Verna B. Carleton – Zurück in Berlin

Auf einem nicht besonders komfortablen Passagierschiff trifft die Erzählerin von Verna B. Carleton  Zurück in Berlin, eine junge Amerikanerin, im Jahr 1956 auf ein britisches Paar, das sich nach einem Aufenthalt in der Karibik auf dem Heimweg nach London befindet. Das Schiff wimmelt von eher unangenehmen Mitreisenden, zudem ist es in der einfachen Klasse vollgestopft mit heimkehrenden Arbeitern. Die Erzählerin, die man durchaus mit der Autorin gleichsetzen kann, ist froh, als sie die sehr distinguierten, sympathischen und durch und durch britischen Devons kennenlernt. Allerdings scheint ein rätselhafter Schleier von Trauer über den Beiden und besonders über Ehemann Eric zu liegen. Nach einem Zusammenstoß mit dem impertinenten Deutschen Grubach kommt auch zutage, was ihm auf der Seele liegt. Er ist nämlich durchaus nicht so britisch wie er scheint, sondern ein deutscher Jude, Erich Dahlberg, der vor den Nazis in den Dreissiger Jahren nach England fliehen konnte. Seine Mutter konnte sich mit ihm retten (sie entstammte allerdings auch einer alten preußischen Familie), der Vater kam im Lager um. Eric selbst hat sich eine perfekte zweite Identität geschaffen, außer seiner Frau Nora weiß niemand von seinen Wurzeln. Zum einen weil er die Ablehnung seiner neuen Heimat fürchtet, zum anderen, weil er sein Herkunftsland wegen der in seinem Namen begangenen Gräuel und Untaten zutiefst hasst. Aber er leidet auch unter seiner verheimlichten Identität, die bei der Konfrontation mit dem selbstherrlichen Grubach aus ihm herausplatzt.

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Die Erzählerin, ihrerseits auf dem Weg nach Berlin, spürt die Seelenqualen Erichs und folgt dem jungen Paar zunächst nach London. Sie kann die Beiden auch davon überzeugen, mit ihr zusammen nach Deutschland zu reisen, sich praktisch den Dämonen zu stellen und nebenbei Erkundigungen über Erichs Familie einzuholen. Ein wenig unglaubwürdig ist diese schnell entstandene, tiefe Freundschaft schon. Dennoch bildet dieser Erzählrahmen eine gute Konstruktion, die verhindert, dass der Roman in irgendeiner Form gefühlig oder sentimental wird. Er gleicht eher einer anteilnehmenden Reportage.

Darin erkennt man die Journalistin Verna Carleton, geborene von Kessler. Der deutsche Vater verließ die Familie allerdings früh, was ihm Verna nie verzieh und die deshalb seinen Namen mied und sich Carleton nannte. Aufgewachsen ist sie mit ihrer britischen Mutter in New York, lebte lange in Mexiko, wo sie intensiven Kontakt mit deutschen Exilanten pflegte. Sie war eine enge Vertraute der Fotografin Gisèle Freund, mit der sie 1957 eine ähnliche Reise wie ihre Erzählerin unternahm. Auch Gisèle Freund reiste zum ersten Mal in das Land, das die Jüdin Gisela Freund einst vertrieb. Viele Eindrücke, besonders die intensiven Schilderungen Berlins, aber auch das Einfangen der herrschenden Stimmung, der Geschichtsvergessenheit vieler Deutscher und der politischen Lage sind sehr gelungen.

„Irgendwann auf unserer bedrückenden Suche gelangten wir an den Potsdamer Platz, dieses Fadenkreuz der Besatzungsmächte, den zentralen Grenzpunkt zwischen Ost- und Westberlin. Touristen konnten ihn offensichtlich unbehelligt zu Fuß passieren, während Wachleute auf beiden Seiten jedes private Fahrzeug anhielten und nach Schmuggelwaren durchsuchten. (…) Da war sie, die vielbeschriebene geteilte Stadt, die Spaltung menschlicher Schicksale in zwei Welten, jede mit eigener Regierung, eigener Währung, eigener Gesellschaftsform. Es war offensichtlich, dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte.“

Zonengrenze 1955  (Bundesarchiv B 145 Bild-F003013-0010, Berlin, Zonengrenze CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Erich trifft auf rücksichtslose Deutsche, die schon wieder neue Herrschaftsträume träumen, auf Mitläufer, aber auch auf Opfer des NS-Regimes und solche, die sich einfach weggeduckt haben. Die Schilderungen sind manchmal ein wenig plakativ, besonders wenn es um den „hässlichen Deutschen“ geht. Da ist Carleton oft nicht sehr differenziert. Aber dieses Buch ist eben auch 1959 entstanden, da waren die Wunden des Krieges noch sehr frisch.

Literarisch ist der Roman recht schlicht gebaut, gleicht wie gesagt oft eher einer Reportage als einem durchkomponierten Roman. Als Zeitzeugnis, als Auseinandersetzung mit der sicher für viele Exilanten sehr problematische Rückkehr in ihr Herkunftsland und auch der Ablehnung, die ihnen von vielen Deutschen entgegenschlug, die sie als „Feiglinge“, vielleicht sogar „Verräter“ bezeichneten, ist das Buch aber beeindruckend. Und die Schilderungen des kriegszerstörten Berlins sehr atmosphärisch. Auch Erich muss schließlich erkennen, dass er die Situation und die zurückgebliebenen Menschen in seiner Verbitterung oft nicht richtig eingeschätzt hat. Tatsächlich gestalten sich manche Situationen, wenn man tief in ihnen drin steckt, anders, als man von „außen“ beurteilen kann. Dahingehend zeigt der Roman nicht nur Schwarz oder Weiß, auch wenn er ein klares Urteil fällt.

Verna B. Carleton - Zurück in Berlin.

Verna B. Carleton – Zurück in Berlin

Lesung mit Leslie Malton 6 CDs | ca. 6 h 54 min

Der Audioverlag September 2016, €22,99 

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als Buch erschienen beim

Aufbau Verlag

übersetzt von Verena von Koskull
Gebunden mit Schutzumschlag, 391 Seiten, 22,95 €

 

Titelbild: Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche 1954 (Bundesarchiv, B 145 Bild-F001296-0004 / Brodde / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

 

 

0 Gedanken zu „Verna B. Carleton – Zurück in Berlin

    1. Was die beiden Bücher aber vor allem unterscheidet, ist tatsächlich die Außenperspektive von Carleton, sowohl was ihre tatsächliche Reise mit Freund betrifft, als auch ihre Erzählerfigur im Roman. Ich wünsche dir Schöne Ostern!

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