Rezension zu Jennifer Haigh – Licht & Glut: Tief unter der Nordostamerikanischen Erde, im sogenannten Marcellus Shale, lagern ungeheure Mengen an „unkonventionellem“ Erdgas. Erdgas also, das nicht in sogenannten Erdgasfallen lagert, die relativ leicht erschlossen werden können, sondern das in Rissen oder Poren des Schiefergesteins, teils auch an dies gebunden, vorliegt. Der Energiehunger der Welt ist trotz steigendem Umweltbewusstsein in manchen Gebieten und trotz fortschrittlichen, sparsameren Technologien ungebrochen und steigt nach wie vor. Fast zwangsläufig ist es da, dass solche Gasvorkommen nicht ungenutzt bleiben. Besonders in den USA ist das Fracking (eigentlich Hydraulic Fracturing) eine durchaus akzeptierte Methode der Energiegewinnung, gerade in der neueren Zeit, wo dort das Rad der Erkenntnis in Sachen Umweltschutz, Spätfolgen der rücksichtslosen Ausbeutung der Natur und daraus resultierender Schäden gnadenlos zurückgedreht erscheint. Zumindest bei Teilen der Bevölkerung. Es sind meist natürlich die Menschen, die direkt oder indirekt von der Energiewirtschaft abhängig sind, aber auch diejenigen, die sich davon eine bessere Zukunft versprechen. „Make America great again!“
Und so befinden wir uns auch in Jennifer Haighs großartigem Roman „Licht und Glut“ unter Menschen, die man neuerdings vielleicht in der Gruppe der Trump-Wähler verorten würde, die gerne zum „Amerika der Abgehängten“ gezählt werden. Es sind Menschen in den Weiten der Provinz, an denen oft genug die Entwicklungen vorbei gehen, oder die zumindest das Gefühl haben, dass dem so ist.
Hier ist es das kleine Nest Bakerton in Pennsylvania, traditionell ein Staat der Energiewirtschaft. In früheren Zeiten florierten die Kohlebergwerke, die Männer schufteten sich unter Tage krank, aber die Gemeinden prosperierten, Geld und Infrastruktur gab es reichlich. Seit dem Niedergang der Kohlewirtschaft kränkeln sie, wer kann, zieht fort, der Rest findet sich mehr schlecht als recht mit der neuen Armut ab, Arbeitslosigkeit ist der neue Normalzustand. Kein Wunder fast, dass auch Alkoholismus und Drogensucht, vor allem Meth wird reichlich konsumiert, weit verbreitet sind. Und natürlich Wut auf „die da oben“. Man kennt das.
In diese Situation kommt nun ein Vertreter des Energieriesen Darco, Bobby Frame, und weiß, Hoffnung zu wecken. Mit einer einzigen Unterschrift unter einen Pachtvertrag lockt das große Geld. Das eigene Land kann problemlos weiter genutzt werden, während weit in der Tiefe nach Erdgas gebohrt wird. Völlig problemlos! Die Bewohner von Bakerton sind in ihrer Verzweiflung und Resignation leicht zu manipulieren. Reihenweise werden Verträge abgeschlossen, nur wenige „verschrobene Typen“ wie die beiden lesbischen Biofarmerinnen Rena und Mack, verweigern sich. Und ziehen dadurch den Zorn der anderen Anwohner auf sich. Kaum einer liest das Kleingedruckte, niemand durchschaut das Geflecht von Unternehmern, Subunternehmern, Haftungen und Verbindlichkeiten, genauso wenig wie umwelt- oder gesundheitsgefährdende Aspekte erwähnt werden. Allein die Liste der einer solchen Bohrung zugesetzten möglichen Additiva ist schwindelerregend.
So riecht auch bald das Trinkwasser „chemisch“. Ländereien werden verwüstet und in Ödflächen verwandelt, der Lärm ist unerträglich, der Nutzen für die Bevölkerung minimal, werden doch die Arbeiter nicht vor Ort angeworben, sondern aus dem fernen Texas herangeschafft, fließt das Geld doch sehr zögerlich erst nach der Erschließung der Quellen. Auch dass die Landeigentümer im Ernstfall für Lasten der Pächter aufzukommen haben, wurde wohlweislich verschwiegen. Ein weiterer wichtiger Punkt wird im Verlauf der Geschichte deutlich: durch den Fracking-Boom verfällt der Gaspreis derart, dass die geleisteten Investitionen sich kaum noch lohnen. Dass darunter nicht die Energieriesen zu leiden haben, die ihre Schäflein rechtzeitig ins Trockene bringen, sondern „der kleine Mann“ vor Ort, ist leider eine oft genug Tatsache.
Jennifer Haigh gelingt es, diesen hochaktuellen Sachverhalt zwar kritisch, aber keinesfalls polemisch zu schildern. Ihre Recherche ist bewundernswert, ebenso die Fähigkeit, die Sachverhalte packend und verständlich darzulegen.
