Einen schwierigen Autor für jede Form der Vermarktung nannte Hauke Hückstädt, der Leiter des Frankfurter Literaturhauses, Ralf Rothmann bei seiner Einführungsrede zur Lesung aus Der Gott jenes Sommers. Keine Moderation auf der Bühne, wenig Interviews und Fotosessions, keine Autoren-Website, geschweige denn Social Media-Kanäle, selbst eine Nominierung zum Deutschen Buchpreis lehnt der Autor ab. Das war 2015 so, als seinem Roman Im Frühling sterben von einigen Kritikern zwar eine „Verkitschung des Weltkrieges“ vorgeworfen wurde, das überwiegende Echo aber von einem Meisterwerk und fantastischer Literatur sprach. Für mich war die Geschichte um zwei 17jährige, die in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges als Soldaten eingezogen und regelrecht „verheizt“ worden waren, das Buch des Jahres, eines der am meisten berührenden und gelungensten seit Langem.
Mit Im Frühling sterben wandte sich Ralf Rothmann, der häufig als „Chronist der alten Bundesrepublik“ bezeichnet wurde, einer neuen Thematik zu. Waren es bisher stark autobiografisch gefärbte Entwicklungs- und Familienromane aus dem Arbeitermilieu des Ruhrgebiets oder aus Berlin, so geriet nun die Generation der Eltern ins Blickfeld. Etwas, das den Autor schon lange beschäftigt hat, war deren Sprachlosigkeit, besonders in Hinblick auf die Zeit vor und während des Krieges. In einem Interview schilderte er einmal einen ihn prägenden Moment, in dem er seinen Vater über die Kriegszeit ausfragte und auf die Frage, ob er denn damals auch jemanden erschossen habe, dieser ganz verzagt wurde. „Was soll ich denn jetzt sagen?“ wandte er sich hilfesuchend an die Mutter. Die schickte den Sohn kurzerhand aufs Zimmer, eine damals viel gebrauchte Methode, diesem unangenehmen Thema auszuweichen. Es herrschte Schweigen in den Familien. Auch das interessante Thema der transgenerationalen Vererbung von Traumata war für ihn Ansporn, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen. Plagte ihn doch seit langer Zeit ein Alptraum, in dem er erschossen werden sollte, obwohl er keinerlei Erfahrung mit Waffen oder ähnlichen Situationen hat, aber eben seine Eltern Entsetzliches erlebt und vielleicht auch getan haben mussten.
In Im Frühling sterben versuchte Rothmann, die Geschichte seines Vaters aufzugreifen, seine frühe Einberufung, seine Kriegserfahrung, auch wenn der Roman keine biografische Nacherzählung, sondern Fiktion ist.
Durchbrochen wird die Geschichte auch von einer Binnenerzählung, die nur sehr lose mit ihr verknüpft ist und etwas Aberwitziges hat. In einer fiktionalen Chronik aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs erzählt Bredelin von Merxheim in sechs kurzen Abschnitten von den Grauen dieser Zeit und von seinem Vorhaben, zusammen mit seinem Gefährten Johann Bubenleb eine kleine Kapelle von einem gebrandschatzten Ort in den anderen zu „verlegen“, und zwar auf einem Floß quer über einen See. Ein Unternehmen, das genauso scheitert wie Vieles in Louisas Leben. Zwar hängen im Gutshaus, das zum Schauplatz einer zentralen Stelle der Erzählung wird, Stiche mit Szenen aus dem Dreißigjährigen Krieg und Louisa liest auch Andreas Gryphius, eine direkte Verknüpfung mit der eigentlichen Geschichte ist aber schwer zu erkennen. Auch der Autor spricht nur von der „Musikalität“ des Textes, von einem Gegengewicht, die dadurch geschaffen werden sollen. So sind auch diese Passagen, diejenigen, die am meisten Kritik hervorrufen. Gerade die gekünstelte Barocksprache sei mehr eine eitle Fingerübung. Ich habe mich an den kurzen Passagen nicht gestoßen, auch wenn sich mir ihr Sinn für die Geschichte nicht ganz erschlossen hat.
Aber sie enden, wie die Erzählung um Louisa trotz allen Scheiterns, aller Grausamkeiten durchaus hoffnungsvoll. Und sie verhelfen dem Roman zu seinem Namen.
„Frei und mittig sitzen wir unter dem Himmelsrund, und mag der Gott dieses Sommers unsere Nähe auch verschmähen – kann er sich denn weiter entfernen, als der Gedanke, der ihm gilt? Haben wir denn nicht alles dem Menschen Mögliche versucht? (…) Unser Bemühen war ein reines, also vollkommenes und konnte wahrhaftiger nicht sein, und somit ist alles gelungen (…).“
Dass der Roman im Kloster endet, ebenso hoffnungsvoll mit der Aufforderung einer Nonne „Na komm, iss erst mal einen Teller Suppe.“ zeigt durchaus Rothmanns Nähe zum Religiösen, Transzendentalen, wie sie auch schon in Im Frühling sterben aufschien.
