Donatella Di Pietrantonio – Arminuta

„Arminuta“ – die Zurückgekommene, so nennen sie die Bewohner des nicht näher bezeichneten Dorfs. Es dürfte sich nicht allzu weit entfernt von L´Aquila befinden, jener 2009 von einem Erdbeben stark zerstörten Hauptstadt der italienischen Abruzzen, der Donatella di Pietrantonio mit ihrem 2014 erschienenen Roman „Bella mia“ ein Denkmal setzte und in deren Nähe die Autorin aufgewachsen ist. Nun erscheint von Donatella Di Pietrantonio der schmale Roman Arminuta.

„Arminuta“ – sie sagen es ein wenig mitleidig, ein wenig ablehnend, vor allem aber mit Verachtung. Das nun 13jährige Mädchen hatte es, wenn auch ohne eigenes Zutun, heraus geschafft aus der Enge und Armut des Dorfes und ihrer in prekären Verhältnissen lebenden Familie. Eine wohlhabende entfernte Verwandte, die selbst keine Kinder bekommen konnte, hatte das Mädchen bereits als Säugling zu sich geholt, der Mutter regelrecht abgeschwatzt. Eine durchaus verbreitete Praxis im armen italienischen Süden der Sechziger und Siebziger Jahre und oft auch ein Glücksfall sowohl für das Kind als auch für die Pflegeeltern. Doch hier ist etwas schiefgelaufen. Von einem Tag auf den anderen musste das Mädchen zurück zu den leiblichen Eltern, von denen sie bisher gar nichts wusste.

In liebevollen Verhältnissen, in einem schönen Einfamilienhaus direkt an der Strandpromenade der Küstenstadt aufgewachsen, wird sie im Sommer 1975 von ihrem bisherigen „Vater“ im Auto in das 50 Kilometer entfernte Dorf regelrecht verfrachtet. Keine große Entfernung eigentlich, aber wie anders sind die Verhältnisse dort! Arminuta teilt sich ein Zimmer mit ihren drei ungehobelten Brüdern und sogar das Bett mit ihrer jüngeren Schwester Adriana. Diese ist ungefähr zehn Jahre alt, nässt aber noch jede Nacht ein. Der älteste Bruder ist achtzehn und nähert sich auf nicht ganz erlaubte Weise seiner unbekannten Schwester, die anderen Brüder (Sergio und „der Andere“) drangsalieren sie. Der kleine Giuseppe ist in seiner Entwicklung etwas zurückgeblieben.

Hände CC0 via Pixabay

Zum ersten Mal erfährt das Mädchen, was es heißt, um sein Essen am Tisch zu kämpfen, nicht richtig satt zu werden. Zu der alltäglichen Not kommt noch die emotionale, denn niemand hilft ihr, mit der Situation klarzukommen, erklärt sie ihr. Lange Zeit denkt sie, ihre „richtige“ Mutter wäre plötzlich krank geworden oder gar gestorben, weshalb sie sich nicht mehr um sie kümmern konnte. Dass es sich ganz anders verhält, erfährt sie erst viel später. Der Erwachsenen reden nicht. Nicht die „Eltern“, die sie dreizehn Jahre großgezogen haben und die nun jeden Hilferuf ignorieren, lediglich Geld und Geschenke schicken, und auch nicht die leiblichen Eltern, die völlig überfordert von Armut und Kinderreichtum ziemlich abgestumpft und gefühlsstarr wirken. Auch Gewalt ist hier nicht fremd.

Sehr eindringlich, in der Sprache klar und lakonisch, zart, aber niemals rührselig erzählt Donatella di Pietrantonio vom schwierigen Weg des Mädchens hinein in diese, „ihre“ Familie. Genauso wenig wie zu Elendsvoyeurismus neigt die Autorin zu kitschiger Sozialromantik. Sie erzählt in der Rückschau der Erwachsenen, immer noch ein wenig ungläubig, im Bemühen, zu verstehen, voller Bewunderung vor der eigenen Stärke, aber vor allem auch der ihrer jüngeren Schwester. Deren Liebe und Solidarität, auch die Unterstützung einer engagierten Lehrerin und ja, auch die Zuneigung ihrer Eltern, auch wenn die so ganz anders als gewohnt aussieht, ermöglichen ihr eine Zukunft, aber auch, eine neue Art der Zugehörigkeit zu empfinden und über den Verlust ihrer bisherigen Gewissheiten hinwegzukommen.

„Meine Schwester. Wie eine unwahrscheinliche Blume auf einem Krümel Erde gewachsen, an den Felsen geklammert. Von ihr habe ich Widerstand leisten gelernt. Nun sehen wir uns weniger ähnlich, aber unser Gefühl, in die Welt geworfen zu sein, ist das gleiche. Das Zusammenhalten hat uns gerettet.“

„Arminuta“ ist eine ungewöhnliche Familiengeschichte, eine ungewöhnlich schöne noch dazu. Ihre herbe Poesie und ihre starken Protagonisten wird man so schnell nicht vergessen.

Beim Leseschatz gibt es eine weitere Besprechung.

Beitragsbild CC0 via Pixabay

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Donatella Di Pietrantonio - Arminuta.

Donatella Di Pietrantonio – Arminuta

Übersetzt von Maja Pflug
Kunstmann  September 2018, gebunden, 224 Seiten, € 20,00

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