Der März war ein sehr turbulenter und anregender Literaturmonat für mich. Nicht nur stand die Leipziger Buchmesse an – immer wieder ein Highlight des Jahres voll mit Büchern, Autoren, lieben Lesemenschen und Veranstaltungen -, sondern ich habe auch drei großartige Lesungen besucht, die jede auf ihre Art und Weise etwas ganz Besonderes waren und wunderbare Lektüre im März 2018 genossen.
Anfang des Monats war ich auf der Lesung von Adam Haslett in der Frankfurter Romanfabrik. Sein Roman „Stellt euch vor, ich bin fort“ über Depressionen in einer amerikanischen Familie und ihren Umgang damit, ein sehr persönliches und berührendes, dabei völlig unpathetisches Buch hat mir sehr gefallen und stand auch auf der Shortlist zum Pulitzerpreis und war für den National Book Award nominiert. Ein hochkarätiger Autor also. Umso überraschender war die Zahl der Zuhörer an diesem Abend, der sehr interessant von Jan Wilm von der Frankfurter Uni geleitet wurde: ganze dreizehn konnte ich zählen. Sehr schade, denn Haslett hatte einiges Interessantes zu seinem Text zu sagen. Dafür war der Abend sehr persönlich, ich konnte kurz mit dem Autor sprechen und natürlich gab es auch eine Signatur.
Die zweite Lesung war dagegen eine Massenveranstaltung. Joachim Meyerhoff las im Rahmen der Litcologne im ausverkauften Musical Dome (ca. 1770 Sitzplätze). Die Karten für dieses Event waren nach gefühlten 15 Minuten weg. Damit, dass Meyerhoff ein begnadeter Autor und Interpret seiner eigenen Bücher (und natürlich auch Schauspieler) ist, verrate ich nichts Neues. Es war ein ganz großartiger Abend, auch wenn ich persönlich sein neuestes Buch „Die Zweisamkeit der Einzelgänger“ nicht ganz so genial wie die drei Vorgängerbände finde.
Direkt einen Tag später ging es für mich wieder nach Köln: Michael Chabon kam an die Volksbühne. Und auch dieser Abend wurde wieder zu etwas ganz Besonderem. Das Trio aus Autor, Moderator und Übersetzer Bernhard Robben und deutsche Stimme Sylvester Groth durfte ich schon einige Male erleben, z.B. zusammen mit Paul Auster. Sie sind ein glänzendes Team und Bernhard Robben leitet jede Lesung so interessant, persönlich und locker, wie man sich als Zuhörer nur wünschen kann. Deshalb kam die barsche Ansage des Herren an der Technik des Saals kurz vor 22 Uhr (die Veranstaltung begann 20.30 Uhr) umso unvermittelter: Der Saal wäre punkt 22 Uhr zu räumen, ohne jede Möglichkeit der Verlängerung (selbst zehn Minuten waren völlig unmöglich). Die sichtbar irritierte Besetzung auf der Bühne und ein verärgerter Sylvester Groth hatten nun die wunderbare Idee, die Veranstaltung draußen im Foyer zu beenden. Notdürftig mit dem Handy eines Zuschauers beleuchtet, trug Groth den Text nicht weniger brillant vor, den Autor auf der Treppe zu Füßen. Ein toller Abend! Über die Location sollte man nochmal reden.
Zwei Tage später ging es dann Richtung Leipzig.
Nun aber endlich zu meinen Lektüren des Monats, sechs an der Zahl.
Mein Favorit des Monats ist Jacqueline Woodson mit ihrem schmalen, aber großen Roman „Ein neues Brooklyn„. Mit ihrer lyrischen, sehr verdichteten, streng rhythmisierten Prosa hat die Kinder- und Jugendbuchautorin ein ganz bezauberndes Porträt über das Aufwachsen eines afroamerikanischen Mädchen im Brooklyn der Siebziger Jahre geschrieben, ungeschönt, aber wunderschön.
