabei, uns an ständig steigende Überwachung, zunehmende digitale Kontrolle und Cyberkriminalität zu gewöhnen. In schleichenden Dosen wurden Hackerangriffe, Daten- und Identitätsklau und Bespitzelung zu zwar gefürchteten, aber mehr oder weniger unabwendbaren Begleiterscheinungen unserer digitalisierten Gegenwart. Man kann schon leicht paranoid werden, wenn man mit Zugriffen über die eigene Webcam oder die Überwachung von Bewegungsprofilen denkt. Auch der Protagonist von Patrick Flanery in seinem Roman Roman „Ich bin Niemand“ fürchtet zunehmend, unter Paranoia zu leiden.
Zunächst ist es eine nicht eingehaltene Verabredung mit einer seiner Studentinnen, die den NYU Geschichtsprofessor Jeremy O´Keefe verstört. Denn anscheinend hat er selbst diese Verabredung per email abgesagt, kann sich aber partout nicht daran erinnern. Das ist aber nur der Anfang einer Reihe von seltsamen Vorgängen, die ihn und seine Familie zunehmend verunsichern. Doch ärztliche Untersuchungen geben keinerlei Hinweis auf Demenz oder andere psychische Erkrankungen. Nur ganz allmählich kommt Jeremy der Verdacht, dass seine Vergangenheit der Schlüssel zu allem ist.
Nur zögerlich nähert er sich seinen zehn Jahren als Professor in Oxford, in das er 2001 quasi geflohen ist, nachdem seine Ehe zerbrochen und seine befristete Anstellung an der Columbia University nicht verlängert wurde. In Oxford hatte er Kontakt zu einem zwielichtigen Kollegen, der scheinbar als Agent tätig gewesen war, und zu einer ägyptischen Studentin, deren Bruder in islamistischen Kreisen verkehrte.
Die Bedrohung durch allumfassende persönliche Überwachung in digitalisierten Zeiten ist genauso Flanerys Thema wie die wachsende Angst vor dem Terror, insbesondere dem islamistischen und die zunehmende Angst vor „Fremden“ – brandaktuelle Themen also. Genauso beschäftigt sich der Roman aber mit Verdrängung und dem Erinnern.
Das von Patrick Flanery in Ich bin Niemand gewählte Erzähltempo ist niedrig. Dadurch nimmt er dem Roman die Möglichkeit, durch Rasanz zu fesseln, erhöht aber die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, mit der er sich seiner Themen annimmt. Erzählt wird in einer Art Beichte O´Keefes, die an ein nicht näher gefasstes Publikum gerichtet ist. Er spricht diese hin und wieder an, „wer immer dies auch lesen wird“, greift vor, deutet an. Größtenteils gelingt es dem Autor, seinen Leser dadurch zu binden. Nur der Protagonist Jeremy bleibt trotz der Ich-Perspektive und der Tatsache, dass er der Mittelpunkt der Geschichte ist, seltsam blass, wie übrigens auch das restliche Personal. Dass er zufällig als Kenner der Stasi-Vergangenheit der einstigen DDR praktisch Spezialist in Sachen Überwachung und Bespitzelung ist, erscheint zudem nicht gerade glaubwürdig. Das ist ein wenig schade, enthält der Roman doch so manche interessante Gedanken und verhandelt ein spannendes Thema.
Patrick Flanery – Ich bin Niemand
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
Blessing Verlag März 2017, Gebunden, 400 Seiten, € 22,90
Surveillance, Thompson St by Michael R on Flickr (CC BY-ND-ND 2.0)
Das Buch lese ich auch gerade, kann aber noch nicht so recht sagen, ob es mir gefällt oder nicht. Einerseits mag ich, wie das Gefühl der Beklemmung nach und nach ansteigt, andererseits finde ich leider, dass das Buch ein wenig hölzern geschrieben ist.
Ganz überzeugen konnte es mich trotz der spannenden Problematik leider auch nicht. Viele Grüße!