Ein genauso großer Wurf wie sein Vorgänger ist Ralf Rothmann mit Der Gott jenes Sommers vielleicht nicht gelungen, aber immer noch ein sehr guter Roman, der der Ansicht der Kriegszeit eine weitere Nuance hinzufügt.
Bei der Lesung im Frankfurter Literaturhaus am 5. Juni 2018 trat Ralf Rothmann trotz aller angekündigten Scheu vor der Öffentlichkeit als sehr freundlicher, sympathischer Autor auf. Zwar finde ich es durchaus schade, wenn nur gelesen wird, viele Gespräche auf Lesungen eröffnen dem Leser doch noch einmal eine andere Sichtweise, aber auch so war der Abend gelungen. Außerdem bot Ralf Rothmann seinem Publikum an, bei einem Glas Wein Fragen zu seinem Roman zu stellen. Ein Angebot, dass ich bisher noch selten gehört habe.
Beitragsbild: Einfahren der Heuernte Bundesarchiv, Bild 183-15167-0001 / [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
Weitere Besprechung findet ihr bei Marina: Literatur leuchtet
und Constanze Zeichen und Zeiten
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Ralf Rothmann – Der Gott jenes Sommers
Suhrkamp Mai 2018, Leinen, 254 Seiten, € 22,00
Hallo Petra,
vielen Dank für deinen Kommentar und ich möchte an der Stelle die Gelegenheit nutzen, mich nochmal für die schöne Rezension zu bedanken. Ich habe sie wirklich mit Freude gelesen, weil sie mit so viel Detailwissen rund um den Autor und die Hintergründe gespickt ist.
Tatsächlich gefiel mir dieses Buch noch einen Tacken besser als „Im Frühling sterben“. Damit stehe ich weitestgehend alleine da. Mich hat diese Kinderperspektive doch stark bewegt, die vielen unausgesprochenen Dinge, die im Hintergrund laufen und die vielen Rätsel, die sich doch am Ende nicht zu hundertprozentiger Zufriedenheit auflösen. So einfach bin ich zu kriegen. ?
Liebe Grüße
Marit
Mir hat es auch sehr gefallen, aber das Echo war tatsächlich ja doch ziemlich gespalten. Sei herzlich gegrüßt, Petra
Ich habe ihn bei einer Lesung bei einer wahrscheinlich sehr viel kleineren und daher auch intimeren Runde in Augsburg erlebt – sehr sympathisch, sehr locker, sehr erzählfreudig. Und so im direkten persönlichen Kontakt eben jemand, der sich zwar den gängigen Vermarktungsstrategieren entzieht, aber nicht dem Kontakt mit Menschen – in Augsburg gab es eine Fragerunde, konnten die Zuhörer nachbohren (wobei ich auch Verständnis für Autoren haben, die das nicht wollen oder ab und an eine Pause davon brauchen – es kommen ja auch immer die selben Fragen). Den Roman hatte ich da noch nicht gelesen, aber bin dann sehr neugierig geworden: Gut, „Im Frühling sterben“ ist eine Klasse besser, aber Rothmann hat einfach auch eine wunderbare Sprache. Ein Freund meinte, er würde doch etwas betulich – mag sein, aber auch das genieße ich.
Liebe Birgit, ich habe da auch absolut Verständnis für (auch wenn ich es natürlich ein bisschen schade finde). Aber wer Zeit, Lust und Traute hatte, konnte ihn sicher nachher tatsächlich nochmal befragen. Ich fand ihn auch sehr sympathisch. Und ich mag das Buch auch. Liebe Grüße!
Vielleicht ist die Hemmschwelle fürs Publikum bei einem Glas Wein Fragen zu stellen doch viel größer als sonst. Viele haben das Angebot sicher nicht wahrgenommen. Ich finde das eigentlich sehr stark, dass er so verbindlich jede „Show“ oder „Performance“, wie es neuerdings ja heißt, ablehnt.
Ich tu mich diesmal schwer mit der Besprechung. Keine Ahnung weshalb. Mal sehen, wann der Groschen fällt …
Viele Grüße und danke für den Bericht!
Ja, sicher nicht so ohne Weiteres. Selbstinszenierungen mag ich auch nicht, aber gut geführte Gespräche sind manchmal sehr aufschlussreich. Bin gespannt auf den fallenden Groschen 😉 Bis dahin liebe Grüße!
Danke für die sorgfältige und sehr informative Rezension! *Im Frühling sterben* wartet noch im Regal auf mich.
Herzlich
Angela vom Literaturgarten
Gerne, liebe Angela. Unbedingt lesen, „Im Frühling sterben“ ist eines meiner Lieblingsbücher! Viele Grüße,m Petra