Donna Leon – Stille Wasser: Commissario Brunetti-Romane zu lesen, ist ein wenig wie ein Familientreffen.
Seit nunmehr 25 Jahren erscheint pünktlich jedes Jahr ein neuer Band, zuverlässig wie Ostern und Weihnachten. Zeit genug, die Charaktere, die seltsam alterslos sind – aber ist das in Familien nicht auch so, dass Eltern, Tanten und schließlich auch man selbst gefühlt nicht altern?- in und auswendig kennenzulernen. Venedig, oder Donna Leons Bild von Venedig, sind dem Leser schon fast so vertraut wie der eigene Heimatort. Um das zu unterstützen, gibt der Diogenes Verlag wunderbare kleine Stadtpläne heraus: Venedig mit Donna Leon und es gibt sogar eigene Internetseiten, die die Spuren des Commissario in seiner Lagunenstadt verfolgen.
Donna Leon selbst lebt schon seit fast zehn Jahren nicht mehr in Italien, sondern in der Schweiz in einem klitzekleinen Dorf in Graubünden. Schon lange sind ihre Klagen zu hören über den Ausverkauf ihrer noch immer geliebten ehemaligen Wahlheimat: Touristenmassen , die sich durch die kleinen Calli drängen, völlig überzogene Preise, kitschige Souverniers an allen Ecken, Korruption und Vetternwirtschaft und in zunehmendem Maße die Umweltverschmutzung, die die uralte Stadt zu zerstören droht.
Sie ist auch das beherrschende Thema in Brunettis sechsundzwanzigstem Fall. In ihm ist alles so vertraut wie auf dem erwähnten Familienfest, und doch auch ein wenig anders. Guido Brunetti verlässt diesmal nämlich die Stadt. Keine Angst, er fährt nicht weit, nur hinaus in die venezianische Laguna, auf die Insel Sant´Erasmo. Dorthin schickt ihn seine Frau Paola, nachdem er einen aus Kollegialität zwar gespielten, aber irgendwie doch auch nicht ganz unbegründeten Schwächeanfall erlitten hatte und von der Arbeit für zwei Wochen freigestellt wurde. Hier in der Weite und relativen Einsamkeit der Lagune will Guido die brüllend heißen Tage nur mit Lesen, Essen und Rudern verbringen. Partner bei letzterem ist ihm der alte Verwalter seines Gasthauses (natürlich eine mehr als komfortable Villa im Besitz der weiteren Familie Falieri). Dieser war schon früher Ruderkamerad von Brunettis Vater. (Man sollte bei solchen Zufällen nicht so knauserig sein.)
Der Aufenthalt in der Lagune bedingt natürlich, dass wichtige Ingredienzien jedes Brunetti-Romans diesmal ein wenig kurz kommen: die Familie nimmt relativ wenig Raum ein, die Mahlzeiten sind eher einfach, Signorina Elettra und der eitle Patta kommen nur ganz am Rande vor, und auch Venedig selbst bleibt im Hitzedunst am Horizont versteckt. Dafür gibt es viel Lagunenatmosphäre, die Donna Leon in bewährter Manier zu vermitteln versteht.
In ebenso bewährter Manier bringt sie ihr Anliegen, und das hat sie in jedem ihrer Romane, vor. Diesmal ist es die Verschmutzung der Lagune und der Umwelt im Allgemeinen, mit der das weltweite Bienensterben einhergeht. Dieses ist in letzter Zeit ein (durchaus ehrenwertes und wichtiges) Modethema geworden – Bücher über Bienen zuhauf. Hier ist es der alte Davide Casati, der seine Bienenstöcke in der Lagune versorgt und den ihr Tod sehr beunruhigt. Eines Tages wird er nach einem schweren Unwetter selbst tot aufgefunden. Sein Boot ist gekentert und er ertrunken. Ein Unfall, Selbstmord aus Kummer über den Krebstod seiner Frau – oder ein Verbrechen? Klar, dass Brunetti nicht länger im Urlaubsmodus verweilt, sondern diskret ermittelt.
