Richard Ford war ein spätes Kind. Nicht mal so sehr, weil seine Eltern, für damalige Verhältnisse, mit 34 bzw. 40 Jahren ungewöhnlich alt für ein erstes Kind waren, sondern vor allem deswegen, weil sie bereits 15 Jahre verheiratet waren, bevor sich unverhofft, aber durchaus erwünscht, Nachwuchs einstellte. Richard Ford fühlte sich stets Zwischen ihnen.
Edna und Parker Carrol Ford stammten beide aus eher problematischen Familien und für beide war die frühe Heirat auch ein wenig Flucht aus dem ungeliebten Elternhaus. Ednas Mutter hat die Tochter bereits in frühen Jahren in eine Klosterschule geschickt, nachdem sie sich vom Vater getrennt hatte. Bei der neuen Beziehung zum schillernden Bennie Shelley wäre ihr die Tochter nur im Weg gewesen, ja diese musste sich sogar zeitweise als ihre Schwester ausgeben. Keine idealen Startvoraussetzungen für eine gelingende Mutter-Tochter-Beziehung. Aber auch Parkers Familie war belastet. Scheiternde Geschäfte trieben seinen Vater früh in den Selbstmord. Die besitzergreifende Mutter intrigierte zeitlebens gegen die Schwiegertochter.
Richard Ford erzählt von diesen nicht optimalen Startbedingungen seiner Eltern und wie sie aber bei ihrem Kennenlernen sehr bald merkten, dass sie einander gut taten, wie sie diese Chance ergriffen und sich eine zwar eher ungewöhnliche, aber doch glückliche Ehe schufen. Parker war als Handelsvertreter für Wäschestärke in einem großen Gebiet der Südstaaten unterwegs – Arkansas, wo beide herstammen – Mississippi – Alabama – Louisiana. Doch anstatt eine Wochenendbeziehung zu führen, reiste Edna mit ihrem Mann mit, unterstützte ihn, sie lebten überwiegend in billigen Motels, im Auto. Eine unkonventionelle, für die beiden sehr intensive Zeit, die erst endete, als sich 1944 doch noch ein Kind ankündigte – der kleine Richard.
Nun schaffen sich die beiden einen Lebensmittelpunkt in Jackson, Mississippi, ganz pragmatisch weil das das ungefähre Zentrum von Parkers Vertretungsgebiet ist. Der Vater reist von Montag bis Samstag und kehrt am Freitag ganz klassisch zurück, jedes Mal ein Fest, wie sich Richard Ford in der Rückschau erinnert. Trotzdem bleiben sich Edna und Parker ein Leben lang sehr nah, bis zu Parkers viel zu frühem Herztod im Jahr 1960. Richard ist da erst 16 Jahre alt.
Richard Ford legt in seinem schmalen Buch, das am treffendsten mit „memoir“ bezeichnet werden kann, etwas, das sich zwischen (Auto)Biografie und Essay bewegt, zwei Texte vor. Sie sind jeweils dem Vater und der Mutter gewidmet und mit großem zeitlichem Abstand geschrieben worden. Der Text über den Vater entstand erst unlängst, der Vater war bereits seit 55 Jahren tot, der Mutter-Text dagegen bereits kurz nach deren Tod 1981 und wurde nur leicht überarbeitet.
Dieses Verfahren bietet Möglichkeiten, aber auch Probleme. Zu letzteren gehören die unweigerlichen Wiederholungen, Redundanzen, die dadurch resultieren, dass über fast das Gleiche berichtet wird. Unstimmigkeiten hat der Autor dabei bewusst stehengelassen. Ihm war wichtig, „nur zu schreiben, was ich tatsächlich weiß und nicht weiß.“ Und von letzterem gibt es viel. Die Familie Ford war keine, die ihre Seele auf der Zunge trug, die über ihr Inneres oder überhaupt viel über sich sprach, es gibt keine Briefe oder gar Tagebücher, noch nicht einmal viele Fotos. Immer wieder muss der Sohn zugeben, dass er bestimmte Sachverhalte nicht kennt. Aber Mutmaßungen mag er nicht anstellen, nicht über Empfindungen, nicht über Sehnsüchte, Hoffnungen, Ängste. Zudem stellt er immer wieder auch Unzulänglichkeiten des eigenen Erinnerungsvermögens fest. Dadurch bleiben unweigerlich viele, vielleicht zu viele Leerstellen.
Das Verfahren bietet aber auch Vorteile. Unterschiedliche Blickwinkel, Bruchstücke, die zusammengesetzt ein neues Bild eröffnen, Ambivalenzen, die bestehen bleiben. Es ist vor allem ein sehr zurückhaltendes Stück der Erinnerung. Richard Ford wollte seine Eltern auf keinen Fall „bedeutender, nur erkennbar“ machen. Er macht das ohne jede Sentimentalität, aber mit ungeheurer Zuneigung, Wärme und Zurückhaltung. Auch wenn er von gelegentlichen Schlägen oder anderen Verfehlungen erzählt, geschieht das ohne jede Bitterkeit. Es ist ein Akt „nachgetragener Liebe“. Das gemeinsame Grab, das ihnen die Familien und Gegebenheiten verweigerten, obwohl sie sich so nahe standen, Richard Ford errichtet es ihnen in diesem Buch und schafft dabei wirklich rührende Szenen. Dabei ist das Porträt der Mutter, vielleicht durch die zeitnahe Reaktion auf ihren Tod, vielleicht auch einfach weil Richard sehr viel mehr Zeit mit ihr verbringen durfte, emotionaler, direkter. Ihr Sterben oder auch nur ihre nüchterne Selbsterkenntnis – „Richard, aus mir wird nie ein überschwänglicher Mensch“ – sind geradezu herzzerreißend. Das Verhältnis zum Vater scheint sich der Autor viel mehr erklären, teilweise auch ihre Distanz rechtfertigen zu müssen.
Seltsam unbeeinflusst bleiben die Porträts und die Familiengeschichte von allen historischen oder gesellschaftlichen Ereignissen, an denen das 20.Jahrhundert, über dessen fast gesamte Länge sie sich erstreckt, doch reich ist. Sei es, weil sie vom Autor bewusst weggelassen wurden, sei es, dass sie auf die kleine Familie tatsächlich keinen Einfluss genommen haben. Trotzdem zeigt das Buch natürlich auch einen kleinen Einblick in den amerikanischen Alltag einer „Normalfamilie“.
Ein leises, feines Erinnerungsbuch eines von mir sehr geschätzten Autors.
Richard Ford – Zwischen ihnen
übersetzt von Frank Heibert
Hanser Berlin August 2017, Fester Einband, 144 Seiten , 18,00 €
Beitragsbild: by arianta (CC BY-NC 2.0) on flickr
In diesem Fall werde ich deine Besprechung später lesen, zunächst einmal will das Buch selbst gelesen werden. LG, Anna
Genau, mach das. Ich wünsche dir viel Freude dabei!
Ich glaube, Ford hat die äußeren Geschehnisse tatsächlich absichtlich weggelassen. Ich finde sie auch für so eine Hommage an die Eltern gar nicht wichtig. Er hat ja sonst in seinen dicken Büchern alles dabei. Ich lese das Büchlein gerade auf Englisch. Das geht sehr langsam. Ich bin nicht so gut in Sprachen. aber zu diesem Buch passt auch die Langsamkeit.
Viele Grüße!