Welch einen Sommer hat uns der Juli 2018 geschenkt! Ich weiß, vielen war es viel zu heiß, die Natur leidet, aber dennoch: das ist Sommer! Ich besitze sicher irgendwelche mediterranen Gene, denn meine Hitzetoleranz ist recht hoch. Deswegen hat auch meine Lektüre im Juli 2018 nicht darunter gelitten, sondern ich habe wunderbare Bücher mit viel Genuss gelesen.
Der Juli stand bei mir ein wenig unter französischem Einfluss (nicht nur durch den Urlaub an der Côte d´Azur, dem Besuch von Marseille, Aix, Avignon und Nancy, sondern auch ganz literarisch.) Und im August wird es mit Büchern von Delphine de Vigan, Jean-Philippe Blondel und meinem verehrten Patrick Modiano weitergehen. Im September erscheint dann der dritte Teil von Vernon Subutex.
Die ersten beiden Teile habe ich noch in Frankreich gelesen. Ich war zunächst ein wenig zögerlich, da Virgine Despentes nach ihrem „Baise-moi“ als ziemliche Skandalautorin gilt und ziemlich explizit schreibt. Nun ja, allzu zart besaitet sollte man vielleicht auch für „Das Leben des Vernon Subutex“ wirklich nicht sein, aber ich bin sehr begeistert. Die französische Literatur ist im Moment sehr interessant, politisch, authentisch – großartig! Wie Virginie Despentes anhand des tiefen sozialen Abstiegs des ehemaligen Plattenhändlers Subutex die gesellschaftlichen Verwerfungen, den Wertewandel der Gesellschaft und die zunehmende soziale Kälte schildert hat viel französisches Flair und Pariser Atmosphäre, weist aber weit über Frankreich hinaus in ein Europa, das immer mehr nach rechts ruckt und in vielen Bereichen seine Solidarität einbüßt. Nicht nur die schillernden Figuren aus Despentes erzählter Subkultur sind davon betroffen, sondern wir alle. Ein wichtiges Buch, ein tolles Buch, scharfsinnig, derb, direkt und vulgär, aber auch voller Anteilnahme und Liebe für seine Protagonisten.
„Die Tagesordnung“ beschreitet einen unkonventionellen Weg, über Zeitgeschichte zu schreiben. Episoden aus dem Dritten Reich – das Geheimtreffen führender Wirtschaftsmagnaten zur Finanzierung von Hitlers Wahlkampf 1933, ein Besuch des Appeasement-Politikers Lord Halifax bei Hermann Göring 1937, der „Anschluss“ Österreichs und die Münchner Konferenz 1938 -, wir kennen die Eckdaten, aber lesen sie hier leicht verschoben, mit bitter-sarkastischem Blick betrachtet. „Die größten Katastrophen kommen oft auf leisen Sohlen.“ Ein alternativer Weg der Geschichte wäre möglich gewesen, viele kleine Versäumnisse und Fehleinschätzungen machten die Katastrophe erst möglich. So das Fazit. Und: “ Die Welt gehorcht den Bluff.“ Für mich ein Meisterwerk!
Dominique Manotti gehört für mich zu den ganz großen KrimiautorInnen. Als politisch links stehende Autorin und ehemalige Gewerkschafterin scheut sie sich nicht davor, Stellung zu beziehen. Sie tut das aber nie plump oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch die unglaublichen Geschichten, die sie erzählt. Oft geht es in ihren Wirtschaftsthrillern ihr um das Machtgeflecht aus Politik, Geheimdiensten und den Eliten der französischen Industrie und Wirtschaft. In „Kesseltreiben“ ist es die unter dubiosen Umständen erfolgte Übernahme des französischen Energieriesen Alstom Énergie durch die amerikanische General Electric im Jahre 2015, die als reales Vorbild für die geschilderten Vorgänge dient. Eine wirklich unglaubliche Geschichte, klar, schnörkellos und schnell erzählt. Ich bin und bleibe bekennender Manotti-Fan!
