Brit Bennett – Die Mütter
„Aubrey fragte sich, ob sie die Einzigen waren, die das Gefühl hatten, ihre Mütter nicht zu kennen. Vielleicht waren Mütter an sich unermesslich und unmöglich zu kennen.“
Mit „Die Mütter“ schrieb die junge amerikanische Autorin Brit Bennett gleich mit ihrem Debüt einen Roman, der es auf die New York Times Bestsellerliste schaffte. Die dunkelhäutige Kalifornierin ließ ihn in ihrer Heimatstadt Oceanside im San Diego County spielen. Und auch ihr Studienort Ann Arbour in Michigan ist Schauplatz der Geschichte. Sie begann bereits mit 17 Jahren, daran zu schreiben, neun Jahre später wurde er veröffentlicht. Und die Hauptprotagonistin ist ebenfalls 17 Jahre alt. Aber auch wenn sicher viele persönliche Erfahrungen eingeflossen sind, ist es doch kein autobiografischer Roman, hat Bennett, die aus gutbürgerlichem Haus stammt – der Vater war der erste schwarze Staatsanwalt der Stadtverwaltung – doch einen ganz anderen familiären Hintergrund als die Figur der Nadia Turner.
Nadias Vater war am Marinestützpunkt in Oceanside stationiert, die Mutter hat wenige Monate zuvor ihrem Leben mit einem Kopfschuss ein Ende gesetzt. Eine schreckliche Tat, mit der Vater und Tochter noch weniger zurande kommen, da ihnen die Beweggründe völlig unklar sind. Der Vater sucht Zuflucht in der Kirchengemeinde der Upper Room Church, einer konservativen evangelikalen Gemeinschaft. Ihre älteren Damen bilden im Roman in der Tradition des griechischen Chors eine eigene Instanz, die zu Beginn der meisten Kapitel eine Stimme erhält. Sie sind das „Wir“, das die Menschen beobachtet, beurteilt, verurteilt, Kontrolle ausübt. Eine soziale Enge, Kleingeistigkeit herrscht hier, Klatsch und Tratsch sind ihr Medium. Aber auch Lebensklugheit, Abgeklärtheit und Gemeinsinn. Sie hören, sehen, wissen alles.
„Einer Mutter, die durch die ganze Welt reiste, auf den Felsen von Santorini posierte, die Arme in den blauen Himmel gestreckt. Und dabei war sie immernoch ihre Mutter, auch wenn es Nadia in dieser Variante der Wirklichkeit gar nicht gab. Wo ihr Leben endete, begann das Leben ihrer Mutter.“
Zudem ist sie gerade an die University of Michigan angenommen worden. Für sie ist das die große Chance der Oceanside-Enge zu entkommen. Luke besorgt das Geld für die Abtreibung, verschwindet dann aber. Nadia ist schwer gekränkt, es kommt zum Bruch.
Das künftige Leben der beiden bleibt von dieser Entscheidung geprägt. Besonders Luke leidet darunter sich nicht für das Kind ausgesprochen zu haben, aber auch in Nadias Leben taucht es immer wieder auf. Besonders die Scheinheiligkeit von Lukes Pastoren-Eltern, die ihm das Geld gaben, quält sie. Mit Luke bleibt eine untergründige Verbundenheit, die auch nach Nadias Rückkehr wegen einer lebensgefährlichen Verletzung ihres Vaters bestehen bleibt, auch wenn Luke nun mit Nadias Freundin Aubrey verheiratet ist.
All diese Dinge tragen dazu bei, dass Brit Bennett nicht nur von der Pro-Life-Bewegung Kritik einzustecken hatte, sondern auch von der Gegenseite, der die Reue über die Abtreibung zu viel war. Und tatsächlich schwebt ein gewisser konservativer Geist über der Geschichte. Brit Bennetts Standpunkte werden nicht wirklich deutlich, weder in dieser Frage, noch zur Rolle der Kirchengemeinde, der Religion, zu Selbstmord oder vielem anderen. Aber gerade dadurch lässt sie dem Leser Raum, über die verhandelten Dinge nachzudenken.