Auch sehr zu empfehlen ist „Moonglow“ des schon oben erwähnten Michael Chabon. Eine turbulente fiktive Autobiografie, eine Geschichte über das Ende des Zweiten Weltkriegs, eine Enkel-Großvater-Geschichte, eine Geschichte der Raumfahrt und einiges mehr. Großes Kino!
Auch Jesmyn Ward bietet mit „Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt“ ein kraftvolles Bild der USA, diesmal aber der Südstaaten. Hier leben die Kinder Jojo und Kayle bei ihrer verantwortungslosen, überforderten Mutter und den Großeltern. Diese bemühen sich zwar redlich, aber die Großmutter liegt mit Krebs im Sterben. Der weiße Vater wird gerade aus dem Gefängnis entlassen, weswegen sich die Mutter mit den Kindern auf einen Roadtrip aufmacht, der relativ grauenhaft verläuft. Kraftvoll, mystisch, berührend, auch eine eindeutige Leseempfehlung!
Mit dem Debütroman der deutsch-kurdischen Autorin Karosh Taha „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ hatte ich zu Beginn einige Schwierigkeiten. Ihre junge Protagonistin, deren Zerrissenheit zwischen der traditionell kurdischen Familie in einem typischen „Ghetto-Hochhaus“ – man bleibt unter sich, die Frauen haben kaum Kontakt zur deutschen Gesellschaft und Sprache, die Jugend wenig Zukunftsaussichten – und der modernen deutschen Gesellschaft, deren Teil sie als Studentin ist, wird sehr gut herausgearbeitet, auch die schwer lastende Verantwortung, die sie für ihre depressive, selbstmordgefährdete Mutter trägt. Richtig warm geworden bin ich aber nicht mit ihr, die ihre Befreiung vor allem in sexueller Hinsicht sucht.
Eshkol Nevo, der israelische Autor, dessen Buch „Wir haben noch das ganze Leben“ ich sehr liebe, hat ein neues Buch auf Deutsch veröffentlicht. „Über uns“ erzählt in drei Monologen, die an die drei Instanzen von Freuds Strukturmodell der menschlichen Psyche angelehnt sind, von Menschen, die in einem Wohnhaus leben, aber sonst wenig gemeinsam haben. Die Geschichten lassen den Leser nachdenklich zurück, sie haben mir gut gefallen.
Etwas enttäuscht war ich von Deborah Levys „Heiße Milch„. 2016 stand das buch auf der Shortlist des Man Booker Prize, eigentlich meist ein Gütezeichen. Es gibt auch einige sehr positive Besprechungen, mich konnte das Buch über eine ungesund innige Mutter-Tochter-Beziehung leider nicht ganz überzeugen. Zwar ist das Setting der ausgedörrten, heißen südspanischen Landschaft mit den nach Verfilmung schreienden skurrilen Details sehr gelungen, aber die Personen waren für mich wenig plausibel und eher flach gezeichnet. Auch die psychologischen Konflikte konnten mich nicht fesseln.
Das war meine Lektüre im März 2018. Nun hoffe ich doch sehr, dass mit dem April endlich die Freiluft (Lese) saison eröffnet werden kann und wünsche euch dementsprechend wunderbare Lesestunden.
Ein schöner Rückblick – und sämtlich von dir gelesenen Bücher stehen noch auf meinem Wunschzettel bzw. in meinem Bücherregal …
Dann viel Spaß mit deiner Lektüre!
Ich war auch einmal auf einer (oder vielleicht sogar mehreren?) Lesung(en), die Bernhard Robben moderiert hat. Das war sehr gut, es steht und fällt doch immer sehr mit der Moderation. Es sei denn, man geht zu Salman Rushdie, der rockt die Hütte zur Not auch alleine 😉
Der Meyerhoff konnte das auch ganz gut allein. Interessanter finde ich aber tatsächlich gut geführte Gespräche. Und die hängen tatsächlich vom Moderator ab.
Meyerhoff würde ich auch gern mal sehen und hören, wobei mir dann aber auch das rote Buch lieber gewesen wäre 🙂 und das mit den Gesprächen stimmt, da habe ich manchmal schon sehr viel draus mitgenommen.