Elena Ferrante – Lästige Liebe

Bereits 1992 erschien in Italien der Debütroman „Lästige Liebe“ von Elena Ferrante, 1994 auch in Deutschland, wo er im Gegensatz zum Ursprungsland wenig Beachtung fand. Nun, nach dem fulminanten Erfolg, den die Neapolitanische Tetralogie weltweit und auch bei uns hatte, veröffentlicht der Suhrkamp Verlag die Neuübersetzung von Karin Krieger. Zahlreiche Motive des späteren Werks sind auch schon in „Lästige Liebe“ angelegt.

Erzählanlass ist hier wie dort ein rätselhaftes Verschwinden. So wie Lila zu Beginn der „Genialen Freundin“ spurlos verschwunden ist, so taucht auch die Mutter der Ich-Erzählerin Delia im wahrsten Sinne des Wortes ab. Ihre Leiche wird allerdings gefunden, der Roman beginnt:

„Meine Mutter ertrank in der Nacht des 23. Mai, an meinem Geburtstag, im Meer vor einem Ort namens Spaccavento, wenige Kilometer von Minturno entfernt.“

Die Umstände ihres Todes sind äußerst rätselhaft. Amalia war zwei Tage zuvor von Neapel aus mit dem Zug Richtung Rom aufgebrochen, um dort ihre Tochter zu besuchen. Drei merkwürdige Anrufe von ihr erreichten Delia, sie sei mit einem Mann zusammen, es folgten Beschimpfungen und schließlich ein Hilferuf, der Mann verfolge sie und wolle auch der Tochter nichts Gutes. In Rom kam Amalia nicht mehr an. Man fand ihre Leiche, nur mit einem teuren Designer-BH bekleidet, ertrunken am Strand. Unfall? Selbstmord? Oder sogar Mord? Die letzten zwei Tage der Mutter bleiben rätselhaft.

Auch in ihrer Wohnung in Neapel findet die Tochter keine Antworten. Widerwillig ist sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um die Beerdigung zu organisieren und die Angelegenheiten zu regeln. Delia verbindet mit Neapel eine ähnliche Hassliebe wie die beiden Freundinnen der Tetralogie. Ein Koffer taucht auf, randvoll mit teurer Wäsche aus einem exklusiven Designerladen. Merkwürdig, trug die Mutter doch immer nur billige Baumwollunterwäsche. Auch ein Mann erscheint am Rande, Caserta, ein ehemaliger Freund der Familie.

Vicolo di pulcinella Neapel By Gigi sorrentino [CC BY-SA 3.0], from Wikimedia Commons
Mehr und mehr wird Delia in ihre Erinnerungen und die Vergangenheit hinabgezogen, zum gewalttätigen Vater, zur unglücklichen Mutter, zu einer bedrückenden Kindheit. Immer mehr wird deutlich, dass Delia ein dunkles Geheimnis tief in sich vergraben hat, das nun mit Macht an die Oberfläche drängt. Traumbilder bedrängen sie, die Geschichte nimmt zeitweise surreale Züge an. Realität und Vorstellung vermischen sich. Bis zum Ende wird nicht wirklich klar, was geschah.

Aber eine sehr ambivalente Mutter-Tochter-Beziehung wird deutlich. Solche Mutter-Tochter-Beziehungen sind auch Thema in der Neapolitanischen Saga. Auch die widersprüchlichen Gefühle, die zwischen den Freundinnen Lila und Lenu herrschen, findet man hier bei Mutter und Tochter wieder: Liebe, Hass, Neid, Solidarität und Eifersucht. Die Erzählerin erscheint in ihren Gefühlen manchmal wie eine Schwester von Elena/Lenu. Auch einzelne Motive gleichen sich sehr, der gruselige Keller etwa, der tief verschüttete Ängste und Erinnerungen birgt. Aber natürlich auch das eher ärmliche, trostlose Milieu, die Gewalt, die Unterdrückung der Frauen durch selbstherrliche Männer und die schillernde Stadt Neapel selbst. Diese nimmt in „Lästige Liebe“ aber deutlich weniger Raum ein, auch über gesellschaftliche oder historische Umstände erfährt man eher wenig. „Lästige Liebe“ ist  eine komprimierte, auf Innerliches verdichtete Version der Tetralogie. Sprache, Spannung, Konstruktion – auch hierin ähneln sich die Werke sehr. Beim Debütroman bleibt aber noch mehr im Dunkeln, im Ungewissen.

1995 wurde „L`amore molesto“ von Mario Martone verfilmt. Im März 2019 soll bei Suhrkamp das autobiografische Buch „Frantumaglia“ erscheinen, das anhand von Briefen, Aufsätzen und Interviews ein Selbstporträt Elena Ferrantes entstehen lässt. All das wird sich zu einem spannenden Blick auf diese tolle, rätselhafte Autorin fügen. Man darf gespannt sein.

Beitragsbild CC0 via Pxhere

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Elena Ferrante - Lästige Liebe.

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Elena Ferrante – Lästige Liebe
Aus dem Italienischen von Karin Krieger

Suhrkamp Verlag Oktober 2018, gebunden, 206 Seiten, 22,00 € 

8 Gedanken zu „Elena Ferrante – Lästige Liebe

  1. Ich habe das Buch gerade beendet und bin ein bisschen ratlos, ich weiß nicht so recht, was ich davon halte. Oft zeigt sich das aber ja nach ein paar Tagen bzw. wenn ich darüber schreibe, also schauen wir mal, was dabei herauskommt… Viele Grüße Dir und eine schöne Adventszeit!

    1. Dir auch, liebe Ines. Ich fand das Buch vor allem interessant, weil es viele Aspekte der Tetralogie schon beinhaltet. Ich hatte ja mit der Ich-Erzählerin Lenu ziemliche Schwierigkeiten und hier ist es wieder so ähnlich. LG

      1. Ja, Lenu war teilweise anstrengend 😉 Mal schauen, was noch so kommt, es ist ja wieder ein Roman angekündigt fürs Frühjahr, wenn ich mich grad richtig erinnere. Und irgendwie war es ja auch ein bisschen wie an einen bekannten Ort zurückzukehren, oder in eine bekannte Stimmung, das mochte ich. (Ines übrigens, aber nicht schlimm :))

        1. Der neue Roman interessiert mich weniger, aber das autobiografische Buch möchte ich unbedingt lesen. Schon allein, um zu erfahren, ob die Autorin auch so anstrengend ist wie Lenu 😉 (was ich vermute :))

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