Carolina de Robertis – Perla – #Backlist

2010 wurden anlässlich der Frankfurter Buchmesse in der Ausstellung „Verschwunden“ in der Paulskirche Fotos des Argentiniers Gustavo Germano gezeigt. Dieser hat Aufnahmen aus den späten Siebziger Jahren mit den abgebildeten Personen nach- und dem Orginal gegenübergestellt. Das Besondere: auf allen Fotos fehlt eine Person, manchmal auch mehrere. Es sind sogenannte „Verschwundene“, also Menschen, die während der Militärdiktatur verhaftet und danach nie wieder aufgetaucht sind. Junge, meist lachende Menschen schauen uns auf den Orginalfotos an, man sieht ihnen die Lebensfreude, die Hoffnung auf ihre Zukunft an. Sie alle wurden gefoltert, getötet und dann irgendwie beiseite geschafft. Gerade das leise Gegenüberstellen der Fotos hat mich damals tief berührt, hat die Wunden, die in den Familien bis heute klaffen, auf erschreckende Weise deutlich gemacht. Diese Bilder standen mir sofort wieder vor Augen, als ich das Buch Perla von Carolina de Robertis las.

Es ist die Geschichte von Perla, einer jungen Studentin aus Buenos Aires, behütet und wohlhabend aufgewachsen. Besonders zu ihrem Vater hat sie ein liebevolles Verhältnis, die Mutter ist eher kühl, flüchtet sich vor ihren geplatzten Lebensträumen oft in Konsum und Luxus. In neuerer Zeit fällt Perla eine zunehmende Nervosität der Eltern auf, irgendwie scheint das mit der Aufklärung der Verbrechen der Militardiktatur von 1976-1983 in Argentinien zu tun zu haben, in der Perlas Vater einen hohen Posten bei einer berüchtigten Marineeinheit inne hatte. Perla gelingt es, aufkommende Unruhe und Zweifel immer wieder zu verdrängen, obwohl ihr Freund ein politisch engagierter Journalist ist. Es kommt zum Streit mit ihm, Perla läuft aus dem gemeinsamen Urlaub davon.

Zuhause findet sie im Wohnzimmer einen nackten, von Wasser triefenden Mann, wie sich bald herausstellt der Geist eines der Verschwundenen, der mit Perla auf besondere Weise verbunden ist. In Rückblenden wird jetzt abwechselnd von seiner Verhaftung, Folterung und seinem Tod – die Gefangenen wurden betäubt und über dem Rio Plata aus Hubschraubern geworfen, wo sie dann ertranken -, von seiner ebenfalls verhafteten, schwangeren Frau und von Perlas Leben erzählt. Nun endlich ist Perla gezwungen, sich mit diesem schrecklichen Kapitel in der argentinischen Geschichte und auch ihrem eigenen Leben auseinander zu setzen. Die Autorin spart dabei nicht mit realistischen, harten Details, verwendet dazu aber eine oft berührende poetische Sprache und oft schöne Bilder, wie z.B.

„Worte sind unzureichend, und doch brauchen wir sie. Sie sind die Gefäße, die unseren Erinnerungen Form geben und sie daran hindern, einfach davonzurinnen.“

Manchmal wurde mir die Sprache aber auch ein wenig zu verquast, z.B. „…er die geschmolzene Luft ihrer gemeinsamen Präsenz trinken kann…“ Bei solchen Formulierungen und bei vielen Wiederholungen besonders im ersten Drittel des Romans, wo zum Beispiel immer wieder das nass Sein des Mannes und seine Empfindungen während des Ertrinkens im Wasser geschildert werden, hätte man sich einige Kürzungen gewünscht, was dann zu fast verärgertem Weiterblättern geführt hat. Dann aber folgen wieder Passagen enormer, berührender Dichte.

Und am Ende habe ich mir im Internet wieder die Fotos von Gustavo Germano angeschaut, die nichts von ihrer Kraft für mich verloren haben. Zusammen mit der fesselnden Lektüre von Perla bleibe ich fassungslos zurück, dass solche Dinge immer noch und immer wieder passieren können, zeitlich und kulturell so nah. Das Buch werde ich so schnell nicht vergessen und noch lange mit mir herumtragen. Keine schlechte Leistung für einen Roman.

Rezension vom 12.03.2013

 

Carolina De Robertis – Perla 

Aus dem Amerikanischen von Cornelia Holfelder-von der Tann

 Fischerverlage 336 Seiten, Preis € 18,99

Fischer Taschenbuch € 9,99

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