Wie in vielen Brunetti-Romanen dauert es eine ganze Zeit, bis die Handlung Fahrt aufnimmt, Zeit, die mit Stimmungsbildern, ruhigen Alltags- oder Ermittlungsroutinen gefüllt wird. Und auch dann befinden wir uns nur in einem Bummelzug. Action gibt es nahezu nie, keiner der Beteiligten pflegt Geistesblitze zu haben oder ungewöhnliche Ermittlungsmethoden zu pflegen. Wie auf dem Familientreffen entwickelt sich alles langsam und, es muss gesagt sein, ein wenig langweilig. Wem also Familientreffen und Langeweile schon immer ein Graus waren – Hände weg von diesem Buch. Ebenso enttäuscht werden – wieder einmal – alle, die eine wirkliche Auflösung des „Falls“ verlangen, oder dass die Bösen am Ende bestraft werden. Auch diesen Ansinnen ihrer Leser widersteht Donna Leon wie fast jedes Mal. Vieles bleibt auch in „Stille Wasser“ offen. Die Welt und das Leben sind zu kompliziert für einfache Lösungen.
Alle anderen aber, vor allem natürlich alle Mitglieder der großen Brunetti Familiengemeinde, lesen einen wunderbar ruhigen, und allein schon dadurch irgendwie widerständigen, einen atmosphärischen, einen klugen und mit einer typischen Leon-Botschaft versehenen Krimi. Und freuen sich nach dem Zuklappen auf das nächste Treffen im kommenden Jahr.
Weiter Brunetti Romane, die ich besprochen habe:
Donna Leon – Ein Sohn ist uns gegeben Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall
Donna Leon – Heimliche Versuchung
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Venetian Logoon near Burano by Vyacheslav Argenberg (CC BY 2.0)
Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar!
Donna Leon – Stille Wasser. Commissario Brunettis sechsundzwanzigster Fall
Diogenes Verlag Mai 2017, Hardcover Leinen, 352 Seiten, € 24.00
Hallo Petra
klar sind die Bücher besser, aber ich mag auch die Filme. „Stille Wasser“ habe ich noch nicht gelesen, aber bekanntlich ist Vorfreude ja die grösste Freude 🙂
Liebe Grüsse, Anya
Hallo Anya, mag sein, dass ich bei den Filmen ein wenig streng bin. Ich konnte mich aber nie mit den Darstellern anfreunden. Nicht mit ihnen als Schauspielern, sondern als Verkörperungen der Brunettis. Ich tue mich generell ein bisschen schwer mit Literaturverfilmungen. Aber generell ist ja alles immer Geschmackssache. Es soll auch Leute geben, die mit Brunetti gar nichts anfangen können (Kopfschüttel). Ich wünsche dir auf jeden Fall noch viel Freude auf/bei Stille Wasser. Meinen Besuch muss ich auf morgen verschieben. Liebe Grüße Petra
Ich habe den ersten Band auch noch auf dem SuB, aber irgendwie habe ich es bislang nie angegangen. Ich befürchte, dass ich es genauso langweilig finde wie die Verfilmungen.
Oh nein, die Verfilmungen sind grauenhaft! Die Bücher sind sicher auch nicht für jeden etwas, langweilig kann schon ein bisschen sein, haben aber mit den Verfilmungen echt wenig gemeinsam.
Okay, ich probiere es aus. 😉
Da stimme ich dir zu, liebe Petra! Die Verfilmungen finde ich furchtbar aber die Bücher liebe ich! Meine Empfehlung ist bei Reihen, immer mit dem ersten Band anzufangen. Im ersten Teil wird der Ermittler eingeführt und dann stetig weiterentwickelt. Zumindest sollte man die ersten drei Bände nacheinander lesen. Dann hat man schon ein kleines bisschen ein Gefühl für Brunetti. Er ist ein Erlebnis und alleine schon wegen ihm möchte ich endlich mal Venedig besuchen! Das aktuelle Buch habe ich noch nicht gelesen, freue mich aber sehr darauf. 🙂
GlG vom monerl
Schön, dass du das auch so siehst 😉 Es gibt ja auch einige Fans der Fernsehfilme. LG
da muss ich mich mal ran tasten, kann hier noch gar nicht mitreden …
Ich glaube fast, mit Brunetti muss man „groß“ werden 😉 Ich wäre gespannt, wie so ein buch auf „Erstleser“ wirkt.
Okay … Sollte ich da in der Reihe mit dem Ersten Band anfangen, oder hast Du einen Liebling?
Ehrlich gesagt habe ich da keinen Liebling. Es war immer mal ein Auf und Ab mit Brunetti. Zwischendurch bin ich auch mal für ein paar Bände ausgestiegen, da ich auch ein wenig gelangweilt war, dann aber doch wieder zurückgekommen. Brunetti hat einfach was, außerdem ist Donna Leon eine tolle Dame! Im Endeffekt ist es aber einfach was für Fans, und ob man einer werden könnte, muss man eben ausprobieren. Der letzte Band „Ewige Jugend“, den ich aber ausnahmsweise noch nicht gelesen habe, soll aber ziemlich gut sein.