Der Tatsache geschuldet, dass wir dieses Jahr keinen klassischen Erholungsurlaub gemacht, sondern mit Kind und Kegel quer durchs Baskenland gereist sind und von daher sehr wenig Lesezeit blieb, habe ich nur ganz schmale Bücher als Urlaubslektüre mitgenommen und diese zudem noch in der (von mir nicht so geliebten) digitalen Version auf meinem Tolino. Trotz dieser nicht gerade günstigen Lesevoraussetzungen habe ich doch drei Bücher gelesen, die es verdient haben, hier kurz vorgestellt zu werden.
Das erste Buch hat schon einige Jahre auf dem Buckel, 1979 zuerst veröffentlicht unter dem Originaltitel „Offshore“, gewann es ziemlich überraschend den Booker Prize.
Die Handlung ist im Jahr 1963 angesiedelt, in einer kleinen „Gemeinde“ von Hausbootbesitzern auf der Londoner Themse. Autobiografische Erfahrungen der Autorin, die auch einige Zeit auf einem Boot am Battersea Reach unter ärmlichen Bedingungen gelebt hat, sind wie in allen ihren Romanen eingeflossen. Und doch ist es kein autobiografischer Text. Es sind auch hier die Außenseiter, die „Randexistenzen“, versinnbildlicht durch das Leben auf ihren Hausbooten und den Originaltitel „Offshore“ – küstennah, aber nicht mehr zum Inland gehörig, die sie interessieren. Ein wenig heraus sticht da nur Richard, der zum Leidwesen seiner Frau seinen Traum vom Leben auf dem Wasser verwirklicht, aber eher gut situiert und sehr geordnet lebt (das Haus auf dem Festland stets in Reichweite). Sonst sind es eher die „Künstlernaturen“, die hier zu finden sind, etwa die Violonistin Nenna, die ihre Karriere für Mann und zwei Töchter aufgegeben hat und sich nun langsam damit abfinden muss, dass ersterer sie wohl endgültig verlassen hat. Ihre verträumten und dabei sehr lebensklugen Töchter, die ein freies Leben der Schule vorziehen, das „Model“ Maurice, der seinem Boot Pariser Flair zu verleihen sucht, ein gutes Herz besitzt, aber nicht nur von seinen Freiern, sondern auch von einem regelrechten Gangster ausgenutzt wird, und der alte Marinemaler Willis, der versucht, sein leck geschlagenes Boot noch irgendwie zu verkaufen, bilden das restliche Personal, dem die Autorin knappe, aber psychologisch genaue und einprägsame Porträts widmet und zwischen denen sie fließend wechselt. Auch wenn die Figur der Nenna einen gewissen Mittelpunkt bildet. Mit viel Lebensklugheit, aber auch lakonischem, zuweilen spöttischem Witz, vor allem aber Liebe begleitet Penelope Fitzgerald diese Menschen eine kurze Zeit auf ihrem alltäglichen Kampf um ein glückliches, vor allem aber auch würdevolles Leben. Viel Liebe gilt auch der Stadt London, die gerade begann „Swinging London“ zu werden, aber auch der malerischen Themselandschaft. Nicht umsonst ist einer der Protagonisten Marinemaler in Tradition von Turner und Whistler. Insgesamt ein schönes, kleine Büchlein, das neugierig macht auf weitere Werke der im Jahr 2000 im Alter von 83 Jahren verstorbenen, in Deutschland noch nicht so richtig entdeckten Autorin, die doch so berühmte Fans wie J.M.Coetzee, Julian Barnes und Alan Hollinghurst hat.
