Der dritte von mir im Rahmen der Juryauswahl für den Bloggerpreis „Das Debüt“ gelesene Roman, „Still halten“ von Jovana Reisinger , war für mich eine Herausforderung, die ich angenommen, aber nur teilweise durchgehalten habe.
Nachdem gleich der erste Titel der Shortlist, Julia Webers „Immer ist alles schön“, so gar nicht meinen Vorstellungen von einem guten Buch entsprochen hat, ich ihn aber bis zum Ende gelesen habe, muss ich zugeben, bei „Still halten“ doch etliche Seiten quergelesen zu haben.
Dies ist wahrlich kein schönes Buch. Und „schön“ bitte nicht so zu verstehen, dass damit ein netter, ansprechender Inhalt, sympathische Charaktere oder angenehme Unterhaltung gemeint sind. Die braucht es für mich nicht (immer/unbedingt). Aber eine gewisse Freude beim Lesen muss für mich eigentlich schon dabei sein.
In einem Interview bekannte Jovana Reisinger, dass sie mit Still halten Buch ihre Leser auch ein wenig quälen und in den Wahnsinn treiben möchte (so wie ihre Protagonistin übrigens auch). Das ist ihr, zumindest bei mir, gut gelungen. Und ihre Geschichte findet dafür auch die richtige Sprache, sie irritiert und ist damit auch durchaus beeindruckend und geglückt.
Nur, will ich das lesen?
Erzählt wird von einer bis zuletzt unbenannten Frau, die nach einer Therapie, man kann nur ahnen welcher Art, mit einem umfassenden Tablettenvorrat nach Hause entlassen wird. Ihr Mann ist eine permanente Leerstelle, nicht nur in dieser Situation, sondern wohl schon seit langem. Diesmal befindet er sich auf einem Kongress. Dass er seine Frau in diesem schwierigen Moment der Therapieentlassung alleine lässt, sagt genug aus über ihn und die Beziehung. „Die Frau“, die das ganze Buch über so genannt wird, gleitet immer weiter ab in den Wahnsinn. Sie selbst spricht einmal von „Hirnversagen“. Erschwerend kommt hinzu, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Eine Frau, mit der sie von Kindheit an größte Probleme hat.
„Dabei dachte ich, dass ich irgendwann meine Mutter töten müsste, weil ich die Kindheit nicht ertragen kann.“
Was genau da vorgefallen ist, enthüllt sich erst nach und nach, die ganze Wahrheit erfahren wir erst am Schluss durch den Mann.
„Die verstorbene gehässige Mutter seiner Frau, die seiner Frau ständig eine Last war, mit ihrer eigenen manischen Depression, die seit dem Selbstmord des Vaters das Kind für das eigene hässliche Leben verantwortlich machte und es in Zimmer und Hütten sperrte, weil sie, wie sie sagte, das Kinderlachen nicht ertragen konnte und es selbst als Erwachsenen noch schikanierte.“
Die Erzählerin, von einem Pfleger wiederholt aufgefordert, ans Sterbebett der Mutter zu kommen, beschließt, dorthin zu wandern. Ein so kitschiges (man denke an jede Menge Referenzen in der Literatur) wie aussichtsloses Vorhaben. Es kommt wie es kommen muss, die Mutter stirbt allein, die Tochter reagiert darauf so seltsam, wie sie (durch ihre Krankheit?) eben ist.
„Das war besser als Fernsehen. Endlich ist etwas passiert. Die Mutter ist tot.“
Die Szene am Totenbett ist dann auch eine der am meisten irritierenden des Buches.
Die Frau beschließt, in ihr altes Elternhaus zu ziehen, um dort auf ihren Mann zu warten. Dessen Rückkehr verzögert sich (spätestens hier verliert das Ganze ziemlich den Realitätsbezug) und die Frau zettelt in dem abgelegenen Haus am Waldrand einen regelrechten Krieg gegen die Natur an. Bäume werden gerodet, Vögel, vor allem Krähen, verjagt und schließlich massenweise erschossen.
