Es sind kleine Helden, oder oft auch die kleinen Heldinnen, von denen die spanische Autorin Almudena Grandes erzählt. Diejenigen, die ihr Leben trotz aller Widrigkeiten jeden Tag von Neuem stemmen, manchmal maulend, manchmal laut zeternd, aber immer wieder dafür sorgen, dass es irgendwie weiter geht, die Kinder in die Schule, das Essen auf den Tisch kommen und darüber hinaus aber auch nicht die Gemeinschaft vergessen wird. Denn darum geht es Almudena Grandes in ihrem unterhaltsamen, leichten, bunten, aber nicht trivialen Roman: um Solidarität.
Solidarität ist nötig, nicht nur, aber auch besonders in Spanien, das die Finanzkrise 2008 ganz besonders hart getroffen hat. Hier platzte infolge der Turbulenzen weltweit und der Lehman-Brothers-Pleite eine besonders große Immobilienblase – wer seit den letzten Jahren in Spanien unterwegs ist, stößt überall auf halb fertiggestellte und dann ihrem Schicksal überlassene Bauruinen –, zahllose Baukredite konnten nicht mehr bedient werden und wurden zwangsvollstreckt und die Arbeitslosigkeit stieg zeitweise auf weit über 20%. Besonders junge Menschen haben bis heute schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Wohnen ist oft unerschwinglich, was viele Familien eng, manchmal zu eng zusammenzurücken zwingt. Viele Spanier suchen mittlerweile ihre Zukunft wieder im Ausland.
Und doch – wenn man die politischen Entwicklungen in Spanien betrachtet, besonders auch im Vergleich mit anderen europäischen Staaten, wenn man sieht, wie relativ gelassen die Spanier mit der großen Zahl von Immigranten aus Afrika umgehen, dann kommt schon ein wenig Bewunderung auf.
Almudena Grandes teilt diese Bewunderung offensichtlich, „Kleine Helden“ ist wie eine Hommage an ihre Landsleute.
Anhand eines nicht näher benannten Viertels im Zentrum Madrids und seiner Bewohner erzählt sie das eigentlich komplexe Thema – die Folgen der Finanzkrise, die Auswirkungen der Globalisierung, der soziale Kahlschlag, die zunehmende Armut weiter Teile der Bevölkerung – in einem bunten Reigen von Episoden. Das Figurenensemble umfasst alle Altersgruppen und sozialen Schichten und zeigt ein vielstimmiges, oft etwas chaotisches Bild. Manchmal kann man schon durcheinanderkommen bei Marisa, der unlängst entlassenen Radioredakteurin, Maria, der Krankenschwester, die um ihren Job im von Schließung bedrohten kommunalen Gesundheitszentrum bangt, der Großmutter Martina, die noch viel härtere Zeiten gekannt hat und der Anwältin Marita, die sich für die Familien einsetzt, die von Zwangsräumung bedroht sind. Aber irgendwie ist das gar nicht so schlimm, sie alle reihen sich in den großen Reigen ein, zusammen mit der Frisörin Amalia, die die Krise vor allem dadurch bemerkt, dass auch langjährige Stammkundinnen immer seltener kommen und die sich in neuester Zeit durch einen asiatischen Schönheitssalon direkt gegenüber bedroht fühlt, der seine Dienstleistungen zu Dumpingpreisen anbietet. Lehrerin Sofia fällt auf, dass immer mehr Kinder ohne Pausenbrot zur Schule kommen. Aber natürlich sind auch Männer betroffen. So arbeitet beispielsweise der Bauingenieur Sebastian nach seiner Entlassung als Pförtner.
Die Wut und die Verzweiflung der Anwohner bündeln sich in der drohenden Schließung des Gesundheitszentrums, dass nicht nur Arbeitsplätze, sondern vor allem auch ortsnahe Versorgung garantierte. Und hier entwickeln die Menschen plötzlich Kampfgeist, beginnen sich zu wehren. Aber auch in anderen Bereichen entwickeln sie Solidarität. Koordiniert werden diese Aktionen oft in der Bar von Pascual, hier findet schließlich die Schulspeisung statt, hier treffen sich die verschiedenen Aktionsgruppen. Hier schlägt das Herz des Viertels.
Ein Jahr verfolgen wir das Schicksal der Bewohner, dann gestattet sich Grandes eine Art Epilog. Das Leben geht weiter, nicht alles wird wieder gut, manche Entwicklungen sind besorgniserregend. Aber irgendwie wird es weitergehen mit den Kleinen Helden.
Ein Gutteil der Wut, aber auch der Hoffnung der Bewohner des Viertels ist sicher auch die Wut und Hoffnung der Almudena Grandes. Und ihr Lösungsansatz, Solidarität, ist sicher auch die Botschaft, die sie mit ihrem Buch vermitteln will. Da ist natürlich auch ein wenig Schwarz/Weiß, es geht nicht ganz ohne Klischees und sicher wird auch manches ein wenig vereinfacht. Aber durch die genaue, liebevolle Beobachtungsgabe der Autorin, die bunte, unterhaltsame Schilderung und den rundum menschenfreundlichen Ansatz ist „Kleine Helden“ ein durch und durch sympathisches Buch, das die Schattenseiten nicht verschweigt, ihnen aber eine positive Utopie entgegensetzt. Ich habe es sehr gern gelesen.
Beitragsbild: CC0 via pxhere
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Almudena Grandes – Kleine Helden
übersetzt aus dem Spanischen von Roberto de Hollanda
Hanser Verlag Juli 2018, gebunden, 320 Seiten, 24,00 €
Ich mag Almudena Grandes sehr, als Persönlickeit, die ich bei Lesungen erlebt habe, und natürlich als bestens unterhaltende Erzählerin. Schon ein paar Jahre her, dass ich etwas von ihr gelesen habe, aber „Die wechselnden Winde“, „Atlas der Liebe“ und „Sieben Frauen“ haben mich alle irgendwie in ihren Bann gezogen, das frühe Skandalbuch „Lulu“ etwas weniger. Auf „Kleine Helden“ hast Du mir große Lust gemacht.
Ich habe Almudena Grandes leider noch nicht live erleben dürfen und kenne auch ansonsten nur den Feind meines Vaters. Neugierig auf mehr wäre ich aber definitiv. Viele Grüße!
Der Roman war mir bereits in der Vorschau aufgefallen. Ich habe von der Autorin bereits „Der Feind meines Vaters“ gelesen, ebenfalls ein wundervolles Buch. Ich werde mir deshalb nun auch ihr neuestes Werk mal auf die Leseliste packen. Danke für die Erinnerung. Viele Grüße
Sehr gerne, Constanze. An deiner Leseliste arbeite ich doch immer gerne 😉 Liebe Grüße nach Naumburg!