Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

Joachim Meyerhoff ist ein begnadeter Plauderer und Geschichtenerzähler. Wer ihn einmal live oder auch nur auf dem Bildschirm erlebt hat, wird dies begeistert bestätigen. Auch seine autobiografischen Romane (auf diese Fiktionalisierung legt der Autor viel Wert) waren ursprünglich als Bühnenprojekt konzipiert und auch in der Bühnenfassung am Wiener Burgtheater ein großer Erfolg. 2011 erschien dann der erste Band der Romanfassung, „Amerika“. Nun erscheint von Joachim Meyerhoff mit Die Zweisamkeit der Einzelgänger dieFortsetzung.

Alle Toten fliegen hoch“ ist der Titel des Projekts, in dem der Autor in seinem nun typischen „Meyerhoff-Sound“ von sich und seiner Familie plaudert. Er tut das mit einer Leichtigkeit und Lässigkeit, einer Selbstironie und einem teils slapstickartigen, mitunter brüllend komischen Witz, dass man fast, zeitweise zumindest, die tieftraurige Motivation dahinter vergisst. Aber sie ist allgegenwärtig, die Melancholie, die Traurigkeit. „Alle Toten fliegen hoch“ ist, laut Meyerhoff, die Familienvariante des beliebten Kinderspiels, in der seine Tante mit ihm die Verwandten durchging – noch lebend, schon gestorben. Der Anteil an letzteren wuchs beständig.

So war „Alle Toten fliegen hoch“ auch ein Anschreiben, zunächst ein Anreden, gegen den Verlust, gegen den Tod, das Vergessen, die eigene Trauer. Bei all den teils grotesken, komischen Episoden aus dem Leben der Meyerhoffs, die der Autor mit großer Lust und Wortwitz ausbreitet, sind diese Leerstellen im Familiengefüge – zunächst der verunglückte mittlere Bruder, dann der an Krebs sterbende Vater und schließlich die verlöschenden Großeltern – die dunkel glimmenden Zentren der Romane. Es gibt wenige Bücher, die mich so oft und so laut zum Lachen gebracht haben wie die ersten drei Bände der Reihe, und mich gleichzeitig so traurig berührten. Joachim Meyerhoff hat sich damit bei mir wie bei unzähligen anderen Lesern tief ins Herz geschrieben.

Wobei  Joachim Meyerhoff nun beim jüngst erschienenen vierten Band „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ sind. Ihm fehlt nicht nur der genialische Titel der beiden vorangegangenen Werke („Wann wird es endlich wieder so wie es nie war“ und „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“), das wäre zu verschmerzen, „Amerika“ macht ja nun auch nicht viel her, sondern eigentlich fast alles, was ich an den drei anderen Büchern so geliebt habe. Das liegt nicht am Erzähltalent, er ist gleich zu Beginn wieder da, dieser „Meyerhoff-Sound“, den man so liebt. Es ist mehr das was und wie erzählt wird, was diesmal nicht so recht verfangen will.

Joachim Meyerhoff in Der Sturm | Leichte Fantasiegestalten
Joachim Meyerhoff in Der Sturm | Leichte Fantasiegestalten by Christoph Müller-Girod (CC BY 2.0) via Flickr

Nach seinen Kindheits- und Jugendjahren auf dem Gelände der Schleswiger Psychiatrie, dem unbeholfenen Auslandsjahr in Amerika, das durch den Tod des Bruders eine so traurige Prägung erhielt, und die chaotisch-liebenswerten Jahre auf der Münchner Schauspielschule im Haus seiner trinkfesten, kultivierten Großeltern, steht nach einem ersten Theaterengagement in Kassel die Bewährungsprobe auf den Provinzbühnen in Bielefeld und Dortmund auf dem Erzählprogramm. Beides von Meyerhoff tief verachtete Ensembles. Und hier kommt schon der erste Punkt zum Tragen. Waren die Erzählungen von der Münchner Schauspielschule (oder auch davor aus der Psychiatrie oder der amerikanischen Gastfamilie) auch oft voller Spott, Indiskretion und Ironie, aber immer mit einem liebevollen Blick geschrieben, berichtet Meyerhoff hier eigentlich nur mit Häme und Verachtung von seinen Kollegen. Das liegt offensichtlich daran, dass ihm die Zuneigung, die er bisher dem Geschilderten entgegenbrachte, hier ganz zu fehlen scheint. Das tut dem Ton des Buches nicht gut.

