Florian Huber – Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit

Im Dritte Reich galt die Familie als die „Keimzelle des Volkes“. Sie wurde idealisiert, kontrolliert und indoktriniert. Aber was blieb von ihr übrig nach dem Zusammenbruch? Welche Spuren hinterließen die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft? Und wie lange wirkten diese Einflüsse fort? Vielleicht sogar bis in unsere heutige Zeit? Florian Huber untersucht das in Hinter den Türen warten die Gespenster.

Spannende Fragen, die in etlichen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Werken, in unzähligen literarischen Texten und – in neuerer Zeit besonders beliebt – in bestimmten TV-Formaten diskutiert wurden und werden. Spannende Fragen, da sie zumindest die in den Vierziger bis Siebziger Jahren Geborenen direkt betreffen. Sind sie doch alle in Familien groß geworden, die von den Auswirkungen der Jahre 1933 bis 1945 (und gewiss etlicher Jahre davor und danach), geprägt wurden, sei es als Söhne und Töchter, sei es als Enkelkinder. Meist wurde in den Familien über diese Zeit zu wenig oder aber auch zu viel, aber das Falsche erzählt (die heldenhaften Kriegserlebnisse, augenfeuchte Bekenntnisse zur alten Kameradschaft oder die Mär vom Autobahnbau). In den Fotoalben begegneten wir ihnen, den schneidigen Soldaten in ihren Ausgehuniformen, die beim Weiterblättern auf den Fotos plötzlich fehlen oder aber kaum wieder zu erkennen, abgemagert, ausgemergelt, mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen uns entgegenblicken. Was passiert in den Familien mit solchen Leerstellen oder aber mit solch gebrochenen Menschen in ihrer Mitte?

Dieser Frage versucht Florian Huber in seinem Buch „Hinter den Türen warten die Gespenster“ nachzugehen. Er tut das auf seine Art – er ist Historiker aber eben auch TV-Journalist. Man kennt die Formate, in denen Erinnerungsschnipsel von Zeitzeugen, untermalt mit mehr oder weniger raunenden Erzählerstimmen und suggestiver Musik, zusammengeschnitten werden zu einem „Zeitpanorama“. Hier geschieht das Gleiche in Textform. Verschiedene Familien werden anhand von Tagebuchaufzeichnungen, Briefen, Gesprächen vom Kriegsende bis in die Sechziger Jahre und darüber hinaus betrachtet.

Berlin, Kinder spielen in Trümmern (Bundesarchiv, Bild 183-2005-0803-519 / CC-BY-SA 3.0), via Wikimedia Commons

Schwerpunkte werden gelegt bei den Frauen, die den Alltag während des Krieges, das Überleben und die Versorgung der Kinder im Alleingang bewältigen mussten und auch den größten Teil des Wiederaufbaus schulterten; bei den Kindern, die ihre Väter kaum kannten, die durch die Übertragung verantwortungsvoller Aufgaben frühzeitig erwachsen und selbstständig wurden und oft zur Mutter eine besondere Beziehung aufbauten; und natürlich bei den Männern, die durch die Kriegserlebnisse zu hohem Maße traumatisiert, enttäuscht und verbittert, in den Gegebenheiten nach Kriegsende oftmals völlig orientierungslos, umso mehr, je später sie heimkehrten, und verunsichert in ihrer Rolle als Familienoberhaupt ihren Platz un der Gesellschaft neu suchen mussten. Diese Menschen trafen nun nach den langen Kriegsjahren aufeinander und sollten eine „heile“ Familie bilden, gerade in Notzeiten Sehnsuchtsort für viele. In den meisten Fällen klappte das nicht so reibungslos, reagierten die Väter mit übertriebener Strenge, mit Aggressionen und oftmals Gewalt und entfremdeten sich so von Kindern und Ehefrauen. Die Scheidungsrate stieg dramatisch. Die Familie konnten den hohen Erwartungen, die an sie gestellt wurden, unmöglich genügen.

Heimkehrer im Lager Friedland 17.-19.10.1955 (Bundesarchiv, B 145 Bild-F003028-0001 / CC-BY-SA 3.0) via Wikimedia Commons

 

Diese Sachverhalte sind, wenn auch zum großen Teil hinlänglich bekannt, sehr interessant und verdienen es durchaus, noch einmal, gerade auch für jüngere Generationen, dargestellt zu werden. Zumindest zu Beginn gelingt es Florian Huber aber nicht, ein wirklich schlüssig aufgebautes Ganzes daraus herzustellen. Die herangezogenen Quellen wirken zu beliebig, die Konstruktion, wenn auch chronologisch aufgebaut, nicht ganz schlüssig und vor allem die (auch sprachliche) Darstellung zu boulevardesk.

Da werden den Personen Gedanken und Gefühle zugeschrieben, die kaum belegbar sind. Das kann man in literarischen Texten tun, hat aber in wissenschaftlichen, und meiner Meinung nach auch populärwissenschaftlichen Texten, keinen Platz. Passagen wie jene, in der es um die nicht geklärte Vergangenheit einer Ehefrau geht

„Nie hatte er den Mut aufgebracht, seine Frau Emmy auf ihr Geheimnis anzusprechen. Erst nach ihrem Tod eröffnete es sich ihm allmählich. Die Freundinnen deiner Frau und ihre langjährige Chefin unterrichteten ihn mit gezielter Beiläufigkeit, was sich in den vergangenen Jahren, als er so lange verschwunden war, in ihrem Leben zugetragen hatte. Es waren Ereignisse und Beziehungen, die er Jahrzehnte später in seinen Erinnerungen nicht beim Namen nannte, wenngleich über deren Natur kein Zweifel bestand. Die Einzelheiten wollte er gar nicht wissen.“

sind in ihrer andeutungsvollen Uneindeutigkeit regelrecht peinlich und unseriös.

Ab der Mitte des Buches wird es besser. Besonders gut ist der Autor, wenn er sich von den Einzelquellen etwas wegbewegt und Gesamtzusammenhänge herstellt. Da wird das Buch dann auch relevant und eröffnet neue Perspektiven. Das ist leider zu selten, auch nicht bei der Zitierung von Quellen, der Fall. Wenn er zum Beispiel Heinrich Bölls „Haus ohne Hüter“ heranzieht, wird deutlich, um wie viel aufschlussreicher die Lektüre des Originalwerks für die Thematik wäre. Ähnlich steht es mit Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ oder Angelika Senffts „Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte“. Huber hat den von ihm zusammengetragenen Zeitzeugnissen zu wenig eigenes zuzufügen. Und für eine bloße Zusammenfassung sind seine fast 320 Seiten zu viel. Da kommt es zu etlichen Redundanzen.

Florian Huber - Hinter den Türen lauern die Gespenster.

Wie gesagt, das Buch steigert sich ab der Mitte deutlich und bietet dann auch einige erhellende Aspekte. Insgesamt aber verspielt es leider ein wichtiges und spannendes Thema und kommt über das Niveau einschlägiger TV-Formate nicht hinaus.

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Ich danke dem Berlin Verlag für das Rezensionsexemplar!

Florian Huber – Hinter den Türen warten die Gespenster. Das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit

Berlin Verlag März 2017, gebunden, 352 Seiten, 22,00 €

 

Titelfoto: Portait einer Familie 1950 Deutsche Fotothek‎ [CC BY-SA 3.0 ], via Wikimedia Commons

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