Jean Echenoz – Laufen

Jean Echenoz erzählt in Laufen von Emil Zátopek – „die tschechische Lokomotive“, Ausnahmesportler, Landes- und Europameister, vier olympische Goldmedaillen, davon drei allein 1952, jahrelanger Weltrekordhalter in allen Distanzen ab 5000m, insgesamt 18 Weltrekorde.

Es ist die Magie der Literatur, mir als mäßig an Sportereignissen und nahezu gar nicht an Leichtathletik Interessierter, der das Langstreckenlaufen schon immer als eine der ödesten aller auszuübenden Sportarten erschien, diesen lange vor meiner Zeit aktiven Athleten nahezubringen, mich seine Wettkämpfe mit Spannung verfolgen und an seinem Schicksal Anteil nehmen zu lassen. Es ist die besondere Magie der Literatur von Jean Echenoz, wie leise, unaufdringlich und eindrücklich das geschieht.

Echenoz hat bereits in seinem ebenso schmalen Roman „Ravel“ ein an den biographischen Eckdaten des Komponisten Maurice Ravel orientiertes, bestimmte Lebenssituationen herausgreifendes literarisches Porträt geschaffen. Dabei ging es ihm genauso wenig wie in „Laufen“ um biographische Genauigkeit, geschweige denn Vollständigkeit, auch wenn die Fakten genauestens recherchiert sind. An familiären Konstellationen ist ihm kaum gelegen, auch das Zeithistorische bleibt weitgehend Beiwerk, wenn auch erhellendes. Er schafft stattdessen ein Gefühl für das geschilderte Leben und ein Porträt, das man so schnell nicht vergisst.

By Collage: Hic et nunc [CC BY-SA 4.0 ], via Wikimedia Commons
Emil Zátopek kam eher unfreiwillig zum Leistungssport. Zur Zeit der deutschen Besatzung arbeitete er in einem ungeliebten Beruf bei den Bata-Schuhwerken. Es war die Zeit der körperlichen Ertüchtigung und die Werke mussten eine Leichtathletikmannschaft aufstellen, gefragt wurde da nicht lang. Sportwettkämpfe standen auf der Tagesordnung. Emil erwies sich überraschenderweise als guter Läufer. „Du läufst merkwürdig, aber du läufst gar nicht schlecht.“ So der Trainer. Aus dem „gar nicht schlecht“ wurde mit den Jahren einer der erfolgreichsten Läufer aller Zeiten. Goldstandard sozusagen. Das brachte Zátopek gut durch den Krieg und auch danach zu einer steilen Karriere in der sozialistischen Tschechoslowakei. Er lief nicht gern, aber eben gut. Und das ihm angebotene Amt in der Armee war seiner Schuhfabrikzeit weitaus vorzuziehen.

Emil Zátopek, Erik Ahldén, Wille m Slijkhuis 1948 By Noske, J.D. / Anefo [CC BY-SA 3.0 nl ], via Wikimedia Commons
Viel Raum nehmen im Roman themenbedingt Trainingseinheiten und Wettkämpfe ein. Zeithistorische, politische Gegebenheiten fließen nur nebenbei ein. Natürlich werden Zátopek und seine spätere Frau, die Speerwerferin Dana bespitzelt, werden ihre Auslandsreisen argwöhnisch überwacht. Aber Emil ist eigentlich kein politischer Mensch, er will in Ruhe leben, vielleicht ein wenig seine Privilegien genießen. Er arrangiert sich. Umso überraschender, dass er sich 1968, die russische Armee bereitet dem Prager Frühling durch ihren Einmarsch ein Ende, politisch positioniert und einen Olympiaausschluss Russlands für die kommenden Spiele fordert. Ein vielleicht unbedachter Schritt, der ihn den sofortigen Ausschluß aus Partei und Armee, einer Art Zwangsarbeit als Lagerist in den berüchtigten Uranminen von Jachymov und eine „Karriere“ als Müllmann beschert. Erst nach einer offiziellen Reueerklärung – und weil er, hinter den Müllwagen her joggend und von der Bevölkerung dabei bejubelt, Unruhe auf Prager Straßen bringt -, wird er schließlich als Archivar im Sport-Dokumentationszentrum eingesetzt.

„Gut, sagt der sanfte Emil. Archivar also, ich habe es gewiss nicht anders verdient.“

Emil Zátopek
Emil Zatopek, Champion olympique (Jaroslav Broz, bronze, 1992)  by Gustave Deghilage  (CC BY-NC-ND 2.0)

So endet Laufen von Jean Echenoz. Die Jahre der Ächtung (Zátopek wurde erst 1990 rehabilitiert) reißt der Autor nur kurz an, die Jahre als Archivar fehlen ganz. Echenoz versucht nie, in seinen Protagonisten hineinzukriechen. Fiktive Gedankengänge, intime Innenschau sind ihm fremd. Bei aller Literarizität gleicht der Text oft einer Lebensreportage, bei aller Nähe wahrt er eine immer auch ironische Distanz, ohne seine Figur jemals bloßzustellen. Unaufdringlich, dezent und anrührend, erzählt er auch skurrile Details. Immer wieder bindet er dabei auch den Leser ein. Und schafft dadurch ein ungeheuer elegantes, ebenso kluges wie heiteres Lebensbild.

 

 

Beitragsbild: Czechoslovakia – Olympic Medals 1965 by footysphere (CC BY-SA 2.0) on flickr

Jean Echenoz - Laufen

 

Jean Echenoz 

Laufen

Übersetzt von: Hinrich Schmidt-Henkel

Erschienen am 26.02.2011

Berlin Verlag, broschiert, 128 Seiten, € 8,99

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