James Baldwin – Beale Street Blues

„If Beale Street could talk“ – eine Zeile des Bluesklassikers von 1916, in der vielleicht bekanntesten seiner vielen Interpretationen von Louis Armstrong gesungen, gibt dem vorletzten Roman von James Baldwin aus dem Jahr 1974 seinen Originaltitel – deutsch  Beale Street Blues.

Ja, wenn die Beale Street in Memphis/Tennessee reden könnt, würde sie von ihren Bewohnern erzählen, nicht von denen, die heute die „America’s Most Iconic Street“ zu einer der größten Touristenattraktionen der Stadt machen, auch nicht von den Musikern, die Anfang des 20. Jahrhundert hier neben Vergnügungszentren, Prostitution und Kriminalität ein Zentrum der schwarzen Musik bildeten, „The Official Home of the Blues“, Louis Armstrong, Muddy Waters, B. B. King und viele andere. Sie würde von den vielen Generationen afroamerikanischer Familien erzählen, die hier, oft in Konkurrenz mit eingewanderten Iren, lebten, ein Ghetto der Armut, sozialer Benachteiligung, Diskriminierung und Verzweiflung, oft geprägt von Gewalt, Drogenproblemen und Kriminalität. Die Beale Street als Metapher für das Schicksal so vieler Afroamerikaner. Aber auch für Hoffnung und Kraft, die aus dem Leid erwachsen kann, und die sich einen Ausdruck in der Musik geschaffen hat.

Originalton James Baldwin:

„Alle „Nigger“ stammen aus der Beale Street. Die Beale Street ist unser Erbe.“

Wie der Blues, der dem Roman den Namen verlieh, ist auch James Baldwins Roman von einer tiefen Tragik, enthält viel Leid, aber auch Poesie, Kraft und Hoffnung. Und ist durch eine starke Rhythmisierung und die Wiederholung von Leitmotiven sehr musikalisch gestaltet. Er schreckt vor den großen Gefühlen nicht zurück, auch nicht vor dem Pathos. Und wird dennoch niemals kitschig.

Dabei erzählt er, bei aller Gesellschaftskritik, in erster Linie von einer großen Liebesgeschichte. Die doch so alltäglich ist.

Die 19 jährige Clementine Rivers und der drei Jahre ältere Alonzo Hunt, Tish und Fonny genannt, kennen sich schon seitdem sie Kinder waren und zusammen auf der Straße gespielt haben. Nun sind sie ein Liebespaar und erwarten ein Baby. Aber Fonny sitzt, zu Unrecht beschuldigt, eine junge Puerto Ricanerin vergewaltigt zu haben, im Gefängnis. Obwohl Fonny nicht nur durch Tish, sondern auch durch einen gemeinsamen Freund ein Alibi besitzt. Aber die junge Frau, die mittlerweile nach Puerto Rico zurückgekehrt ist, hat Fonny identifiziert, wenn auch nicht unbeeinflusst, denn bei der Gegenüberstellung war er der einzige Schwarze. Und da ist vor allem noch die Aussage von Officer Bell, der eine ganz persönliche Rechnung mit Fonny offen hat und aussagt, ihn vom Tatort weglaufen gesehen zu haben.

Tish und ihre großartige Familie setzen alles daran, Fonny wieder aus dem Gefängnis frei zu bekommen, aber so einfach wie es sein müsste, ist die ganze Sache nicht. Und das Leben im Knast zehrt an dem jungen Mann.

Gäbe es nicht so viele ähnliche Geschichten, auch heute noch – Black lives matter -, stände man der Geschichte völlig ungläubig gegenüber. So viel offensichtliche Unschuld, so viel struktureller Rassismus, solch eine Ausweglosigkeit.

James Baldwin
James Baldwin  By Allan Warren [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons
James Baldwin geht in Beale Street Blues hart ins Gericht mit Amerika.

„Wobei ich sagen muss, dass Gott meiner Meinung nach mit Amerika überhaupt niemandem ein Geschenk gemacht hat.“

Officer Bell ist einerseits der klassische Böse, andererseits lässt Baldwin auch sehr deutlich erkennen, dass er selbst weit unten auf der sozialen Leiter steht, als Ire, als ungebildeter Mensch, als hässlicher Mann. Und wer unten steht, tritt gerne auf die, die noch weiter unten stehen. Auch der jungen Frau aus Puerto Rico, die sich eindeutig zu einer Falschaussage drängen ließ, zollt der Autor ein gewisses Verständnis. Sie lebt in ihrer Heimat in tiefem Elend, ist allein und verzweifelt. Auf der anderen Seite gibt es Weiße, die sich für Fonny und Tish einsetzen.

