Zwar ist der September schon fast herum, dennoch möchte ich noch meine Lektüre im August 2018 nachreichen. Die Frankfurter Buchmesse nähert sich in großen Schritten und mit ihr die große Flut an Herbstneuerscheinungen. Auch bei mir hat sich im August das „Leseaufkommen“ ziemlich gesteigert und damit auch die Zahl der zu verfassenden Rezensionen. Hinzu kam noch die Longlist für den Deutschen Buchpreis, die auch durchgeforstet werden wollte.
Insgesamt ein wirklich guter Lesemonat, wenn auch das wirkliche Highlight fehlte.
Am ehesten kommt dem aber noch der wirklich überraschende, spannende und gut erzählte Debütroman einer jungen nigerianischen Schriftstellerin nahe.
Mit „Bleib bei mir“ hat Ayọ̀bámi Adébáyọ̀ gleich einen großen Wurf hingelegt. Bestseller und nominiert für den Baileys Women’s Prize for Fiction, erzählt er eine Geschichte voller überraschender Wendungen. Yejide und Akin, ein modernes nigerianisches Paar, leidet unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Ein ganz persönlicher Schmerz, aber in der den Traditionen verhafteten nigerianischen Familie auch ein großer gesellschaftlicher Makel. Akin wird dazu gedrängt, eine Zweitfrau zu nehmen, was Yejide in eine tiefe Krise stürzt. Die sich anschließenden Wendungen seien hier nicht verraten, sie sind überraschend und voller Tragik. Politische Entwicklungen und viel nigerianischer Alltag werden damit zu einer spannenden, berührenden, aber niemals pathetischen Geschichte verwoben.
Letztes Jahr erschien Natascha Wodins Buch über ihre früh aus dem Leben geschiedene Mutter „Sie kam aus Mariupol“. Nun folgt „Irgendwo in diesem Dunkel“, in dem sie erneut das Verhältnis zu ihrem Vater beleuchtet. Erneut, da ihre unglückliche Kindheit und Jugend mit diesem verbitterten, gewaltvollen Mann bereits vor beinahe 30 Jahren Thema ihres Buchs „Einmal lebt ich“ war. Ein Buch, von dem sich Wodin heute distanziert, das aber in die Zeit der „Vaterbücher“ passte, in denen sich die Nachgeborenen an der Kriegsgeneration abarbeiteten. Als typischer Vertreter dieser, wenn auch nicht als Täter, sondern als aus der Ukraine nach Deutschland verschleppter Zwangsarbeiter, war der Vater ein „Schweiger“. Weder über seine Vergangenheit, noch über die Mutter oder ihr gemeinsames Schicksal während des Krieges wurde gesprochen. Hat die Spurensuche einiges zum Leben ihrer Mutter zutage gefördert, so bleibt das Leben ihres Vaters „irgendwo in diesem Dunkel“ und dunkel und voller Gewalterfahrungen war dieses Leben wohl auch. Natascha Wodin leugnet ihren Hass auf den Vater nicht, und doch versucht sie, ein Stück weit zu verstehen, berührt sie auch die unendliche Einsamkeit dieses Mannes, der bis zu seinem Tod in Deutschland lebte, ohne je die Sprache lernen zu wollen. Keine Recherche wie im vorherigen Buch, mehr Gewicht auf ihre eigene Kindheit. Mich hat das Buch wieder absolut berührt, gerade durch seinen nüchternen, pathosfreien Ton.
Georgien ist dieses Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse und zu diesem Anlass erscheinen vermehrt Titel aus diesem trotz reicher literarischer Tradition für deutsche Leser doch recht unbekannten Land. „Farben der Nacht“ ist der Debütroman des jungen Dramatikers und Übersetzers Davit Gabunia. Darin beobachtet der arbeitslose Surab vom Fenster seiner Wohnung einen Mord in der Nachbarwohnung. Der Täter ist ein bedeutender Mann, was Surab zu einem riskanten Einfall führt. Hintergrund ist der Spätsommer 2012, in dem Unruhen und Demonstrationen das Land erschüttern. Spannend!
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Sylvie Schenk erzählt in „Eine gewöhnliche Familie“ ein weiteres Mal fiktionalisiert von ihrer eigenen Verwandschaft, deren Beziehungsgeflecht sie psychologisch genau beleuchtet. Nach „Schnell, dein Leben“ aus dem Jahr 2016 ein weiteres lesenswertes Buch von der 1944 geborenen Autorin.
Mit „Leuchten über Blackpool“ stand der Schotte Andrew O´Hagan auf der Longlist zum Man Booker Prize.
