Und schon wieder bin ich viel zu spät dran mit meinem Monatsüberblick für die Lektüre im September 2018.
Der September stand im Zeichen des Deutschen Buchpreises, der am Montag, den 8. Oktober in Frankfurt an Inger-Maria Mahlke verliehen wurde.
Vier Titel der Shortlist habe ich diesen Monat gelesen (einen weiteren zumindest angelesen). Drei ziemlich dickleibige Bücher waren darunter, dazu kam noch ein weiteres seitenstarkes Werk. Bis auf eines, das mich geradezu verärgert hat, gerade auch weil es bis zur Shortlist vorgedrungen ist, war es eine sehr bereichernde, großartige Lektüre im September 2018.
Stephan Thomes „Gott der Barbaren“ erinnert mich ein wenig an die großartigen historischen Romane Hilary Mantels. Nichts für Leser, die „pralles Leben“ in einem historischen Roman erwarten, ein bisschen Durchhaltewillen ist bei über 700 Seiten sicher auch gefragt. Mir hat dieses intelligente, großartig recherchierte und gut umgesetzte Buch über ein mir ziemlich unbekanntes Kapitel der fernen chinesischen Geschichte – der Taiping-Aufstand Mitte des 19. Jahrhundert, ein Bürgerkrieg, angezettelt von einer dubiosen christlichen Sekte, der geschätzt unglaubliche 30 Millionen Opfer forderte – sehr gut gefallen.
Überraschend „zahm“ scheint Maxim Biller in seinem Shortlist-Kandidat „Sechs Koffer„, überaus „süffig“ sei der Text, schmal aber tiefschürfend, so das Echo. Da es für mich der erste Biller war, fehlen mir für solche Vergleiche die Leseerfahrungen. Die Familiengeschichte aus russisch-jüdischem Milieu, unverkennbar autobiografisch gestaltet, die sich um den Großvater dreht, der 1960 in Moskau verhaftet und kurz darauf wegen Schwarzmarktgeschäften hingerichtet wurde, liest sich tatsächlich schnell und gut. Im Mittelpunkt steht das Familiengeheimnis, wer einst den Großvater verraten und der stalinistischen Justiz ausgeliefert hat. Dabei kommt eine zutiefst verstörte, entwurzelte Familie zum Vorschein. Zweifellos gut gemacht, nie kann sich der Leser des Erzählten sicher sein.
„Die Katze und der General“ war wohl nicht das richtige Buch für mich. Seine Autorin Nino Haratischwili hat eine riesige Fangemeinde. Geradezu ehrfürchtig habe ich mich diesem Buch mit seinen 760 Seiten genähert. Erwartungsfroh, da ihr Erfolgsroman „Das achte Leben“ seit langer Zeit auf meiner Leseliste steht, es angesichts seiner fast 1300 Seiten aber bisher nicht bewältigt wurde. Auf einer Lesung im Frankfurter Literaturhaus lernte ich Buch und Autorin Anfang des Monats bereits ein wenig kennen. Überraschend spröde, wenn auch freundlich erschien mir Haratischwili dort. Das Thema des Romans ist großartig: Eine schreckliche Tat, begangen von einer Gruppe Soldaten im 1. Tschetschenien-Krieg an einer jungen Frau, eine übrigens reale Geschichte, wirft ihre Schatten in das Berlin der Gegenwart. Schuld und Sühne, Rache und Vergeltung – ganz große Tragödie. Mir war nicht nur die ganze Geschichte zu pathetisch aufgeladen, mit zu vielen Klischees versetzt, auch die Sprache gefiel mir nicht, auch hier zu viel, zu viel schiefe Vergleiche, zu viel Pathos, außerdem stimmte oft auch die Perspektive nicht. Ein Buch, das es meiner Meinung nach nur wegen des Themas und des Gastlandauftritts von Georgien auf der diesjährigen Buchmesse so weit gekommen ist. Die Fans Haratischwilis werden das anders sehen.
Rückwärts schreitend erzählt Inger-Maria Mahlke in „Archipel“ die Geschichte dreier Familien auf Teneriffa von 2015 bis 1919, Insel- und spanische Historie inklusive. Im Kern ist es aber eine kunstvolle, anspruchsvolle Familiengeschichte. Neben Thome einer meiner Favoriten für den Buchpreis und tatsächlich dann auch Siegertitel. Herzlichen Glückwunsch!
Ein überraschendes Buch, ein überraschend gutes Buch einer mir bis dato ganz unbekannten britischen Autorin mit pakistanischen Wurzeln: Kamila Shamsie.
Ihr Buch „Hausbrand“ um eine Familie in London, deren Sohn den Weg des Dschihad geht, und die verwebt ist mit der Geschichte des (fiktiven) Innenministers Großbritanniens, auch er mit pakistanischen Vorfahren, hat mich sehr begeistert. Ein kluges, mutiges Buch, das dem Leser den Kopf durchwirbelt, bequeme Denkmuster durchrüttelt und Standpunkte infrage stellt. Unvorhersehbar,spannend bis zum Schluss und für mich ein ganz unerwartetes Highlight dieses Lesejahrs!
Juan Gabriel Vásquez schafft mit „Die Gestalt der Ruinen“ einen äußerst spannenden, halbdokumentarischen Roman. Zwei politische Morde an liberalen Politikern in Bolivien aus den Jahren 1914 und 1948, Verbindungen zu dem Attentat an J.F. Kennedy – Verschwörungstheorien, Recherchen, Forensik. Der Ich-Erzähler ist ein gewisser Juan Gabriel Vásquez. Wie der Autor hier Geschichtsroman, Detektivgeschichte, Thriller, Autobiografie und Essayistik klug und packend verbindet, hat mir ausgesprochen gut gefallen.
Das war meine Lektüre im September 2018. Die Flut der Herbstneuerscheinungen geht nun zu Ende, „erschreckenderweise“ stehen aber auch schon wieder die Frühjahrsprogramme der Verlage. Bis in den Dezember habe ich noch reichlich spannende Lektüre, danach werde ich verstärkt Debüts lesen und dann im neuen Jahr hoffentlich noch ein paar liegengebliebene Romane. Langweilig wird es sicher nicht.
Euch allen noch einen tollen, hoffentlich auch sonnigen Herbst!