Und es gibt die zwei Familien. Tishs zutiefst solidarische, die eine große Menschlichkeit und Zuneigung zeigt. Und Fonnys, die selbst tief im Rassismus steckt, den Sohn wegen seiner sehr dunklen Hautfarbe schon immer ablehnte, sich von ihm distanziert. Typische Beispiele für den Selbsthass, den viele Afroamerikaner und auch James Baldwin immer wieder beklagen und unter anderem als Grund für die verbreitete Gewalt sehen.

„Der Tod sieht zwar mal so uns mal so aus, und die jungen Leute sterben auch ganz unterschiedlich, aber der Tod an sich ist ganz banal und der Grund für ihn auch – so banal wie die Pest: Die Kinder kriegen eingetrichtert, dass sie einen Dreck wert sind, und alles, was sie um sich herum sehen, ist der Beweis dafür. Sie kämpfen und kämpfen, aber sterben wie die Fliegen und begegnen sich dann auf dem Müllhaufen ihres Lebens, wie die Fliegen.“

Aber es gibt natürlich auch die große Liebe Tishs zu Fonny, die sich sehnlichst wünscht, ihr Kind mit ihm zusammen zur Welt zu bringen, die alle Hebel in Bewegung setzt, seine Unschuld zu beweisen. Und ihrer rassistischen Umwelt die Stirn bietet.

„Die Leidenschaft, die Fonny gerettet hat, hat ihn auch in Schwierigkeiten gebracht und ins Gefängnis. Er hat nämich sich selbst gefunden, so richtig, innen drin: Und das hat man gemerkt. Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissenen freien Land. Von irgendwem muss man der Nigger sein.“

Die Prosa von Baldwin ist sehr rhythmisch, manchmal poetisch, manchmal auch rau.

Martin Luther King und Malcolm X
MLK und Malcolm X  By Marion S. Trikosko, U.S. News & World Report Magazine [Public domain], via Wikimedia Commons
Es ist sehr zu begrüßen, dass der DTV-Verlag seine Bücher in neuen Übersetzungen von Miriam Mandelkow herausbringt. Nach seinem Erstling „Go tell it to the mountain“ (dt. Von dieser Welt) nun also ein 20 Jahre später verfasstes Werk. Seine Weggefährten beim Kampf um Bürgerrechte für die schwarze Bevölkerung in den USA waren da bereits tot, wie Martin Luther King und Malcolm X, verstummt oder verhaftet. Und dennoch strahlt dieser Roman neben all der Anklage und Verzweiflung auch viel Hoffnung und Kraft aus, wie ein Bluessong, gerade durch die uneingeschränkte Liebe und Solidarität von Tish und ihrer Familie. Baldwin selbst lebte da schon 25 Jahre in Südfrankreich, weil er den Alltagsrassismus in den USA und die Anfeindungen gegen ihn als Homosexuellen nicht ertragen wollte. Dort starb er auch 1987 im Alter von 63 Jahren.

Filmtrailer:

https://www.youtube-nocookie.com/embed/k2zvPTGiJj4?rel=0&controls=0

Nach Raoul Pecks sehr erfolgreichem Dokumentarfilm „I´m not your Negro“  wurde nun auch „If Beale Street could talk“ verfilmt (Filmstart Februar 2019).

Beitragsbild: Beale Street CC0 via Max Pixel

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James Baldwin - Beale Street Blues.

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James Baldwin – Beale Street Blues
Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow
dtv Literatur Juli 2018, 224 Seiten, gebunden, 20,00 €

4 Gedanken zu „James Baldwin – Beale Street Blues

  1. Danke für diese hervorragende Rezension. Vor ewigen Jahren habe ich einige Bücher von James Baldwin gelesen… „Eine andere Welt“, „Giovannis Zimmer“ und „Des Menschen nackte Haut“ ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie emotional und aufwühlend ich sie empfunden habe. Es ist sehr schön, dass dieser großartige Schriftsteller jetzt wieder aufgelegt wird?

    1. Ich kannte bisher tatsächlich nur den Namen und sein gesellschaftspolitisches Engagement. Die Neuübersetzungen sollen auch sehr gut sein. Ich werde mir auf jeden Fall auch noch Bon dieser Welt besorgen. Viele Grüße!

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