Eine alte Dame in einem Altenheim an der schottischen Küste gleitet zunehmend in die Demenz während ihr Enkel verzweifelt versucht, die schrecklichen Erinnerungen an einen tragischen Militäreinsatz in Afghanistan zu vergessen. Gemeinsam machen sie sich auf nach Blackpool, wo die Großmutter glückliche Zeiten mit dem Großvater, den niemand aus der Familie kennenlernen durfte, da er verheiratet war, verbrachte. Erinnern und Vergessen sind die Motive in diesem feinfühligem Familienporträt. Für mich eine schöne Entdeckung!
Rachel Cusk ist eine absolut innovative Stimme aus Großbritannien. Mit ihrer Trilogie um die Schriftstellerin Faye, ein kaum verhülltes AlterEgo, schafft sie ein ungewöhnliches Erzählkonzept. Wie in den zwei vorangegangenen Büchern ist Faye auch in „Kudos“ in erster Linie Zuhörerin von Menschen, die sie auf zwei Literaturfestivals trifft. Sie gibt die Monologe, selten auch Dialoge, wieder und verschwindet dahinter fast ganz. Aber eben nur fast. Es geht um den Brexit, um den Literaturbetrieb, um gescheiterte Beziehungen, Kinder und immer wieder um das Machtverhältnis zwischen Mann und Frau. Ein alles andere als ausgeglichenes Verhältnis. Scharfsinnig, witzig, ein bisschen boshaft. Auch wenn vielleicht nicht unbedingt leicht konsumierbar: für mich wieder ein ungeheures Vergnügen.
Es ist großartig, dass, vielleicht auch als Folge der Black lives matter Bewegung und der unseligen Entwicklungen in den USA fort von einem aufgeklärten, toleranten und antirassistischen Staat, das Werk James Baldwins, eines der interessantesten afroamerikanischen Autoren des vergangenen Jahrhunderts, eine Renaissance erlebt. Baldwin hat sich nicht nur zum Thema Rassismus geäußert, sondern auch immer seine Position ald Homosexueller beleuchtet. „I’m not your negro“ ist der Dokumentarfilm von Raoul Peck betitelt, der im vergangenen Jahr sehr erschien. Nun ist auch ein Roman verfilmt (Kinostart im Februar 2019): „If Beale Street could talk“. Dem DTV Verlag ist zu verdanken, dass Baldwins Werk nun auch in Deutschland wiederaufgelegt wird. Nach „Von dieser Welt“ im vergangenen Jahr nun eben dieser „Beal Street Blues“. Eine Liebesgeschichte aus dem Jahr 1974, die, überschattet von Rassismus, Gefängnis schwarzem Selbsthass und der weißen Justiz, voller Tragik, Verzweiflung, Aussichtslosigkeit, aber auch Solidarität, Hoffnung und eben Liebe ist. Unbedingt lesen!
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Eine Jungenfreundschaft in den USA der 1960er Jahre, ein heißer Sommer voller Pläne und Sehnsüchte, aber auch voller Tragik. Ein Road-Trip nach Süden, nach Charleston, das verfrühte Ende einer Kindheit. Ein warmherziger Roman, dessen Erzählperspektive nicht immer ganz überzeugt, den ich aber dennoch sehr gerne gelesen habe: „ElGreco und ich“ von Mark Thompson.
Ein Mann aus Südostanatolien wird in den USA Opfer einer rassistisch motivierten Gewalttat. Sein alter Schulkamerad, Journalist in Istanbul, erfährt davon und reist zur Beerdigung in die gemeinsame Heimatstadt. Dort erfährt er von verschiedenen Seiten mehr über das Leben seines alten Freundes, seine Liebe zu einer jungen jesidischen Mutter, deren grausames Schicksal während des syrischen Bürgerkriegs, ihrer mühsamen Flucht in die Türkei und die Anfeindungen, die diese Beziehung dort erfuhr. Eine kurze Parabel über die Zerrissenheit zwischen Ost und West und das Leid, das der Mensch dem Menschen antun kann. „Unruhe“ von Zülfü Livaneli
Meine Lektüre August 2018: Neun Romane, die ich alle gerne gelesen habe. Im September geht es weiter mit der Lektüre von Neuerscheinungen und den Longlist-Nominierten, die ich für mich persönlich ausgewählt habe.
Ein toller Lesegeschmack 😀
Danke 🙂
Wow – eine Menge spannende Lektüre hast Du da geschafft 🙂
Es waren auch wirklich ein paar Highlights dabei 🙂