Katherine Kressmann Taylor, geboren 1903, veröffentlichte ihren Briefroman „Adressat unbekannt“ erstmals 1938 in einer US-amerikanischen Zeitschrift. Die Geschichte zweier deutsch-amerikanischer Freunde, die durch die Übersiedelung des einen 1932 nach Deutschland und seine zunehmende Sympathie für den Nationalsozialismus zerbrach (der Zurückbleibende war jüdischer Abstammung) weckte bei Erscheinen einiges an Aufmerksamkeit und entfachte in den USA eine lebhafte Diskussion. Zum großen, weltweiten Erfolg, der das kleine Buch zu einem modernen Klassiker machte, gelangte es aber erst Jahrzehnte später. Hier liegt von Katherine Kressmann Taylor nun der Roman So träumen die Frauen vor.
Katherine Kressmann Taylor, der geraten wurde angesichts des brisanten politischen Themas, lieber den geschlechtsneutralen Autorennamen Kressmann Taylor zu wählen (1938!), schrieb davor und danach einige Kurzgeschichten, von denen fünf nun in einem sehr schön ausgestatteten kleinen Leinenbändchen erschienen sind. Sie sind zwischen 1935 und 1958 entstanden.
.Allen gemeinsam sind die Frauengestalten, die in ihrem Mittelpunkt stehen. Auch wenn nur eine davon in „Todesglocken“ wahrhaftig träumt – einen verstörenden, bedrohlichen Traum übrigens -, wirken sie doch alle ein wenig wie Träumerinnen. Sie sind voller Überschwang, angefüllt mit Gefühlen, Plänen, im Kopf entweder in einer ersehnten Zukunft oder einer schmerzlich vermissten Vergangenheit – je nach Alter, denn das variiert von sehr jung bis sehr alt. Gemeinsam ist ihnen auch ihr – wohl zeittypisches – Verhalten Männern gegenüber. Diese gelten für sie als Ankerpunkt, als Bewunderungs- und Liebesobjekt, ein wenig wie die Ritter in der strahlenden Rüstung. Zumindest ordnen sie alle mehr oder weniger ihnen ihr Leben und ihre eigenen Träume unter. Und auch Kressmann Taylor, wie wir im Nachwort ihres Sohnes erfahren, reihte sich im echten Leben dieser Frauenschar ein. Während ihr Mann ungestört seiner Karriere als Herausgeber eines Magazins nachgehen konnte, kümmerte sie sich um Haus, Farm und Kinder, unter teilweise ärmlichen Verhältnissen und musste sich diesem Alltag mühsam ihre Schreibstunden abtrotzen. Dennoch war es wohl sie, die mit dem Erfolg von „Adressat unbekannt“ einen Großteil des Familienvermögens erwirtschaftete. Nicht zufällig entstanden die meisten hier versammelten Erzählungen nach 1953, dem Todesjahr ihres ersten Mannes. Eine zweite Heirat im Jahr 1967 bedeutete eine erneute Schreibpause bis zum Tod auch dieses Partners 1974 (!). Von den später entstandenen Werken ist bisher noch keines auf Deutsch veröffentlicht. Lediglich der 1942 erschienen Roman „Day of no return“, der erneut Nazideutschland zum Thema hatte, erschien 2002, ist mittlerweile aber auch nur noch antiquarisch zu haben (vielleicht komplettiert der Hoffmann & Campe Verlag ja die schöne Reihe noch mit diesem Werk?!).
Vivian Maier by Kristine (CC BY-NC 2.0) via Flickr
Auch wenn in keiner der Geschichten deutlich angesprochen, ist die Klage über diese selbstgewählte Abhängigkeit der Frauen, das Bedauern über die aufgegebenen Pläne und Chancen und die Gefahren die darin liegen, doch klar, wenn auch subtil zu spüren.
Da ist die junge Frau, die ein eigenes Leben und eine Karriere in der Stadt sausen lässt, als sie ihre alte Liebe, einen kernigen Landmann, widertrifft. Da ist das junge Mädchen, dass den sie anbetenden Freund verschmäht, nur um einem arroganten Schnösel hinterherzulaufen, der sie absichtlich schlecht behandelt. Da ist eine Witwe, die ihren verstorbenen Mann betrauert, aber auch in dieser Situation nicht der sozialen Kontrolle entfliehen kann.
„Doch dann fiel ihr Blick auf all die vertrauten, nassen Dächer der kleinen Stadt und die Fenster, hinter denen aufmerksame Augen wachten. Und sie wusste, dass sie es nicht tun würde.“
Sie ist eng, die Welt, in der die Frauen leben (und gegebenenfalls träumen). Noch beklemmender wird dies deutlich in den beiden Erzählungen, in denen alte Frauen eine Rolle spielen.
