Backlist: David Grossman – Kommt ein Pferd in die Bar

 

David Grossman auf dem Blauen Sofa by Blaues Sofa (CC BY 2.0)

Für seinen Roman Kommt ein Pferd in die Bar wurde David Grossman am Mittwoch in London  mit dem Man Booker International Prize ausgezeichnet. Das Preisgeld in Höhe von 50.000 Pfund gehen je zur Hälfte an Grossman und seine Übersetzerin Jessica Cohen.

„David Grossman hat sich an einem ambitionierten Drahtseilakt von einem Roman versucht – und er hat ihn spektakulär gemeistert. Jeder Satz zählt, jedes Wort ist wichtig in diesem herausragenden Beispiel der Fertigkeiten des Autors.“ so die Begründung der Jury.

Ich kann dem nur voll zustimmen und war auch sehr angetan von diesem Roman. Hier meine Rezension aus dem letzten Jahr.

 

Grossman - Kommt ein Pferd in die Bar

Ein Mann steht auf der Bühne eines kleinen Theaters in der israelischen Stadt Netanja, klein, nicht sehr attraktiv, ziemlich abgehalftert, der Stand-Up Comedian Dov Grinstein.

Der Leser sitzt zusammen mit dem Publikum im Saal, neben dem Richter Avichai Lasar, der einst als Junge mit Dovele befreundet war, nun auf dessen dringliche Bitten – Komm, sieh zu und sag mir, was du siehst – und eher zögernd zu dieser Veranstaltung gekommen ist. Er hat seinen einstigen Freund seit einer Jugendfreizeit nicht mehr gesehen, ihn zuerst auch gar nicht mehr erkannt. Hier im Theater wird er, und mit ihm der Leser, Zuschauer einer merkwürdigen Vorstellung.

Zunächst läuft alles noch recht normal ab, Witze unterschiedlicher Qualität, ein wenig Klamauk, ein paar anzügliche Bemerkungen ins Publikum, durchaus auch Kritisches bis Zynisches über Politik und Leben in Israel.

Doch recht bald merkt man, dass sich der Abend in eine andere Richtung entwickeln wird. Zunehmend aggressiv, besonders auch gegen sich selbst. Bitter bis geschmacklos („Ins Ausland fuhr man bei uns nur zu Vernichtungszwecken.“) Anders als die nach Vergnügen, leichter Unterhaltung und Zerstreuung suchenden Zuschauer erwarten. Viel persönlicher, denn Dovele beginnt, zunächst eher unbemerkt, dann zunehmend dringlicher, von sich, von seiner Kindheit und Jugend als ewiger, verhöhnter und getriezter Außenseiter und seiner gemeinsamen Vergangenheit mit dem Richter zu erzählen.

Als säße man mitten unter den Gästen, empfindet man abwechselnd Amüsement, Peinlichkeit, Unruhe, Mitleid und Ärger über den kleinen Mann auf der Bühne. Einige Zuschauer protestieren lautstark, wollen die Veranstaltung verlassen. Und auch als Leser hat man das ein oder andere Mal den Impuls, das Buch beiseite zu legen, zuckt zumindest das ein oder andere Mal zusammen. Was für ein Spiel spielt Dovele?

Aber David Grossman und mit ihm sein Protagonist schaffen es beinahe unbemerkt, zunehmend zu fesseln, für den Mann und das, was er erzählt zu interessieren, Anteil zu nehmen.

Als die Situation im Theater zu eskalieren droht, einige randalierende Zuschauer lautstark protestieren, möchte man am liebsten selbst aufspringen und ihnen wie der Richter zurufen: „Jetzt lasst ihn doch mal seine Geschichte erzählen.“

Am Ende sind es nur Wenige, die geblieben sind und sich Alles bis zum Ende angehört haben. Es ist die Geschichte eines Kindes, das in schwierigen Verhältnissen groß geworden ist. Die Mutter immer noch traumatisiert von ihren Erlebnissen während der Shoah, selbstmordgefährdet und labil. „Und sie lief immer mit gesenktem Kopf, das Kopftuch tief ins Gesicht gezogen, damit bloß keiner sie sah, und huschte immer schnell an den Zäunen entlang, damit ja niemand Gott verraten konnte, dass sie noch am Leben war.“ An ihr schulte sich der kleine Dovele, versuchte sie verzweifelt zum Lächeln zu bringen. Versuchte auch durch Lachen den Drangsalierungen durch seine Altersgenossen zu entkommen. Überlebenstechnik. Der Vater liebt seine Frau und seinen Sohn, prügelt aber auch erbarmungslos auf ihn ein. Überfordert durch Sorge um Frau und Kind.

Während des oben erwähnten Aufenthalts im Jugendlager wird Dov plötzlich gerufen, zu einer Beerdigung gefahren. Wer ist gestorben, man sagt es ihm nicht, doch das Wort Waise fällt. Die Fahrt wird für den Jungen zu einer Hölle. Kann er durch seine Gedanken das bereits Geschehene beeinflussen? Er glaubt daran, fühlt sich verantwortlich. Wessen Tod ist für ihn unerträglicher? Für ihn heute eine Art „Selektion“. Diese gefühlte Schuld verfolgt ihn bis heute.

Der Fahrer des Kindes versucht ihn durch das Erzählen von Witzen abzulenken. Das Kind während der Fahrt genauso Geisel dieser Comedy wie nun die Zuschauer in dem kleinen Theater. Er wird sich von diesem Erlebnis nie ganz erholen. Sein Leben wird dadurch geprägt, seine Berufswahl. Gesprochen wurde darüber nie.

Nun, wir ahnen es, am Ende seines Lebens will er noch einmal davon erzählen. Er will vom Richter ein Urteil, über sein damaliges Verhalten, über sein Leben.

David Grossman hat mit Kommt ein Pferd in die Bar ein großartiges  Buch geschrieben. Nicht nur der originelle Erzählansatz – es ist der Auftritt Doveles, gesehen vom Richter und mit kurzen Rückblicken –, sondern vor allem die Einbeziehung des Lesers, der mit all den wechselnden Gefühlen im Publikum sitzt und zum Ende eine tief berührende Geschichte gehört haben wird, überzeugen. Er balanciert ständig auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Grauen, Mitleid und Abscheu. Ein Absturz ist jederzeit möglich. Ein wirklich tolles Buch, das nebenbei auch all die ungelösten Probleme Israels zur Sprache bringt und somit hochpolitisch ist.

David Grossman – Kommt ein Pferd in die Bar

aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer

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