Der zweite, viel entscheidendere Punkt scheint mir zu sein, dass Meyerhoff in diesem vierten Band und Lebensabschnitt einfach von viel weniger charmanten Menschen berichtet als in seinen früheren Büchern. Es sind in erster Linie die Frauen, mit denen der bisher in Liebesdingen eher unerfahrene Joachim es hier gleich dreifach zu tun bekommt. Weder Hanna, die durchgeistigte, rebellische, unberechenbare Studentin aus Bielefeld, noch die sexhungrige, feierfreudige Tänzerin Franka aus Dortmund, und noch weniger die bodenständige, fürsorgliche, aber auch ein wenig ordinäre Bäckersfrau Ilse (als hätte Meyerhoff die Damen aus dem Baukasten), mögen wirklich zu fesseln. Die für ihre Charakterisierung aufgebrachte Seitenzahl ist eindeutig zu hoch. Sicher vermögen sie und die mit ihnen verbundenen Liebesabenteuer den jungen Meyerhoff zu faszinieren (seines Organisationstalents beim Managen dieser drei Beziehungen an zwei Standorten und seiner nicht unbeträchtlichen Manneskraft, bis sich die Mitmieter über die nächtlichen Lustschreie beschweren, rühmt sich der Autor vielleicht ein bisschen zu intensiv). Für die Leserin war das Ganze eher uninteressant. Sie blieb leicht genervt zurück.

Auch wenn im Verlauf zwei weitere Tote zur Galerie hinzukommen, scheint auch das hinter dem Romanprojekt stehende Konzept ein wenig in Vergessenheit zu geraten. Dann erinnert sich der Autor plötzlich wieder und er schiebt ein wenig Trauer ein. Das gelingt ihm nicht immer so anrührend wie in der Schlussszene, wo sie alle noch einmal versammelt sind im Innenhof von Ilses Café.

Sicher, da ist sie noch, die spielerische Leichtigkeit beim Erzählen, die Selbstironie, mit der auch noch das größte Missgeschick erzählt wird, die genaue Beobachtungsgabe, das perfekte Erzähltiming. Aber insgesamt dreht sich das Erzählte zu sehr um Meyerhoff selbst und seine Liebesabenteuer, deren Verdreifachung sie auch nicht spannender machen. Und es sind nicht umsonst die Momente, in denen sich der Erzähler an Episoden aus der Vergangenheit, beispielsweise einen Urlaub auf Elba erinnert, die den alten Zauber und den alten Witz wieder hervorzaubern. Da gerät man ins Träumen und möchte noch einmal von vorn beginnen mit „Alle Toten fliegen hoch“. Es ist wohl wie mit einer enttäuschten Liebe. Mit der Zeit verblasst die Enttäuschung und man erinnert sich umso leuchtender an die vielen schönen gemeinsamen Stunden.

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Joachim Meyerhoff - Die Zweisamkeit der Einzelgänger

 

 

Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

Kiepenheuer&Witsch November 2017, 416 Seiten, gebunden mit SU, 24,00 €

 

 

Beitragsbild: Zuschauerraum (von der Bühne aus gesehen) des Theaters Bielefeld in Bielefeld By Andreas Praefcke (Own work) CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

6 Gedanken zu „Joachim Meyerhoff – Die Zweisamkeit der Einzelgänger

  1. Eine psychologisch sicher verständliche Aversion, die sich da inhaltlich gerade bei den Damen regt, wenn ein Mann zwar mehr schlecht als recht mit drei Beziehungen gleichzeitig jongliert. Ich habe zwar außer diesem Band nur „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war“ gelesen, einen dramatischen Abfall in der Meyerhoffschen Erzählkunst würde ich dennoch nicht beipflichten. Die Wortschöpfungen und Metaphern sind gleichbleibend originell, der Humor verbindet sich immer mit der Melancholie und den tragischen Verlusten. Er hat quasi den Zweck einer Katharsis, ist jedenfalls nie Selbstzweck zur reinen Belustigung des Lesers. Ich bin also bei weitem nicht so enttäuscht wie Sie. Meine Frage gerade an Leserinnen wäre, wie der Roman auf sie wirken würde, wenn es nicht um Hanna, Franka und Ilse ginge, sondern um Hans, Frank und meinethalben Ingo.

  2. Ich war auch sehr enttäuscht, habe mich auch etwas geschämt, das Buch verschenkt zu haben. Noch mehr aber war ich jetzt irritiert, als ich in Irmgard Keuns Gesamtwerk genau dieser Bäckersfrau Ilse, da aber bei ihr Bell heisst, begegne.. das ist doch kein zufall? Wird das irgendwo erwähnt, dass diese Figur geborgt ist, oder ist das literarisch?

    1. Irmgard Keuns Bäckersfrau Ilse kenne ich zwar nicht, finde aber die von Meyerhoff ziemlich schwach. Dass es da noch ein Vorbild für gibt, macht es nicht besser – literarisch oder nicht. Bei mir war es auch stark enttäuschte Liebe, denn die ersten drei Bände waren so genial! Viele Grüße, Petra

  3. Pingback: Lektüre März 2018 – LiteraturReich
  4. Hallo,
    Es ging mir leider genauso. Mit sehr viel Vorfreude habe ich das Buch begonnen und war sehr bald enttäuscht. Wie langatmig die ganze Geschichte mit Hanna, die mich irgendwann nur noch genervt hat. Es waren wirklich nur die Passagen, die in der Kindheit spielen, die den Charme der früheren Bücher hatten. Schade !

    1. Liebe Ruth, ja ein wenig schade ist es schon, dass diese tolle Reihe gerade mit diesem Buch enden soll. Aber vielleicht funktioniert diese Art des Erzählens einfach besser mit Kindheits- und Familienerinnerungen? Viele Grüße, Petra

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