Es sind Frauen, die einst durchaus erfolgreich und ambitioniert, voller Talente und Träume, irgendwann auf der Strecke geblieben sind und verarmten. Soziale Absicherung, Vermögenssicherung, das war für Frauen in der Nachkriegszeit ohne Männer wohl immer noch schwierig. Manche opfern eine durchaus aussichtsreiche Karriere allerdings auch für diese auf. So in der für mich besten, auch der längsten der Geschichten, „Die sterbende Rose“. Wie hier der Niedergang eines Ehepaars an den verfehlten Ambitionen, dem falschen Stolz und der unbedingten Ergebenheit der Frau geschildert wird, ist aufwühlend und literarisch sehr beeindruckend. Schon lange hat mich keine Kurzgeschichte mehr derart berührt, wie gerade diese.
Ich muss zugeben, dass mir Katherine Kressmann Taylor bis zu So träumen die Frauen nicht bekannt war. Die Lektüre ihres Romans „Adressat unbekannt“ ist nun für mich Pflicht.
Beitragsbild: 1953 by Kristine (CC BY-NC 2.0) via Flickr
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Ich danke Madame Flamusse für die Hinweise auf die schönen Bilder von Vivian Maier! Sie hat das Buch ebenfalls gelesen und besprochen.
Ich finde „Adressat unbekannt“ müsste Pflichtschullektüre werden, ich habe es schon oft an Teenager und junge Erwachsene verschenkt. „So träumen die Frauen“ war mir nicht bekannt. Danke für den Tipp und die schöne Rezension.
Guten Morgen!
Was für eine wunderbare Rezension! Das Buch werde ich mir auf jeden Fall merken. Von Adressat unbekannt habe ich schon viel Gutes gehört und es steht auf meiner WuLi.
Ja, ich bin froh, in der heutigen Zeit als Frau zu leben. Und das mit den politischen Ansichten ging noch sehr viel länger. Wenn Dich so was interessiert, kann ich Dir „Und dennoch“ von Hildegard Hamm-Brücher empfehlen. Sie ist sehr politisch aufgewachsen, dann kam der Krieg und danach wollte sie eigentlichg in die CSU. Aber auf Grund dessen, dass sie eine Frau war, wurde sie total benachteiligt. Sie war mit eine der Vorreiterinnen in der Deutschen Politik.
Bis 1973 durften Frauen zB nicht ohne Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten gehen. Schon heftig.
Ich habe Deinen Artikel hier verlinkt: https://lillysjoeberg.blogspot.de/2017/08/klick-mich.html
Liebe Grüße
Lilly erdbeertörtchen
Danke, liebe Lilly, auch für die Tipps! Leider kann ich auf deiner Seite irgendwie nicht kommentieren, ich habe aber gründlich gestöbert! Liebe Grüße, Petra
Ich möchte Adressat unbekannt sehr. Das muss ich mir merken. Dankeschön!
Sehr gerne! Liebe Grüße
Toll! Wunderschön gestaltet dein Artikel, ich muß sagen ich hab mir nicht getarut die fotos von Vivian Maier zu nehmen, wegen den Bildrechten. Ich bin so sehr angetan von der Autorin das ich ein starkes Bedürfniss habe alles von Ihr zu lesen und ebenfalls hoffe das da vom Verlag noch nachgelegt wird. Vorgestern hab ich „Adressat unbekannt“ gelesen. Ein sehr kurzes Stück was aber wirklich sehr sehr schön durch viele Nachworte ergänzt wird, auch wieder besonders durch die ihres Sohnes.
Sag mal was bedeuten die Ausrufezeichen hinter den Jahreszahlen?
Danke dir. Wenn die Bilder CC sind, traue ich mich 😉 Bei den Jahreszahlen wollte ich nur meine Verwunderung betonen, dass 1938 einer Frau kein politisches Thema zugetraut wurde. Und dann, dass sie tatsächlich sieben Jahre von 1967 bis 1974, die komplette zweite Ehe literarisch verstummte. Das hat mich nur so erstaunt. Liebe Grüße!
Oh ich hatte es so verstanden das Sie mit dem zweiten ehemann sehr glücklich war und ja ihre neue Heimat entdeckte… er war ja auch Künstler…war mir jetzt nicht bewußt das Sie da nichts gemacht hat… spannend diese Lebensläufe.
Mich beschäftigt das sehr wie unetrschiedlich das bei Männern und Frauen in der Geschichte so lief und immer noch läuft. für mich war Sie eine echte Vorreiterin – und ja das mit dem Namen fand ich auch zu krass. In den USA ist es aber teilweise heute noch extremst konservativ in verschiedenen Landstrichen.
Hab kürzlich die Serie Mad Men angeschaut, das spielt in den 60igern und das schien mir so realistisch und bildhaft wie damals Frauen gesehen wurden.. Sie waren immer die Mütter zu Hause oder die Sekretärinnen die nur ein Ziel hatten, zu heiraten um versorgt zu sein – alleine verdienten Sie auch zu wenig. Und wenn wir uns heute umschauen findet sich das ja leider auch noch so, halt etwas versteckter. Gleichberechtigung ist noch keine Realität.
Ps.: Vivian Maier, von Ihr brauche ich unbedingt das Buch.