Anna Kim – Fingerpflanzen

Es ist ein ganz eigenes Buch, das man mit dem neue Erzählungsband „Fingerpflanzen“ von Anna Kim in Händen hält. Zunächst fällt die besonders schöne Gestaltung auf. Englische Broschur mit einem sorgfältig, auch auf der Innenseite bedruckten Schutzumschlag. Farbiges, fein gemustertes Vorsatzpapier, hochwertiges Papier und eine durchgehende Bebilderung. Diese Bilder sind das nächste, das sofort ins Auge sticht. Sie stammen von dem norwegischen Künstler Kristian Evju, der in feinsten Graphitzeichnungen von fotographischer Präzision eine ganz eigene Stimmung zaubert. Die Illustrationen zeigen überwiegend Frauen bei ganz alltäglichen Verrichtungen und sind doch alles andere als realistisch. Durch kleine Beifügungen werden sie komplett verrückt, im wörtlichen Sinne. Durch eine leichte Verschiebung und/oder die Einarbeitung des stets gleichen grafischen Musters, rücken sie in eine höchst surreale, traumhafte Ebene.

Dazu korrespondieren die sechs kurzen Erzählungen von Anna Kim in Fingerpflanzen. Ich habe die Autorin dieses Jahr mit ihrem großartigen Roman „Die große Heimkehr“ kennengelernt. Darin erzählt sie mit großem Faktenreichtum die traurige Geschichte Koreas vor und nach der Teilung. Historisch genau und einfühlsam breitet sie darin die Geschichte dreier Freunde aus. Hier in den Erzählungen zeigt sich eine ganz andere Autorin. Im Dialog zu den Bildern von Kristian Evju schafft sie surreale Miniaturen, die alle um das Thema Liebe oder vielmehr ihr Scheitern kreisen. Auch sie haben, wie die Illustrationen, etwas Traumhaftes.

Da ist die Frau, die in einem Brief die Scheidung von ihrem Mann verlangt, der mit ihr aber bisher auch nur eine Nicht-Ehe führte; der Schriftsteller, der herausfindet, dass es sich bei der verzweifelten Liebe seines Verlegers um die eigene Freundin handelt; der Mann, der sich nach seiner Scheidung in eine rätselhafte Singstimme verliebt, mit fatalen Folgen; die Geschichte von der „Zeitbraut“, die, einst selbst vor dem Altar sitzengelassen, nun geschäftsmäßig Männern damit eine größere Attraktivität verleiht; ein Mann, der sich in ein Nagetier verwandelt und in einem U-Bahntunnel haust; und schließlich die Titelgeschichte, in der einem Mann Finger, Hände und Arme wie Pflanzen wachsen. Die Geschichten sind allesamt ziemlich sperrig, trotz ihrer sehr schrägen, traumhaft schwebenden Art aber in glasklarer Prosa verfasst – und ich konnte leider mit einer Ausnahme zu keiner wirklich Zugang finden. Allein „Die Zeitbraut“ hat mich wirklich bezaubert, und das nachhaltig. Alle anderen Erzählungen glühen in ihrer dunklen, oft auch ein wenig gruseligen, immer melancholischen Stimmung vor sich hin. Schön, aber was soll ich damit? Aber gerade das darf man sich bei der Lektüre besser nicht fragen, sonst steht man am Ende genauso ratlos da wie ich.

Anna Kim - Fingerpflanzen

 

Trotzdem stimmt das Gesamtpaket dieses feinen, kleinen Buchs. Es ist bewundernswert, dass sich kleine Verlage, wie hier der Topalian & Milani Verlag, an solche Projekte herantrauen und sie auf solch hochwertige Art und Weise herausbringen. Für den Beauty and the Book Award ist „Fingerpflanzen“ nominiert. Meine Stimme hat es.

 

 

 

Die Querleserin hat Fingerpflanzen ebenso gelesen und besprochen.

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

 

Anna Kim
FINGERPFLANZEN
Mit und nach Bildern von Kristian Evju

Erstausgabe August 2017, 130 Seiten
Farbiger Vor- und Nachsatz
Englische Broschur mit Schutzumschlag, 20 €

5 Gedanken zu „Anna Kim – Fingerpflanzen

  1. Wie alle Bücher von dem Verlag optisch, handwerklich, haptisch was sehr Feines! Ein Augenschmaus. Aber mir ging es mit den Erzählungen leider ähnlich wie Dir, ich fand keinen Zugang. Habe es nochmals zur Seite gelegt, vielleicht braucht es einfach eine andere Lesezeit.

    1. Da bin ich ja ein wenig beruhigt. Die Zeitbraut hat mir wirklich gut gefallen, aber alle anderen gingen ohne Spur an mir vorbei. Ein wenig schade, denn erstens schätze ich die Autorin sehr und zweitens ist es ein wunderschönes Büchlein. Vielleicht tatsächlich zu einer anderen Lesezeit.

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