Sie schafft ein vielschichtiges und facettenreiches Gesellschaftsbild und das figurenreiche Panorama einer typischen amerikanischen Kleinstadt. Alle sind irgendwie vom Frackingboom betroffen. Seien es diejenigen, die schon früh einen Pachtvertrag mit Dark Elefant Energy, einer Tochter von Darco, abgeschlossen haben, wie zum Beispiel der Justizvollzugsbeamte Rich Devlin, sei es seine hypochondrische Frau Shelby, die die ständige Übelkeit ihrer kleinen Tochter Olivia gerne auf das mit Methan kontaminierte Wasser zurückführen würde (dabei steckt dahinter wohl etwas noch düsteres); seien es die beiden Ökofarmerinnen, deren Produkte bald niemand mehr kaufen möchte oder die Pastorin Jess, die mit einem der Bohrarbeiter eine Affäre beginnt. Anhand von Jess, deren Ehemann Wesley vor Jahren an Schilddrüsenkrebs erkrankte, schafft es Haigh sogar ziemlich unangestrengt eine weitere ökologische und menschliche Tragödie in die Handlung einzubauen, nämlich das Reaktorunglück von Three Mile Island/Harrisburg im Jahr 1979. Dort wurden bei einer partiellen Kernschmelze beachtliche Mengen an Radioaktivität freigesetzt. Wesley lebte damals in unmittelbarer Nähe. Auch damals wurde das Ausmaß der ganzen Angelegenheit sehr lange unter den Teppich gekehrt. Der Leser wird auf einen Zusammenhang, auch mit der neuen, umstrittenen Fördermethode nicht sehr sanft, aber auch nicht störend pädagogisch hingewiesen.
Ja, die Autorin hat durchaus eine „message“. Das wird ähnlich schreibenden Kollegen, wie unlängst Juli Zeh in ihrem Roman „Unterleuten“, an den ich tatsächlich immer wieder denken musste, gerne vorgeworfen. Mir sind solche Bücher lieber als artifizielle Sprachkunstwerke ohne Aussage oder Erkenntnisgewinn. Aber das mag jeder Leser für sich selbst entscheiden. Jennifer Haigh schreibt in Licht & Glut geradlinig, sprachlich absolut souverän, aber eben auch konventionell. Sie schafft ein psychologisch genaues, dichtes und engagiertes Gesellschaftsbild, in dem auch das Arbeitsleben einen Platz hat, das seinem Personal widersprüchliche Facetten zugesteht, sie kritisch, aber durchaus auch liebevoll begleitet, ihre Träume, aber auch Trugbilder anschaulich schildert. Ihre geschickt verwobenen Geschichten brechen große politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Themen auf die (zwischen)menschliche Ebene herab und verdeutlichen sie dadurch. In ihrer Sucht nach Liebe, Anerkennung, Geld, Energie, manchmal auch Drogen, gleichen sie so vielen.
Und das es am Ende keine irgendwie geartete Lösung gibt, geschweige denn ein Happy-End ist der komplexen Situation, in der sich unsere Welt befindet, nur angemessen.
„Eine unvorhergesehene Wechselwirkung zwischen einzelnen Ausfällen in einem komplexen System. Gab es je eine bessere Beschreibung des menschlichen Lebens?“
heißt es einmal.
Und es nimmt auch nicht Wunder, dass Rich, einer der ersten Unterzeichner eines Fracking-Pachtvertrags, am Ende klagt.
„Für Rich zeigt das nur einmal mehr, dass die Regierung ihre Nase überall hereinsteckt.Sein Eindruck verstärkt sich, dass sie die Quelle all seiner Probleme ist. Zuerst hat die Umweltschutzbehörde seine Umwelt nicht geschützt. Dann haben ein paar Bürokraten aus dem County seine Frau angegriffen und einen schrecklichen Moment lang gedroht, seine Familie auseinanderzureißen. Wenn man dringend Hilfe bräuchte, lässt die Regierung einen im Stich. Und wenn nicht, lässt sie einen verdammt noch mal nicht in Ruhe.“
„Licht und Glut“ gingen im Amerikanischen zwei weitere Bücher von Jennifer Haigh aus der fiktiven Kleinstadt Bakerton voraus, „Baker Towers“ und „News from heaven“. Ersteres erschien 2006 bei Goldmann unter dem merkwürdigen deutschen Titel „Und jeden Tag ein neues Leben“, ist aber nur noch antiquarisch zu erhalten. Es wäre zu hoffen, dass Droemer beide Titel in einer deutschen Ausgabe herausbringt. „Licht und Glut“ zählt zu meinen bisherigen Lese-Highlight des Jahres 2017.
Da wir aber gerade dabei sind, eine kleine Kritik am Titel. „Heat & Light“, so der Originaltitel, wäre mit „Wärme und Licht“, dem was man sich von Erdgas und anderen Energien erhofft, meiner Meinung nach besser übersetzt worden. Nicht so schlimm wie „Und jeden Tag ein neues Leben“, aber immerhin…
Beitragsbild: Fracking by Simon Fraser University – University Communications (CC BY-2.0) on Flickr
Jennifer Haigh – Licht und Glut
Aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller
Vielen Dank, Petra! Wieder eine tolle Rezi, gewohnt wunderbar illustriert aus Deiner Feder! Diesen Titel merke ich mir vor, auch als Geschenk für meinen Mann.
Danke, freut mich!