Das Buch geht nicht gut aus, man hatte das schon im Gefühl. Zum Ende hin ändert sich daraufhin auch nochmal die Sprache, sie wird deutlich entspannter.
Bis dort, ich benutze das Verb, da es die Autorin selbst verwendete, quält Jovana Reisinger die Leserin mit einem wirklich anstrengenden Stil. Sie wechselt permanent zwischen Außen- („die Frau) und Innensicht („ich“) hin und her, wobei die Außensicht auch der Blick der Frau auf sich selbst zu sein scheint. Dieser ist naturgemäß von ihrem Wahnsinn bestimmt. Die Sprache ist fahrig, unstet, abgehackt und passt dadurch recht gut zum Zustand der Protagonistin. Angenehm zu lesen wird sie dadurch natürlich nicht. Zudem schleichen sich etliche, meiner Meinung nach unnötiger, Austriazismen ein. Ständig ist da vom „Hoserl“, vom „Hemderl“, vom „Mäderl“, „Tascherl“, „Kasterl“ und was weiß ich noch alles die Rede. Natürlich hat auch das System, nervt aber doch recht eindrücklich. Besonders in den albernen Ausrufen der Frau.
„So ein köstliches Würsterl. So ein feines Leben.“
Oftmals bekräftigt durch ein „Juhu.“ Das liegt natürlich an dem sarkastischen, absurd-satirischen Stil, den die Autorin wählt, der laut Verlagswerbung „in der Intensität der Sprache und der Gnadenlosigkeit des Sujets an die österreichische Avantgarde erinnert“, mir hier aber so gar nicht liegt.
Die zunehmend in ihrem Wahnsinn gefangene Frau dient der Autorin als Projektionsfläche für ihr (denke ich) eigentliches Anliegen, nämlich der auch satirischen Verortung von Frauenbildern (und Männerbildern) und Geschlechterrollen.
Die Frau steckt von vorne herein in der, auch in der klassischen Literatur häufig anzufindenden, und anscheinend auch heute noch nicht überwundenen Rolle der Wartenden. Sie wartet auf ihren abwesenden Mann und wälzt dabei so manches Frauenklischee hin und her und bedient dabei selbst dieses Klischee, denn tief steckt sie selbst in diesen Rollenbildern fest. Hier findet man das, gerne auch von Frauen selbst benutzte (und sicher auch nicht ganz unzutreffende) Argument, die Frauen selbst würden sich in ihren Rollen immer wieder bestätigen.
Aussprüche wie diese durchziehen das Buch zuhauf:
„Ein eigener Mann. Das ist freilich das Schönste für uns Frauen.“
„Jammernde Frauen mag mein Mann nicht. So ein eigener Mann, das ist schon was Tolles für uns Frauen.“
„Die Frau hat auf den Mann zu warten. Die Frau kann froh sein, überhaupt einen Mann zu haben.“
„Eine Frau ist des Mannes Visitenkarte“
„Wer als Frau durch so eine trostlose Gegend wandert und dabei den Mut verliert, ist auch selbst schuld, wenn sie zu einem Opfer wird.“
„Frauen wie ich werden gevögelt von ansehnlichen Männern. Männer wie meiner konferieren auf Konferenzen.“
„Frisch befriedigt fühlen sich Frauen besonders attraktiv.“
„Eine Frau, die immer nur allein mit sich selbst ist, ist eine seltsame Frau.“
Ich bin nun gewiss niemand, der behauptet, der Feminismus hätte sich überlebt und mit ihm diese Rollenbilder und Klischees. Dennoch wirken sie gerade in ihrer Häufung seltsam antiquiert und aufdringlich. Anstatt zu sensibilisieren scheinen sie die Leserin eher abzustumpfen, nach dem Motto: Ja, kennen wir, wissen wir doch alles. Sicher nicht die Intention des Textes.
Auch die Selbstbezichtigungen der Frauen sind altbekannt und vertraut.