Einzige Enttäuschung in diesem Lesemonat war der Roman, von dem ich mir eigentlich am meisten versprochen hatte. Nach den „Interessanten„, das mir sehr gefallen hatte, war die Vorfreude auf Meg Wolitzers neues Buch, „Das weibliche Prinzip„, sehr groß. Auch das angekündigte Thema, „Feminismus“, klang vielversprechend. Leider hat Meg Wolitzer trotz routiniertem Stil und Aufbau und guter Lesbarkeit viel zu wenig aus dem Thema gemacht. Die Geschichte um die junge Greer, die unter der Protektion einer erfolgreichen Feministin selbst erfolgreich wird, bevor es zum Bruch der Beziehung der beiden Frauen kommt, nebst allerlei Freundes- und Liebesbeziehungen in New York, bietet keinen einzigen neuen Gedanken oder Blickwinkel, nichts, was man nicht schon x mal gelesen zu haben glaubt. Und gegen Ende strotzt es selbst so voller Klischees, die es eigentlich von einer engagierten Autorin in Sachen Feminismus nicht gebraucht hätte. Sicher kein unlesbares oder gänzlich misslungenes Buch, dafür liest es sich zu angenehm, aber leider ziemlich unerheblich und von daher sehr, sehr bedauerlich. Von Meg Wolitzer hatte ich mehr erwartet.
Ein klein wenig mehr hätte ich mir auch von Alexander Münninghoffs „Der Stammhalter“ erwartet. Aber die Geschichte seiner Familie hat es schon in sich. In Lettland ansässiger Adel, hat es die Großeltern in die alte Heimat des Großvaters, die Niederlande, verschlagen als der Druck durch die russischen Bolschewiken zu groß wurde. Dem Großvater gelang es, das beträchtliche Familienvermögen nicht nur zu wahren, sondern sogar zu vermehren. Der Vater hingegen hat die Niederlande und die Holländer zeitlebens gehasst, sich früh den deutschen Nationalsozialisten und im Krieg der Waffen-SS angeschlossen. In der Schilderung dieser Gesinnung und ihrer viel zu milden Verurteilung liegt ein wenig mein Problem mit dem Buch. Sehr viel Verständnis für die „politischen Verirrungen“, viel weniger für den lieblosen Umgang mit seinem Sohn. Bei einer persönlicheren, empathischeren Erzählweise wäre es mir leichter gefallen, den versöhnlichen Blick auf die SS-Vergangenheit, der niemals genauer hinschaut, zu akzeptieren. Münninghoff bleibt aber stets sachlich-nüchtern, reportagehaft, dadurch sind manche Passagen für mich schwer erträglich.
Dennoch – die Geschichte ist hochinteressant und absolut lesenswert.
Das war meine Lektüre im Juli 2018. Meine Leseliste für August steht bereits, viele im Herbst neu erscheinende Titel sind dabei. Ich bin sehr gespannt und freue mich darauf! Jetzt hoffe ich für Natur und weniger hitzeliebende Zeitgenossen auf ein wenig Abkühlung und wünsche euch einen tollen Spätsommer!
Hallo Petra,
da hast du ein paar ganz tolle Bücher gelesen! Und einen angenehmen Urlaub hast du wohl auch verbracht. 🙂
Mit „Die Tagesordnung“ und „Kesseltreiben“ konntest du mein Interesse wecken. Die beiden habe ich mir mal notiert.
Schade, dass dich „Der Stammhalter“ nicht ganz so überzeugen konnte, wie mich. Wie ich dem Buch entnehme, halte ich Frans nicht für den typischen Nazi. Seine Gründe, dort mitzumachen, liegen in seinen familiären Verflechtungen und der falschen Erziehung sowie des Wunsches, genau das Gegenteil von dem zu machen, was sein Vater sich von ihm gewünscht hat. Nicht entschuldbar im Gesamten aber für mich nachvollziehbar, wenn man das so sagen kann / darf.
„Das weibliche Prinzip“ werde ich auslassen. Das reizt mich nicht und nach eingen Rezis nun noch weniger. Auf meinem SuB tummelt sich noch „Die Interessanten“. Darauf freue ich mich! Hast du das Buch der Autorin schon gelesen?
DAS war mein Juli, falls du Zeit hast, um vorbeizukommen. 🙂
Wünsche dir einen tollen August!
GlG, monerl
Liebes Monerl, Danke für deine Rückmeldung! „Der Stammhalter“ ist auf jeden Fall ein interessantes Buch, keine Frage. Ich ganz persönlich habe ein wenig mehr kritische Distanz zur SS-Vergangenheit vermisst, die Münninghoff ja durchaus anderen Verhaltensweisen seines Vaters gegenüber zeigte. Oder aber mehr einfühlende Empathie. Aber vielleicht bin ich da zu streng. „Die Interessanten“ fand ich deutlich besser als „Das weibliche Prinzip“. Versuch es auf jeden Fall mal. Und jetzt schaue ich bei dir nach. Dir auch einen schönen Spätsommer, liebe Grüße, Petra.