Penelope Fitzgerald
Ein Hausboot auf der Themse
aus dem Englischen von Christa Krüger. Mit einem Nachwort von Alan Hollinghurst
Erschienen: 11.07.2016
insel taschenbuch 4457, Klappenbroschur, 190 Seiten,12,99 €
Meine zweite Lektüre war ein aktuelleres Werk. „Hier sind Drachen“ von Husch Josten beschäftigt sich mit einem hochaktuellen und brisanten Thema: dem modernen Terrorismus, speziell demjenigen islamistischer Bauart. Es behandelt existentielle Fragen wie: „Gibt es den Zufall?“, „Warum wird der eine zufällig Opfer?“, „Woher kommt all der Hass?“, „Gibt es einen Schutz vor dieser Art des Terrors?“. Aber auch die Bedeutung von Erzähltem, Geschichten allgemein wird immer wieder erörtert. Denn die Ich-Erzählerin Caren ist nicht nur jemand, der mehrmals knapp einem Anschlag entging – am 11. September 2001 stand sie an einem Bagelstand unweit der Zwillingstürme, bei den Anschlägen auf Charlie Hebdo und dem israelischen Supermarkt war sie vor Ort in Paris, zu Beginn des Romans ist sie auf dem Weg in die französische Hauptstadt, es ist der Tag nach den furchtbaren Attacken auf Bataclan und die Straßencafés – , sie ist als Journalistin auch immer auf der Suche nach guten Geschichten, möglichst der einen Geschichte, die noch nie zuvor erzählt worden ist. Nun sitzt sie im Transitbereich des Flughafens Heathrow fest, es gab erneut eine Terrorwarnung, und sie kommt ins Gespräch mit einem Mann. Da er gerade in Ludwig Wittgensteins „Tractatus logico philosophicus“ liest, nennt sie ihn fortan Wittgenstein. Er ist der Verfasser eines Essays zu „Wahrscheinlichkeit und Berechenbarkeit von Anschlägen“, gerät nicht nur deshalb ins Fadenkreuz der Terrorermittlungen, die nun am Flughafen anlaufen und alles ins Chaos stürzen. Aber auch Caren zieht die Aufmerksamkeit der Beamten auf sich. Durch ihr Gespräch mit „Wittgenstein“ und dessen Aufzeichnungen kommt sie zudem ins Grübeln über ihre persönliche Situation, die durch eine tiefe Bindungsangst gekennzeichnet ist, ihre Dreiecksbeziehung zu Ben und ihre heimliche Liebesbeziehung zum verheirateten französischen Fotojournalist Julien. Das Buch ist voller kluger Überlegungen und nahezu philosophischer Fragestellungen, das ist sehr anregend. Insgesamt ist es aber, besonders gegen Ende, zu konstruiert, zu theoretisch und auch reichlich unplausibel. So blieb ich dann letztendlich eher unzufrieden zurück.
Husch Josten
Hier sind Drachen
Erschienen am 01.03.2017160
160 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 16,00
Das dritte meiner Urlaubsbücher wurde gerade in letzter Zeit recht oft sehr positiv besprochen: Olivier Bourdeaut – Warten auf Bojangles. Ich bin eher zögerlich in die Lektüre eingestiegen, gerade wegen der Begeisterung, aber auch weil mir der Beginn der Geschichte über das „herrlich verrückten“ Ehepaar, das sich siezt, lieber Gäste bewirtet, feiert und tanzt, bevorzugt zu Nina Simons „Mr. Bojangles“, als sich um Kindererziehung, Behördenkram oder regelmäßigen Broterwerb zu kümmern, doch ziemlich einem Schema bestimmter publikumswirksamer Romane zu entsprechen schien. Die positiven Reaktionen (auch in Frankreich war das Buch ohne großen Werbeaufwand ein Verkaufshit) wiesen in dieselbe Richtung. Mein Ding sind solche Geschichten eher nicht.
Aber das Buch wusste dann doch zu überraschen. Langsam entwickelt sich diese Familiengeschichte, die meist von dem seine strahlende, extravagante Mutter bewundernden Sohn, hin und wieder vom Vater erzählt wird, entwickelt sich diese heiter-verrückte Geschichte zu einem leisen Drama. Denn die Mutter entgleitet der Wirklichkeit zunehmend, verfällt dem Wahn. Vater und Sohn bemühen sich verzweifelt um die schon nicht mehr rettbare. Das entwickelt dann doch eine gewisse mitreißende Tragik, eine sanfte, liebevolle Melancholie, der sich auch die Leserin nicht ganz entziehen konnte.
Olivier Bourdeaut – Warten auf Bojangles
Übersetzt von: Norma Cassau
Erschienen am 01.03.2017
160 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 18,00
Bin beeindruckt wie schnell Du liest. Hab in meinen Ferien eben mal einen Roman geschafft ?
Das waren aber alle drei ganz dünne Bücher mit nur je etwas über 100 Seiten 😉