Im Zentrum steht gewiss die Mutterschaft. Nicht nur die Mütter der Gemeinde, die richten, urteilen, einschränken. Nicht nur die Teenagermütter, die den Balanceakt vollführen müssen zwischen einem selbstbestimmten Leben und der Verantwortung, die sie tragen. Deren Mütter sind es, die oftmals ihrer Aufgabe nicht richtig nachkommen. Sei es Nadias Mutter, die sie nach ihrem Selbstmord allein lässt. Sei es die Mutter von Nadias Freundin Aubrey, die den Missbrauch ihrer Tochter durch den Stiefvater ignoriert, für ihr eigenes Beziehungs“glück“ Aubrey opfert. Oder auch Lukes Mutter, die strenge, hochmütige Pastorenfrau, die aus „Liebe zu ihrem Sohn“ diesen zur Abtreibung drängt.
Es sind die Kinder, die ihre traumatischen Lebenserfahrungen – neben Nadia und Aubrey, trägt auch Luke eine große Enttäuschung mit sich herum, eine schwere Verletzung beendete seine erfolgversprechende Footballkarriere – allein tragen müssen, ohne elterliche Unterstützung.
Dass es auch Väter gibt, die ihre Kinder auffangen könnten, geht ein wenig unter. Sie sind verschwunden wie Aubreys Vater oder schwach wie die von Nadia und Luke. Diese väterliche Abwesenheit, die patriarchalen Strukturen, die den Müttern die alleinige Verantwortung aufbürden, wird genauso selbstverständlich hingenommen wie der Alltagsrassismus, der alles wie ein mehr oder weniger subtiles Hintergrundrauschen begleitet. Unaufgeregt und doch stets präsent schwingen sie überall mit. Bittere Anklage oder wütender Protest sind Brit Bennetts Sache nicht. Sie erzählt lieber einfühlsam und intensiv mit vielschichtigen Charakteren von der US-amerikanischer Wirklichkeit. Die ist bitter genug.
„Übermütige weiße Jungs wurden Politiker oder Banker., übermütige schwarze Jungs wurden tote Leichen.“
„Subtiler Rassissmus war auf gewisse Weise schlimmer, weil er einen irremachte. Dauernd musste man sich fragen: Was das jetzt wirklich rassistisch? Oder habe ich mir das nur eingebildet?“
Letteratura hat das Buch auch bereits besprochen
Beitragsbild: Mutterliebe via pixabay CCo
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Brit Bennett – Die Mütter
übersetzt von: Robin Detje
Rowohlt April 2018, 320 Seiten, gebunden, € 20,00
Hallo Petra, dieses Buch ist sicher ein interessantes Muss* für mich, gerade auch nach dem Lesen Deiner Rezension. Danke :-).
LG Angela
Sehr gerne Angela. Ich hätte es fast verpasst. Wäre schade gewesen. LG
Liebe Petra,
deine Rezension hat mich sehr neugierig auf dieses Buch gemacht! Wie bist du über diese Geschichte gestolpert? Immer wieder schön, wenn man bei anderen Bücher entdeckt, die einem sonst entgangen wären.
GlG, monerl
Liebes Monerl, ich bin froh, dass mir die Pressefrau von Rowohlt das Buch einfach zugeschickt hat, weil sie dachte, das könnte was für mich sein. sonst hätte ich es wahrscheinlich verpasst. Es gibt wirklich Verlage mit tollen Mitarbeitern (und solche, die sich da gar nicht drum scheren). Rowohlt gehört definitiv zu ersteren. LG Petra
Vielen Dank für diese wirklich sehr gute Rezension… das Buch muss es nun auch in mein Bücherregal schaffen, bin sehr neugierig geworden…
Liebe Grüße
Gabi
Liebe Gabi, das ist schön, dass ich dein Interesse wecken konnte. Ich hätte den Roman fast verpasst, was wirklich schade gewesen wäre. Viele Grüße, Petra