„Manchmal will eine Frau ja nichts anderes als von solchen Armen eng umschlungen zu werden“, „als schön wohnen“, „als beschützt werden.“
„Frauen wie ich können sich ja ständig in alle Situationen hineinversetzen.“
„Wir Frauen sind aber auch immer so solidarisch.“
Ist das so? Und wenn ja, was ist falsch daran?
Dennoch muss ich zugeben, dass das Buch trotz meiner eindeutigen Antwort auf meine obige Frage – Nein, das möchte ich eigentlich nicht lesen! – doch einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen hat. Weniger durch diese ganze Abhandlung von Frauen- und Männerbildern, als durch die komplexe sprachliche Fassung des zunehmenden Abgleitens der Frau in ihre psychische Erkrankung. Das ist anstrengend zu lesen, aber beeindruckend gelungen.
Eva Jancak von Literaturgeflüster hat das Buch auch bereits besprochen. ebenso Marc von Lesen macht glücklich, Silvia von Leckerekekse und
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Jovana Reisinger – Still halten
Verbrecher Verlag Juli 2017, Hardcover, 200 Seiten, € 19,00
Hallo Petra,
ich bin immer noch dabei, meine Gedanken zu sortieren und es fällt mir nicht leicht, etwas dazu zu sagen. Es gab Passagen, die waren richtig gut geschrieben und andere irgendwie seltsam ungelenk.
Stimme dir in vielen Punkten zu und gerade diese Austriazismen gingen mir in ihrer Häufung dermaßen auf den Keks, dass ich im diesen Momenten das Buch am liebsten in die Ecke geschmissen hätte.
Liebe Grüße
Marc
Hallo Marc, ich bin auch sehr gespannt auf die Urteile der anderen Jurymitglieder, die sich bisher noch nicht geäußert haben. Ich fand die Shortlist insgesamt für mich als recht schwierig. Liebe Grüße, Petra
Dieses Buch hat mich auch gefordert und komme nicht zu einer abschliessenden Meinung. Ich habe auch keine Ahnung, wie ich meine Wertung für den Preis am Ende aufbauen möchte, obwohl ich jetzt alles gelesen habe.
Meine Rezi zu Still halten erscheint am Mittwoch, ich habe zum Teil die gleichen Zitate herausgesucht ;)).
Liebe Grüße
Silvia
Ich bin wirklich gespannt auf deine Endmeinung und Rezi. Ich habe nun bis auf Das Genie alle Bücher gelesen und schon eine ziemlich klare Vorstellung. Reisinger und vor allem Weber können von mir keine Punkte bekommen, dazu fand ich die Bücher zu (im negativen Sinne) anstrengend. Fragt sich jetzt nur, wie mir der Zehrer gefällt. Notfalls gebe ich auch nur zwei Büchern Punkte. Bin gespannt, wie die anderen Jurymitglieder so urteilen. Leider fand der Austausch ja nur sehr begrenzt statt. Liebe Grüße!
Mir ist ähnliches bei österreichischen Autorinnen schon aufgefallen, etwa bei Gertraud Klemm oder Doris Knecht: die Rolle der Frau scheint dort noch mehr hinterfragt zu werden oder schreiben sie in der Tradition von Jelinek oder Streeruwitz? Dennoch ist bei allen gerade genannten Autorinnen das Lesen wesentlich angenehmer …
Ich bin noch nicht durch mit Reisinger, weil ich immer lieber ein anderes Buch zur Hand nehme …
Viele Grüße!
Austriazismen? Was für ein interessantes Wort für Wörter, die mit „-erl“ enden. Ich gebe aber zu, dass mir solche Wörter, wenn sie gehäuft auftreten, auch auf die Nerven gehen.
Gilt für alle im österreichischen Sprachraum vermehrt verwendeten Wörter (musste ich auch nachschauen, ob es das gibt, ich kannte nur Anglizismen, und siehe da es gibt es tatsächlich 😉 )